Umsatzsteuer | Widerruf des Verzichts auf Steuerbefreiung (BFH)
Der Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG kann widerrufen werden, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung noch anfechtbar oder noch nach § 164 AO änderbar ist. § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG i.d.F. des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 regelt den Widerruf nicht (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG sind Umsätze, die unter das GrEStG fallen, steuerfrei. Der Unternehmer kann gemäß § 9 Abs. 1 UStG u.a. einen solchen Umsatz als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Der leistende Unternehmer kann, soweit, die Lieferung eines Grundstücks außerhalb eines Zwangsversteigerungsverfahrens betroffen ist, nach § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG (eingefügt durch das HBeglG 2004 v. , BGBl I 2003, 3076) nur in dem gemäß § 311b Abs. 1 BGB notariell zu beurkundenden Vertrag auf die Steuerbefreiung eines Grundstücksumsatzes i.S. von § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG verzichten.
Sachverhalt: Die Klägerin, eine GmbH, erwarb mit notariell beurkundetem Grundstückskaufvertrag vom von der A Immobilien GmbH (Veräußerin) ein Grundstück. Die Veräußerin verzichtete in dem Kaufvertrag auf die Steuerbefreiung für Grundstückslieferungen.
Die Klägerin wollte das Objekt sanieren und zunächst steuerpflichtig weiterverkaufen. In ihrer Umsatzsteuererklärung 2009 gab sie Umsätze von 320.000 Euro an, für die sie nach § 13b UStG als Leistungsempfängerin die Steuer schuldete, und zog die sich daraus ergebende Steuer von 60.800 EUR als Vorsteuer wieder ab. Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht veräußerte die Klägerin im November 2011 eine Teilfläche des Grundstücks mit dem nicht sanierten Gebäude, und zwar ohne Verzicht auf die Steuerbefreiung.
Daraufhin machte die Veräußerin den zunächst erklärten Verzicht auf die Steuerbefreiung mit notariellem Vertrag v. rückgängig.
Das FA hielt die Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung für unwirksam. Die hiergegen gerichtete Klage hatte in allen Instanzen Erfolg (zur Vorinstanz, , s. unsere Online-Nachricht v. 9.3.2020 sowie Herold, NWB Experten Blog v. 20.8.2020).
Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:
Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Veräußerin wirksam den Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 3 UStG widerrufen hat.
§ 9 Abs. 3 Satz 2 UStG ermöglicht nach seinem Wortlaut den Verzicht "nur in dem" der Grundstückslieferung zugrunde liegenden notariell zu beurkundenden Vertrag.
Dies ist der Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben (vgl. § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB "Verpflichtungsvertrag"), der der Auflassung und der Eintragung in das Grundbuch vorhergeht (vgl. § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB).
Danach schließt der Wortlaut des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG eine Option zur Steuerpflicht in einer nachfolgenden Neufassung dieses Vertrages selbst dann aus, wenn diese gleichfalls notariell beurkundet wurde (vgl. , BStBl II 2017, 852).
Der Widerruf des Verzichts auf die Steuerbefreiung kann allerdings außerhalb dieser notariellen Urkunde erfolgen. Er ist möglich, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung noch anfechtbar oder noch nach § 164 AO änderbar ist.
Der Wortlaut des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG betrifft nur den auf die Steuerbefreiung (formal und auch zeitlich) begrenzten Verzicht. Die Regelung betrifft nicht den Widerruf.
Der Grundsatz, dass sowohl die Option als auch der Widerruf der Option (als actus contrarius) in gleicher Weise auszuüben sind, gilt nicht mehr nach der Rechtslage durch das HBeglG 2004 für die zeitliche Grenze der Ausübung des Wahlrechts.
Denn würde das Recht zum Widerruf des Verzichts auf die Steuerbefreiung gleichzeitig mit dem Verzicht der Steuerbefreiung ausgeübt werden müssen, wäre der Widerruf des Verzichts faktisch ausgeschlossen.
Der Zweck der Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG steht dem nicht entgegen: Die Regelung soll den Leistungsempfänger vor einem nachträglichen Verzicht des leistenden Unternehmers schützen, um eine nachträgliche Steuerschuld des Leistungsempfängers zu verhindern (BT-Drucks. 583/10, S. 13; BFH-Urteil in BFHE 251, 474, BStBl II 2017, 852, Rz 46 f.). Der Widerruf der Option führt dagegen zu einer Steuerbefreiung und damit nicht zu einer Belastung des Leistungsempfängers.
Darüber hinaus drohen insoweit auch keine Steuerausfälle, da nicht nur die Steuerlast beim Empfänger entfällt, sondern ggf. gleichzeitig auch sein Recht zum entsprechenden Vorsteuerabzug.
Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:
Die Entscheidung ist für die Praxis von Bedeutung. Dies gilt nicht nur deshalb, weil der XI. Senat hier vom (BStBl I 2017, 1240) unter Abschn. 9.2 Abs. 9 Satz 3 UStAE abweicht, sondern auch, weil der Gestaltungspielraum des Steuerpflichtigen, der auf die Steuerbefreiung für Grundstückslieferungen nach § 9 Abs. 1 UStG verzichtet hat, größer geworden ist.
Hat der Steuerpflichtige auf diese Steuerbefreiung verzichtet, kann er später diese Verzichtserklärung bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung oder der Änderbarkeit derselben nach § 164 AO widerrufen. Das sieht die Verwaltung anders. Danach ist ein nach Abgabe der Verzichtserklärung erfolgter Widerruf des Verzichts nicht möglich. Der Sinn und Zweck des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG steht der Ansicht des BFH - wie er auch begründet hat - nicht entgegen.
Für die Praxis ist zu beachten, dass in dem Fall, in dem im Berichtigungszeitraum eine steuerfreie Weiterveräußerung der Immobilie beabsichtigt ist, ein Widerruf des ursprünglichen Verzichts nach § 9 Abs. 1 UStG sinnvoll ist. Da der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet (heute nach §§ 13b Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG), dürfte er – wie im Besprechungsfall – kein Problem haben, den ursprünglichen Veräußerer zum Widerruf seiner Verzichtserklärung zu bewegen. Dem Leistungsempfänger schadet der Widerruf nicht, da zwar die Umsatzsteuer entfällt, jedoch auch gleichzeitig der Vorsteuerabzug, so dass es sich um ein Nullsummenspiel handelt.
Quelle: ; NWB Datenbank (il)
Fundstelle(n):
NWB SAAAH-93546