BGH Beschluss v. - III ZB 34/20

Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand: Verspätete Einreichung der Berufungsbegründung wegen Nichtnutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs durch den Prozessbevollmächtigten

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 130a Abs 3 Alt 2 ZPO, § 130a Abs 4 Nr 2 ZPO, § 233 Abs 2 S 1 ZPO, § 234 ZPO, § 236 Abs 2 S 1 ZPO, § 520 ZPO, § 31a Abs 6 BRAO

Instanzenzug: OLG Rostock Az: 5 U 272/19vorgehend LG Schwerin Az: 5a O 53/17

Gründe

I.

1Die Klägerin macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage geltend. Sie begehrt insbesondere Rückzahlung von 10.000 € Zug um Zug gegen Rückübertragung erworbener Gesellschaftsanteile. Mit Urteil vom hat das Landgericht S.    die Klage abgewiesen. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, den Rechtsanwälten M.   und S.    (GbR), am zugestellt worden. Nach antragsgemäßer Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum hat Rechtsanwältin S.    am Tag des Fristablaufs zwischen 17.00 und 19.45 Uhr mehrfach versucht, die Berufungsbegründung per Telefax an das Oberlandesgericht R.    zu übersenden. Dies ist ebenso wenig wie in zwei weiteren gleichliegenden Parallelverfahren gelungen, weil das für Schriftsätze in Zivilsachen zur Verfügung stehende Faxgerät des Oberlandesgerichts seit dem Nachmittag des für mehrere Tage defekt gewesen ist. Da es trotz mehrerer Telefonate mit dem diensthabenden Justizwachtmeister nicht gelungen war, ein anderes empfangsbereites Faxgerät ausfindig zu machen, hat Rechtsanwältin S.    die eingescannte Berufungsbegründung (PDF-Datei) per E-Mail am um 19.28 Uhr (in den beiden Parallelverfahren um 19.26 Uhr bzw. 19.30 Uhr) an das Verwaltungspostfach des Berufungsgerichts übersandt, um zu dokumentieren, dass die Berufungsbegründung versandfertig gewesen ist. Die gerichtlichen Ausdrucke der E-Mail und der Berufungsbegründung, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts am erstellt worden sind, tragen den Stempelaufdruck "Oberlandesgericht R.     - per E-Mail - Eing.: 05. SEP. 2019". Das Original der Berufungsbegründung ist am bei Gericht eingegangen.

2Mit Schriftsatz vom , eingegangen bei Gericht am selben Tag, haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Nebenintervenientin, bei der es sich um die vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin handelt.

II.

3Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

41. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig.

5Zwar erfordert die Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (mehr), weil der Senat die insoweit von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen durch den in einer Parallelsache ergangenen Beschluss vom (III ZB 31/20, NJW 2021, 390) inzwischen geklärt hat. Jedoch macht die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verwehrt. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. st. Rspr.; siehe nur , NJW 2020, 2413 Rn. 6).

62. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

7Die Klägerin hat zwar die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Ihr war jedoch antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist für die Berufungsbegründung gehindert war (§ 233 ZPO) und rechtzeitig um Wiedereinsetzung nachgesucht hat (§ 234 ZPO).

8a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Wiedereinsetzungsantrag sei zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen des § 233 ZPO nicht vorlägen. Ein der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten liege darin, dass sie nicht alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung ergriffen habe. Sie habe zwar einen Großteil der Sorgfaltsanforderungen erfüllt. Dennoch sei ihr vorwerfbar eine frist- und formgerechte Vorlage der Berufungsbegründung beim Gericht nicht gelungen. Sie hätte, statt die eingescannte Berufungsbegründung an das für den Empfang formgebundener Schriftsätze in Zivilsachen nicht eröffnete Verwaltungspostfach des Gerichts zu senden, das besondere elektronische Anwaltspostfach verwenden können, um eine frist- und formgerechte Übersendung zu gewährleisten. Der Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei die Verwendung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs möglich und zumutbar gewesen. Sie sei zu dessen passiver Nutzung gesetzlich verpflichtet. Gemäß § 130a Abs. 3 Variante 2 ZPO hätte eine Einreichung der Berufungsbegründung über das besondere elektronische Anwaltspostfach als sicherem Übertragungsweg im Sinne von § 130a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 ZPO zur Fristwahrung ausgereicht. Da die Berufungsbegründung am Ende den Namen der Prozessbevollmächtigten enthalte, sei sie signiert i.S.v. § 130a Abs. 3 Variante 2 ZPO. Es sei von einer Prozessbevollmächtigten, der die Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs grundsätzlich zur Verfügung stehe, zu verlangen, dass sie diesen sicheren Übermittlungsweg nutze. Dass die Übermittlung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nicht möglich gewesen sei, habe die Klägerin nicht glaubhaft gemacht.

9Die Berufung sei gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da die Berufungsbegründung erst nach Ablauf der (verlängerten) Frist des § 520 Abs. 2 ZPO eingegangen sei. Die als Anhang an eine E-Mail noch am Tag des Fristablaufs übersandte Datei mit der unterzeichneten und eingescannten Berufungsbegründung habe die Frist nicht wahren können, da die angehängte Bilddatei erst nach Fristablauf ausgedruckt worden sei. Zur Rechtzeitigkeit des Eingangs komme es auf den Ausdruck an.

