BSG Beschluss v. - B 13 R 54/21 B

Instanzenzug: Az: S 5 R 155/18vorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 6 R 232/20 Urteil

Gründe

I

1Mit Urteil vom hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom begründet hat.

II

31. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung vom genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat darin weder die geltend gemachten Verfahrensmängel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) noch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet bzw dargelegt.

4a) Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; zB - juris RdNr 5; jüngst - juris RdNr 4). Zu beachten ist, dass der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden kann, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Den daraus abgeleiteten Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

5aa) Die Klägerin rügt als Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG), das LSG habe ihr Vorbringen zum Bestehen einer Non-Freezing Cold Injury (NFCI) - einer Erkrankung in Form von sonstigen, außerhalb einer Erfrierung liegenden Schäden durch niedrige Umgebungstemperatur - im Kern nicht erfasst. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hiervon ist bei vom Gericht entgegengenommenem Vorbringen der Beteiligten grundsätzlich auszugehen (vgl BVerfG <Kammer>; Beschluss vom - 1 BvR 1890/15 - SozR 4-1100 Art 103 Nr 4 RdNr 14 f). Da die Gerichte nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden brauchen, kann sich eine Gehörsverletzung insoweit nur aus den besonderen Umständen des Falles ergeben (vgl - BVerfGE 96, 205, 216 f = juris RdNr 44 mwN). Besondere Umstände liegen etwa vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl BVerfG <Kammer>; Beschluss vom - 1 BvR 1729/09 - juris RdNr 12 mwN). Derartige Umstände werden in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargetan.

6Die Klägerin trägt vor, das LSG sei aufgrund der Einschätzungen der im erstinstanzlichen Verfahren von Amts wegen beauftragen Sachverständigen V und B zu der Überzeugung gelangt, bei ihr würden lediglich qualitative Leistungseinschränkungen bestehen, so seien Arbeiten bei niedrigen Temperaturen oder an einem Kältearbeitsplatz nicht mehr möglich. Wie sie ua in der Berufungsbegründung ausgeführt habe, sei aber bereits ihr Leistungsvermögen für Arbeiten ohne Kälteexposition stark herabgesunken und letztlich aufgehoben. Dies habe einzig der Sachverständige H in dem auf ihren Antrag hin im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten nach Aktenlage zutreffend erkannt. Nur dieser habe sich nach ihrem Dafürhalten ausreichend mit der von ihm auch diagnostizierten NFCI befasst. Damit zeigt die Klägerin nicht auf, dass das LSG bei seiner Entscheidungsfindung auf den wesentlichen Kern ihres Vortrags zu dem aus ihrer Sicht verbliebenen Leistungsvermögen nicht eingegangen sei. Sie räumt im Gegenteil eine Reaktion des LSG auf ihr Berufungsvorbringen ein, indem sie anführt, das LSG habe im Berufungsurteil dargelegt, dass es der Einschätzung des Sachverständigen H nicht folge und keinen Anlass zu weiteren Sachverhaltsermittlungen im Hinblick auf eine NFCI sehe. Die Klägerin wendet sich im Grunde dagegen, dass das LSG ihrem Vorbringen zu den aus ihrer Sicht bestehenden weitergehenden, auch quantitativen Leistungseinschränkungen nicht gefolgt ist. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte indes nicht, der Ansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn also zu "erhören" (BVerfG <Kammer>; Beschluss vom - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN).

