BGH Beschluss v. - 6 StR 113/21

Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Notwendige Feststellungen zum ursächlichen Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat in einem Strafverfahren u.a. wegen erpresserischem Menschenraub

Gesetze: § 64 S 1 StGB, § 239a StGB, § 261 StPO, § 267 StPO, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG

Instanzenzug: LG Frankfurt (Oder) Az: 21 KLs 19/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung und mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie einen Vorwegvollzug von einem Jahr und drei Monaten der Freiheitsstrafe angeordnet. Die gegen das Urteil gerichtete und auf die Beanstandung der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Die Rüge einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter betreffend die Ablehnung eines Befangenheitsantrags entspricht dabei schon nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Denn der Beschwerdeführer teilt eine Verfügung und einen Vermerk nicht mit, auf die er sich zur Begründung seiner Beanstandung beruft (RB S. 22 f.).

32. Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen. Die zugrunde liegende Beweiswürdigung nimmt der Senat auch angesichts der Fülle von für die Täterschaft des Angeklagten streitenden Anzeichen noch hin. Er weist allerdings darauf hin, dass die schriftlichen Urteilsgründe nicht der Nacherzählung des Gangs der Hauptverhandlung dienen. Es ist Aufgabe des Tatgerichts, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und die Begründung seiner Entscheidung so zu fassen, dass der Leser die wesentlichen Erwägungen ohne aufwendige eigene Bemühungen erkennen kann (st. Rspr., vgl. etwa , NStZ 2007, 720). Damit ist es nicht vereinbar, wenn – wie hier – vielfach in der Hauptverhandlung erfolgte, teils sehr umfängliche Vorhalte wörtlich in die Urteilsurkunde eingesetzt werden, um danach auszuführen, wie sich der jeweilige Zeuge hierzu geäußert hat. Eine derartige Vorgehensweise lässt unter Umständen besorgen, dass das Beweisergebnis nicht (nur) aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) geschöpft worden ist, und kann den Bestand des Urteils gefährden.

43. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Allerdings ist eine gefährliche Körperverletzung mittels lebensgefährdender Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) – neben den zutreffend bejahten Verwirklichungsformen nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB – nicht hinreichend belegt. Entgegen der nicht näher begründeten Auffassung des Landgerichts ist der Einsatz von Schreckschusspistolen „in der Nähe des Kopfes“ nicht generell geeignet, das Leben eines anderen Menschen zu gefährden. Maßgebend sind auch insoweit die konkreten Umstände. Sofern das Landgericht auf den Schlag mit der Waffe abgestellt haben sollte, ergeben die Feststellungen nicht ohne Weiteres eine objektive Eignung zur Lebensgefährdung. Entsprechendes gilt für den Schlag mit dem Schlagring. Der Schuss hat sich ausweislich der Urteilsgründe versehentlich gelöst und den Geschädigten nicht gefährdet. Jedoch kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Annahme der Verwirklichung von „nur“ zwei Tatvarianten des § 224 Abs. 1 StGB eine geringere Strafe verhängt hätte.

54. Der Maßregelausspruch muss entfallen.

6a) Nach den Feststellungen warb der in erheblichem Ausmaß mit Drogen handelnde Angeklagte zwei Mittäter an, um bei dem Geschädigten, der für ihn Drogen verkauft hatte, „Schulden“ in Höhe von über 10.000 € einzutreiben. Über eine Bekannte ließ er das sich vor ihm verborgen haltende Tatopfer in eine Falle locken. Die von ihm mit einem Schlagring und einer Schreckschusspistole ausgerüsteten Mittäter verbrachten das Opfer in ein Auto, wo es unter Einsatz von Drohungen und Gewalt zur Zahlung veranlasst werden sollte. Im Auto wurde der Geschädigte mit dem Schlagring und dem Griff einer Pistole ins Gesicht geschlagen. Schließlich gelang ihm die Flucht.

