BGH Beschluss v. - XIII ZB 52/19

Abschiebungshaft: Anforderungen an die Begründung des Haftantrags; Verletzung des Beschleunigungsgebots

Gesetze: § 74 Abs 5 FamFG, § 74 Abs 6 S 2 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 3 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 4 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 5 FamFG

Instanzenzug: LG Lüneburg Az: 6 T 98/18vorgehend AG Lüneburg Az: 101 XIV 220 Bnachgehend LG Lüneburg Az: 6 T 98/18 Beschluss

Gründe

1I. Der Betroffene ist kamerunischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im Jahr 2006 in das Bundesgebiet ein, um zunächst einen Sprachkurs zu absolvieren und im Anschluss zu studieren. Die ihm zu diesem Zweck erteilte Aufenthaltserlaubnis wurde mehrfach verlängert, zuletzt bis Februar 2011. Einen Antrag auf weitere Verlängerung lehnte die beteiligte Behörde ab. Sie forderte den Betroffenen auf, das Bundesgebiet zu verlassen und drohte ihm zugleich die Abschiebung an. Dieser Aufforderung kam der Betroffene nicht nach. Eine im Jahr 2011 von der beteiligten Behörde geplante Abschiebung scheiterte daran, dass der Betroffene in seiner Wohnung nicht angetroffen werden konnte. In der Folge war sein Aufenthaltsort den Behörden unbekannt. Einen gegen seine Abschiebung gerichteten Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht Hannover ab. Das Klageverfahren wurde eingestellt. Am wurde der Betroffene im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle aufgegriffen.

2Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum angeordnet. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht am nach Anhörung des Betroffenen und seiner Verlobten zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene, nachdem er am nach Kamerun abgeschoben worden ist, die Feststellung, in seinen Rechten verletzt zu sein.

3II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

41. Das Beschwerdegericht hat gemeint, der Haftantrag sei zulässig. Die beteiligte Behörde habe das Beschleunigungsgebot nicht verletzt.

52. Das hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

6a) Nicht zu beanstanden ist die Annahme des Beschwerdegerichts, der Haftantrag sei zulässig. Er genügt den Anforderungen des § 417 FamFG.

7aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, und vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).

8bb) Diesen Anforderungen genügte der Haftantrag der beteiligten Behörde, in dem sie dargelegt hat, dass die erforderliche Beschaffung von Passersatzpapieren bei Vorlage eines abgelaufenen Nationalpasses im Original - über den die beteiligte Behörde verfügte - grundsätzlich innerhalb von drei Monaten möglich sei, im vorliegenden Fall aber davon auszugehen sei, dass ein Passersatzpapier in zwei Monaten beschafft werden könnte. Insoweit bezog sie sich auf eine schriftliche Auskunft der Landesaufnahmebehörde Niedersachen vom . Einer weitergehenden Erläuterung, warum die Landesaufnahmebehörde eine kürzere als die "grundsätzliche" Bearbeitungszeit prognostizierte, bedurfte es nicht.

9b) Das Beschwerdegericht hat jedoch den Anforderungen des Beschleunigungsgebots nicht hinreichend Rechnung getragen.

10aa) Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde bei der Umsetzung der Abschiebung nicht aus (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 56/10, juris Rn. 13, und vom - V ZB 247/10, juris Rn. 7), verlangt aber, dass die Abschiebungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird und die Ausländerbehörde die Abschiebung ohne unnötige Verzögerung betreibt. Ein Verstoß kann vorliegen, wenn die Ausländerbehörde nicht alle notwendigen Anstrengungen unternimmt, um Passersatzpapiere zu beschaffen (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235, 239, und vom - V ZB 119/10, juris Rn. 18), und führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr weiter aufrechterhalten werden darf (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 205/09, juris Rn. 16; vom - V ZB 25/13, juris Rn. 6, und vom - XIII ZB 9/19, juris Rn. 12).

11bb) Gemessen an diesem Maßstab bestehen Zweifel daran, ob die beteiligte Behörde alles Erforderliche getan hat, um die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu begrenzen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb die Vorbereitung des an die kamerunischen Behörden zu richtenden Antrags auf Ausstellung von Passersatzpapieren nahezu drei Wochen gedauert hat. Zwar hat die beteiligte Behörde bereits am , dem Tag der Inhaftnahme des Betroffenen, die Vorbereitung dieses Antrags in Gang gesetzt. Die dafür zuständige Landesaufnahmebehörde Niedersachsen hat mit E-Mail vom um Vorlage weiterer Dokumente gebeten, die die beteiligte Behörde bereits einen Tag später übermittelte. Warum die Landesaufnahmebehörde dann erst am den Antrag fertiggestellt und das Verfahren zur Beschaffung eines kamerunischen Passersatzes eingeleitet hat, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Dass für die Vorbereitung des Antrags ein Passfoto vom Betroffenen erstellt und dieser den Antrag eigenhändig ausfüllen und unterschreiben musste, erklärt diesen Zeitraum, anders als das Beschwerdegericht meint, nicht. Vor diesem Hintergrund hätte es gemäß § 26 FamFG näher aufklären müssen, welche Schritte die zuständigen deutschen Behörden unternommen haben, um die Vorbereitung des Antrags zu beschleunigen. Die beteiligte Behörde hat sich dazu im Rechtsbeschwerdeverfahren auch nicht erklärt.

123. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da die Beurteilung, ob der Vollzug und die Aufrechterhaltung der Sicherungshaft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, weitere Sachverhaltsermittlungen erfordert (vgl. , juris Rn. 18). Die Sache ist daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Der Zurückverweisung steht nicht entgegen, dass der Betroffene zwischenzeitlich nach Kamerun zurückgeführt wurde. Die gebotene Gewährung rechtlichen Gehörs zu den vom Beschwerdegericht noch zu treffenden Feststellungen kann hier dadurch erfolgen, dass dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird; einer persönlichen Anhörung des Betroffenen zu dieser Frage bedarf es nicht (, InfAuslR 2017, 61 Rn. 8).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:230221BXIIIZB52.19.0

Fundstelle(n):
GAAAH-86730