7Mit ihrem Vorbringen, das LSG verkenne, dass die von ihr ausführlich dargestellten starken physischen und psychischen Beschwerden durchweg bestehen und sich bei Kälte lediglich verschlimmern würden, rügt die Klägerin im Kern eine Verletzung der Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Hierauf kann aber eine Nichtzulassungsbeschwerde - anders als die Revision selbst - von vornherein nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Indem die Klägerin in diesem Zusammenhang kritisiert, das LSG habe keine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhalts veranlasst, sondern sich auf Sachverständigengutachten gestützt, in denen ihr Leiden nach ihrem Dafürhalten unzutreffend gewürdigt werde, erhebt sie letztlich eine Sachaufklärungsrüge. Deren Darlegungsanforderungen (hierzu sogleich unter bb) können nicht durch eine Rüge in anderer Gestalt umgangen werden, weil andernfalls die Beschränkungen, die § 160 Abs 2 Nr 3 SGG für die Sachaufklärungsrüge normiert, im Ergebnis ins Leere liefen (vgl - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7; - juris RdNr 15; - juris RdNr 11).

8bb) Die Klägerin rügt einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 103 Abs 1 Halbsatz 1 SGG), indem das LSG von weiteren Ermittlungen zu der ua vom Sachverständigen H diagnostizierten NFCI abgesehen habe. Für den Vorhalt, das Berufungsgericht habe seine Verpflichtung zur Amtsermittlung verletzt, bestehen spezifische Darlegungsanforderungen. Diese Verfahrensrüge muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das Berufungsgericht nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das Berufungsgericht mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl zB B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; - juris RdNr 6 mwN; jüngst - juris RdNr 4). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG ferner die Darlegung, dass ein - wie die Klägerin - bereits in der Berufungsinstanz anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; , B 13 R 285/17 B - juris RdNr 14 mwN). An diesen Erfordernissen richtet die Klägerin ihr Vorbringen nicht aus.

9Sie legt schon nicht dar, im Berufungsverfahren in Bezug auf eine NFCI einen Beweisantrag gestellt und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zumindest hilfsweise aufrechterhalten zu haben. Das lässt sich insbesondere nicht ihrem Vorbringen entnehmen, dem LSG habe sich weiterer Aufklärungsbedarf aufdrängen müssen angesichts ihrer Ausführungen, mit Ausnahme des Sachverständigen H habe keiner der beauftragten Sachverständigen die bei ihr bestehende Erkrankung in ihren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit ausreichend verstanden. Gleiches gilt für den erhobenen Vorwurf, den Sachverständigen V und B fehle die erforderliche fachliche Kompetenz zur Beurteilung einer NFCI. Damit rügt die Klägerin wiederum eine Verletzung der Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) durch das LSG. Hierauf lässt sich eine Nichtzulassungsbeschwerde wie ausgeführt nicht stützen. Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG offensichtlich für unzutreffend hält, kann ebenfalls nicht zur Revisionszulassung führen (stRspr; vgl zuletzt etwa - juris RdNr 13 mwN).

10b) Ebenso wenig wird in der Beschwerdebegründung die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache anforderungsgerecht dargelegt. Hierfür muss ein Beschwerdeführer ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; jüngst - juris RdNr 9; exemplarisch - SozR 3-1500 § 160a Nr 34, juris RdNr 6 mwN; vgl auch BVerfG <Kammer>; Beschluss vom - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 14 ff mwN). Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

11Die Klägerin formuliert als Rechtsfragen:

12Es sei dahingestellt, ob die Klägerin wegen des starken Einzelfallbezugs ihrer Fragen damit überhaupt hinreichend bestimmte und aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer anderen konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Sie legt jedenfalls die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht dar. Ihr hätte es oblegen, die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zu untersuchen und vorzubringen, warum sich ihrer Meinung nach die unterstellte Rechtsfrage damit nicht genügend beantworten lässt. Denn als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben ( - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; - juris RdNr 9). Die Klägerin hätte sich daher mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandersetzen müssen, derzufolge die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse zur Beweiswürdigung selbst gehört (vgl B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8; - juris RdNr 8) und ein Tatsachengericht beim Vorliegen sich widersprechender Gutachten nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet ist, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 9; - juris RdNr 9). Daran fehlt es.

13Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

142. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:220621BB13R5421B0

Fundstelle(n):
FAAAH-85339