10b) Mit diesen Erwägungen kann der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht versagt werden. Zur Begründung nimmt der Senat vollumfänglich auf den Beschluss vom (III ZB 31/20, NJW 2021, 390 Rn. 7 ff) Bezug und führt lediglich ergänzend aus:

11aa) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Berufungsbegründung nach Ablauf der bis zum verlängerten Begründungsfrist und somit verspätet eingegangen ist. Die als Anhang zur E-Mail vom übersandte Berufungsbegründung ist erst am in der gemäß § 520 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 ZPO i.V.m. § 130 ZPO erforderlichen Schriftform eingegangen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Berufungsbegründung an diesem Tag vom Gericht ausgedruckt worden. Erst dadurch ist die Schriftform erfüllt worden (Senat aaO Rn. 7-9 unter Bezugnahme auf , NJW 2019, 2096 Rn. 12, 14 ff zur Unübertragbarkeit der höchstrichterlichen Grundsätze für die Übermittlung einer Rechtsmittelschrift per Telefax).

12bb) Die dagegen erhobenen Rügen der Klägerin sind unbegründet.

13Der auf den Ausdrucken vom angebrachte Eingangsstempel mit Vermerk "- per E-Mail -" und dem Datum "05. SEP. 2019" beweist gemäß § 418 Abs. 1 ZPO lediglich, dass die Dokumente an diesem Tag per E-Mail eingegangen sind, beinhaltet aber keine Aussage über den Zeitpunkt des Ausdrucks (Senat aaO Rn. 13).

14Ohne Erfolg macht die Klägerin ferner geltend, das Berufungsgericht hätte ihr vor Erlass der angefochtenen Entscheidung Gelegenheit geben müssen, zum Zeitpunkt des Ausdrucks der Berufungsbegründung Stellung zu nehmen, zumal nicht völlig ausgeschlossen sei, dass der zuständige Bedienstete des Berufungsgerichts zur Zeit des Eingangs der E-Mail Überstunden geleistet und den Ausdruck vollzogen habe. Zum einen hat das Berufungsgericht die Parteien bereits mit Schreiben vom darauf hingewiesen, dass "die noch am übermittelte E-Mail mit einer Datei der unterschriebenen Berufungsbegründung ... erst am Morgen des ausgedruckt worden" ist. Mit weiterem Hinweisschreiben vom , in dem das Berufungsgericht seine geänderte Rechtsauffassung zur Frage der Wiedereinsetzung mitteilte, hat es der Klägerin eine Stellungnahmefrist von drei Wochen eingeräumt. Diese hatte somit ausreichend Gelegenheit, auch zum Zeitpunkt des Ausdrucks der Berufungsbegründung vorzutragen. Zum anderen stellt die nunmehr angeführte Variante eines am Abend des Überstunden leistenden zuständigen Bediensteten eine bloße Spekulation ohne jeden Anhaltspunkt dar, so dass das Berufungsgericht dies bei seiner Prüfung der Zulässigkeit der Berufung nicht in Betracht ziehen musste (Senat aaO Rn. 14).

15cc) Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt. Ein der Klägerin zuzurechnendes (§ 85 Abs. 2 ZPO) Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten liegt nicht vor. Es ist insbesondere nicht darin zu sehen, dass sie die Berufungsbegründung am nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das Berufungsgericht gesandt hat, nachdem dies mittels Telefax nicht möglich war (Senat aaO Rn. 15 ff).

16Es erscheint zwar erwägenswert, bei einer gescheiterten Übermittlung mittels Telefax infolge Störung des gerichtlichen Empfangsgeräts auch einen anderen Übertragungsweg als zumutbar zu erachten, wenn dieser Weg sich aufdrängt und der hierfür erforderliche Aufwand geringfügig ist. In diesem Rahmen kommt eine Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach unter der Voraussetzung in Betracht, dass dieses von dem Prozessbevollmächtigten in der Vergangenheit bereits aktiv zum Versand von Schriftsätzen genutzt wurde und er dadurch unter Beweis gestellt hat, mit der Nutzung vertraut zu sein (Senat aaO Rn. 26). So liegt der Fall hier aber nicht.

17Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat glaubhaft gemacht (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), dass sie das besondere elektronische Anwaltspostfach bisher nicht zum Versand von Schriftsätzen verwendet hat und auch nicht mit dessen Nutzung vertraut ist. Aus den im Wiedereinsetzungsverfahren zulässigerweise nachgereichten Schriftsätzen vom und (vgl. Senat aaO Rn. 33 f) ergibt sich, dass sie der irrigen Meinung ist, eine aktive Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs setze stets das Vorhandensein einer Signaturkarte voraus. Eine solche werde in der Kanzlei jedoch nicht vorgehalten. Ohne eine qualifizierte Signatur sei die formwirksame Einreichung eines eine Unterschrift erfordernden Schriftsatzes nicht möglich. Diese Ausführungen sind sachlich unzutreffend, weil für eine aktive Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs durch den Anwalt selbst weder eine qualifizierte elektronische Signatur noch eine besondere Signaturkarte erforderlich ist. Gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 ZPO genügt eine einfache Signatur, nämlich die Wiedergabe des Namens am Ende des Textes (Senat aaO Rn. 31).

18Die mangelnde Vertrautheit und Erfahrung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit der aktiven Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs liegen nach alledem auf der Hand, so dass dieser Übermittlungsweg ihr nicht zuzumuten war.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:250221BIIIZB34.20.0

Fundstelle(n):
SAAAH-86337