7b) Das Landgericht hat – dem psychiatrischen Sachverständigen folgend – rechtsfehlerfrei angenommen, dass bei dem Angeklagten eine Polytoxikomanie besteht, die die Voraussetzungen eines Hangs im Sinne von § 64 Satz 1 StGB erfüllt. Gleichfalls ohne Rechtsfehler hat es eine schuldrelevante Intoxikation sowie Abhängigkeit des Angeklagten verneint. Die Frage, ob die Tat Symptomwert für den Hang aufweist, hat es dabei nicht erörtert. Die Urteilsgründe referieren lediglich die Wertung des Sachverständigen, dass „durchaus ein symptomatischer Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Delinquenz“ gegeben sei (UA S. 77).

8Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach ständiger Rechtsprechung muss die konkrete Anlasstat im Hang ihre Wurzel finden, also Symptomwert für diesen haben, indem sich in ihr die hangbedingte Gefährlichkeit des Täters äußert (vgl. etwa , NStZ 1991, 128; vom – 3 StR 443/18, NStZ-RR 2019, 308; Beschluss vom – 1 StR 604/16). Daran fehlt es hier. Es ist nicht festgestellt und liegt auch fern, dass sich der Angeklagte durch die Tat Geld zur Beschaffung von Betäubungsmitteln für seinen Eigenkonsum verschaffen wollte. Unter diesen Vorzeichen bedarf die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat besonderer hierfür sprechender Umstände (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 572/13, Rn. 4; vom – 4 StR 586/15, NStZ-RR 2016, 173, Urteil vom – 2 StR 331/19, NStZ-RR 2020, 208). Solche sind nicht ersichtlich. Vielmehr ging es dem Angeklagten bei seiner mit einiger Raffinesse geplanten Tat um Schuldeneintreibung, also um die Erzielung von Gewinn. Hinzu kommt, dass er einem seiner Mittäter die Gelegenheit geben wollte, durch die Mitwirkung an der Tat seine „Durchsetzungskraft“ zu beweisen. Gegebenenfalls sollte dieser die Drogenhandelsgeschäfte des Angeklagten übernehmen, aus denen sich der Angeklagte wegen Problemen mit dem Jugendamt vorübergehend zurückziehen wollte. Auch angesichts dessen spricht nichts dafür, dass gerade die Neigung des Angeklagten zum Betäubungsmittelmissbrauch, etwa auch „indirekt“ (vgl. MüKo-StGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 Rn. 39 mwN; LK-StGB/Schöch, 12. Aufl., § 64 Rn. 40), zu dem von ihm ins Werk gesetzten erpresserischen Menschenraub beigetragen hat (vgl. auch ; Beschluss vom – 4 StR 92/15 Rn. 14).

9c) Ferner hält die Bejahung einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies gilt schon deswegen, weil sich die Strafkammer die Wertung des Sachverständigen zu eigen gemacht hat, ein Therapieerfolg erscheine „nicht von vornherein ausgeschlossen“ (UA S. 77). Dieser Prognosemaßstab entspricht dem des § 64 Abs. 2 StGB aF, den das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1994 für verfassungswidrig erklärt hat (BVerfGE 91, 1). Dass das Landgericht später formelhaft den Gesetzeswortlaut des § 64 Satz 2 StGB wiedergibt, vermag keinen Ausgleich zu schaffen. Es ermangelt überdies jeglicher Erörterung der Frage, ob die ungünstigen Ausgangsbedingungen, die der Angeklagte aufgrund dissozialer und instabiler Persönlichkeitszüge und seiner Neigung zur Delinquenz aufweist, einem Therapieerfolg entgegenstehen. Auch zu einer etwaigen Therapiemotivation des Angeklagten kann den Urteilsgründen nichts entnommen werden.

10d) Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Verhandlung noch Feststellungen getroffen werden können, die die Anordnung der Maßregel rechtfertigen könnten. Die Revision des Angeklagten führt deshalb zum Wegfall der ihn beschwerenden Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (vgl. auch , NStZ-RR 2016, 113, 114).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:010621B6STR113.21.0

Fundstelle(n):
HAAAH-86144