BSG Beschluss v. - B 5 R 202/10 B

Unzulässige Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Amtsermittlungspflicht - Sachaufklärungsrüge - rechtliches Gehör - Gehörsrüge - sozialgerichtliches Verfahren

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 4 S 1 SGG, § 103 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 43 SGB 6

Instanzenzug: SG Nordhausen Az: S 3 R 1868/06vorgehend Thüringer Landessozialgericht Az: L 2 R 916/08 Urteil

Gründe

1Mit Urteil vom hat das Thüringer Landessozialgericht (LSG) einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung wurde Beschwerde zum BSG eingelegt. In der Beschwerdebegründung werden Verfahrensmängel geltend gemacht.

3Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

5Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

6Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

7Soweit - wie vorliegend - Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt werden, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, auf Grund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 160a RdNr 55).

9Damit hat der Kläger keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet. Denn im Rahmen eines Rentenverfahrens muss sich der Beweisantrag möglichst präzise mit dem Einfluss dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen befassen. Je mehr Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zum Beweisthema vorliegen, desto genauer muss der Antragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (Fichte, SGb 2000, 653, 656). Liegen mehrere Gutachten zum Gesundheitszustand und - daraus herleitend - zum verbliebenen Leistungsvermögen vor und hat sich dadurch bereits ein gewisses Leistungsbild manifestiert, bedarf es besonderer Angaben, weshalb die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich ist (Fichte, aaO). Hierfür muss der Beschwerdeführer gezielt zusätzliche Einschränkungen auf das verbliebene Leistungsvermögen durch weitere - oder bereits festgestellte - dauerhafte Gesundheitsbeeinträchtigungen "behaupten" und möglichst genau bezeichnen ("dartun"). Denn Merkmal eines Beweisantrags ist die Behauptung einer bestimmten entscheidungserheblichen Tatsache und die Angabe des Beweismittels für diese (zum Ganzen BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN, RdNr 8). Der abstrakte Hinweis auf einen "psychosomatischen Beschwerdekomplex" verdeutlicht nicht ansatzweise, welche Beschwerden (es fehlen zB Angaben zur Art, Häufigkeit, Dauer und Intensität der Beschwerden in bestimmten Körperregionen) welchen Einfluss auf das zeitliche und/oder qualitative Leistungsvermögen haben.

10Konkrete und detaillierte Ausführungen zum „psychosomatischen Beschwerdekomplex“ waren aber auch schon deshalb angezeigt, weil das Sozialgericht - wie aus der Beschwerdeschrift (Seite 1) hervorgeht - von Amts wegen "u.a. ein internistisch-psychosomatisches Gutachten des MR Dr. med. H. vom eingeholt" hatte. Lag damit bereits ein psychosomatisches Gutachten vor, so war das Berufungsgericht, das über Art und Zahl der einzuholenden Sachverständigengutachten nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet (§ 153 Abs 1, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 Zivilprozessordnung), zur weiteren Beweiserhebung auf psychosomatischem bzw neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nur verpflichtet, wenn das Vorgutachten grobe Mängel aufgewiesen oder unlösbare Widersprüche im Bereich der Befunderhebung enthalten hätte, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgegangen wäre oder Zweifel an der Sachkunde des Gutachters hervorgerufen hätte (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9). Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen. Dass das LSG den Schlussfolgerungen des Sachverständigen Dr. H. im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) - nicht in allen Teilen gefolgt ist, lässt weder auf grobe Mängel schließen noch an der Sachkunde des Gutachters zweifeln.

11Der Gehörsrüge (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) kommt demgegenüber keine eigenständige Bedeutung zu. Denn mit ihr macht der Kläger im Kern ebenfalls mangelhafte Sachaufklärung geltend. Zwar kann der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein, wenn die Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl BVerfG <Kammer> Beschlüsse vom - BVerfGK 12, 346, 350 f, vom , NVwZ 2008, 669, 670 und Nichtannahmebeschluss vom - NVwZ 2008, 780, jeweils mwN). Allerdings dürfen auch in diesen Fällen die besonderen gesetzlichen Anforderungen an die Sachaufklärungsrüge durch ein Ausweichen auf die Gehörsrüge nicht umgangen werden (Senatsbeschluss vom - B 5 KN 1/06 B - Juris RdNr 15; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 18 RdNr 6, 9). Andernfalls liefen die Beschränkungen, die § 103 SGG für die Sachaufklärungsrüge normiert, im Ergebnis leer (BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7). Deshalb hängt die Zulässigkeit der Beschwerde ausschließlich von den Voraussetzungen der Sachaufklärungsrüge ab. Den sich daraus ergebenden Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung - wie dargestellt - nicht gerecht.

12Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG).

13Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2010:280910BB5R20210B0

Fundstelle(n):
QAAAH-25225