NWB Nr. 33 vom Seite 2401

Irreführende Werbung

Prof. Dr. Siegfried Grotherr | Direktor am Institut für Wirtschafts-prüfung und Steuerwesen der Universität Hamburg

Kritische Bemerkungen zum ATAD-Umsetzungsgesetz

Mit dem sog. ATAD-Umsetzungsgesetz (ATADUmsG) werden EU-Richtlinienvorgaben zur Ent- und Verstrickung, zur Wegzugsbesteuerung, zur Hinzurechnungsbesteuerung sowie zur Bekämpfung von hybriden Gestaltungen in deutsches Recht umgesetzt. Allein die Regelungen zu den hybriden Gestaltungen sollen zu jährlichen Steuermehreinnahmen von ca. 250 Mio. € führen, was zu neuen steuerlichen Belastungen für international tätige Unternehmen führen wird. Entgegenstehende völkerrechtliche Verträge in Form von Doppelbesteuerungsabkommen werden durch die neue Anti-Hybrid-Regelung „überfahren“ (treaty override).

Die Vorschriften zur Ent- und Verstrickung, zur Wegzugsbesteuerung sowie zu den hybriden Gestaltungen müssen nach den EU-Richtlinien ab dem angewendet werden. Das ATADUmsG ist jedoch durch gesetzgeberische Verzögerungen erst am im BGBl I S. 2035 verkündet worden, so dass der Gesetzgeber nunmehr die rückwirkende Anwendung der neuen Vorschriften anordnet, was er insofern verfassungsrechtlich als unproblematisch ansieht, als der Inhalt der neuen Regelungen bereits mit der Veröffentlichung des ersten Referentenentwurfs am allgemein bekannt war. Das kann man auch anders sehen.

Die in der Begründung zu findenden Ausführungen des Gesetzgebers, dass die Hinzurechnungsbesteuerung zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland zeitgemäß und rechtssicher ausgestaltet werden soll, darf getrost als „irreführende Werbung“ angesehen werden. Bereits die im internationalen Vergleich antiquiert wirkende Beibehaltung der Niedrigsteuergrenze von 25 %, die aus einer Zeit stammt, als der kumulierte Unternehmenssteuersatz noch bei rd. 70 % lag, führt eher zu internationalen Wettbewerbsnachteilen der deutschen Wirtschaft. Versäumt wurde auch eine grundlegende Reform des Aktivitätskatalogs, der mit der Digitalisierung der Geschäftsmodelle und des Wirtschaftslebens nicht Schritt halten kann.

Bei den nunmehr durch das AbzStEntModG reformierten Verrechnungspreisvorschriften nimmt der Gesetzgeber noch kleine „Reparaturen“ vor, die die Anwendung allerdings verkomplizieren. Die Änderungen bei der Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) dürfen tendenziell als steuerverschärfende Maßnahmen charakterisiert werden. Insbesondere die Ersetzung der unbegrenzten Stundung durch die ratierliche Steuerentrichtung in EU-/EWR-Wegzugsfällen stellt die Regelung vor die Frage der unionsrechtlichen Zulässigkeit und kann als internationales Mobilitätshindernis angesehen werden. Die neuen Regelungen zur Verstrickung, die bei Verlagerung von Wirtschaftsgütern ins Inland zu zusätzlichem Abschreibungspotenzial führen, sollen mit gewissen Steuerentlastungen (5-15 Mio. €) verknüpft sein, was aber eher fraglich erscheint, da gleichzeitig Entstrickungsregelungen verschärft werden. Der Rechtsanwender muss den unterschiedlichen Anwendungszeitpunkten der Regelungen des ATADUmsG besonderes Augenmerk schenken, um die neuen steuerlichen Pflichten erfüllen zu können.

Siegfried Grotherr

Fundstelle(n):
NWB 2021 Seite 2401
IAAAH-87000