Online-Nachricht - Donnerstag, 01.07.2021

Insolvenzrecht | Neuregelung zur Insolvenzsicherung (BMJV)

Zum tritt das Gesetz über die Insolvenzsicherung durch Reisesicherungsfonds (Reisesicherungsfondsgesetz – RSG) und zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften in Kraft. Das Gesetz sieht eine grundsätzliche Neuregelung der Insolvenzsicherung im Pauschalreiserecht vor und setzt Eckpunkte für eine Systemumstellung um, die die Bundesregierung am beschlossen hat. Nach einer Übergangsphase soll die Neuregelung für ab erfolgende Reisebuchungen verpflichtend sein.

Hintergrund: Die Insolvenzsicherung im Reiserecht war insbesondere in § 651r BGB geregelt. § 651r Abs. 1 BGB verpflichtet Reiseveranstalter, Vorsorge für den Fall ihrer Insolvenz zu treffen. Reiseveranstalter kommen dieser Verpflichtung üblicherweise durch den Abschluss einer Versicherung nach. Ebenfalls zulässig, aber bislang nicht gebräuchlich ist eine Bürgschaft. Im September und Oktober 2019 beantragten die deutschen Gesellschaften von Thomas Cook sowie die Tour Vital Touristik GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Alle insolventen Unternehmen hatten sich zur Absicherung der von den Reisenden geleisteten Zahlungen der Zurich Insurance plc bedient. Im Zuge dieses Schadensereignisses von außergewöhnlich hohem Ausmaß hat sich gezeigt, dass die dem Kundengeldabsicherer in § 651r Abs. 3 Satz 3 BGB eingeräumte Möglichkeit, seine Haftung pro Geschäftsjahr auf 110 Mio. € zu begrenzen, im Regelungskontext zu Rechtsunsicherheit führt und die Gefahr begründet, dass Reisende nicht richtlinienkonform entschädigt werden (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 10.6.2020).

Die EU-Richtlinie 2015/2302 (Pauschalreiserichtlinie) verpflichtet Reiseveranstalter, für den Fall ihrer Insolvenz die von den Reisenden erhaltenen Vorauszahlungen sowie den vertraglich zugesagten Rücktransport der Reisenden abzusichern. Die Absicherung konnte bislang durch Versicherungen oder Bankbürgschaften/-garantien erfolgen, wobei die Haftung der Versicherung oder Bank für die von ihr in einem Geschäftsjahr insgesamt zu erstattenden Beträge auf 110 Mio. € pro Jahr begrenzt werden konnte. Die Insolvenz des Thomas-Cook-Konzerns hat Anlass gegeben, das System zu überprüfen und eine Neuregelung zu erarbeiten.

Die nunmehr in Kraft getretene Neuregelung sieht folgende Kernpunkte vor:

  • Die Insolvenzsicherung bei Pauschalreisen soll künftig über einen Reisesicherungsfonds erfolgen. Lediglich für kleine Unternehmen mit einem jährlichen Pauschalreiseumsatz von weniger als 10 Millionen Euro bleibt eine Absicherung außerhalb des Fonds, beispielsweise mittels einer Versicherung oder Bürgschaft, zulässig. Für alle anderen Reiseveranstalter – also für Reiseveranstalter mit einem jährlichen Pauschalreiseumsatz ab 10 Millionen Euro – gilt, dass diese einen Absicherungsvertrag mit dem Reisesicherungsfonds abschließen müssen. Voraussetzung ist wie nach geltendem Recht, dass der jeweilige Reiseveranstalter gesetzlich zur Insolvenzsicherung verpflichtet ist. Das ist der Fall, wenn er Vorauszahlungen fordert oder annimmt und/oder der Pauschalreisevertrag eine Rückbeförderung des Reisenden umfasst. Der Reisesicherungsfonds gewährleistet dann im Verhältnis zum Reisenden die Erfüllung der Pflichten des Reiseveranstalters zur Erstattung der Vorauszahlungen und zum Rücktransport der Reisenden. Die neuen Regelungen gelten entsprechend auch für Vermittler verbundener Reiseleistungen.

  • Das Fondsvermögen muss künftig die Insolvenz des umsatzstärksten Reiseanbieters sowie eines weiteren Reiseanbieters mittlerer Umsatzgröße abdecken. Es müssen jedoch immer mindestens 15 % des Gesamtmarktes abgedeckt sein. Liegt die Summe der Marktanteile des größten und des mittleren Reiseanbieters darunter, ist die Mindestabdeckung von 15 % maßgeblich. Der mögliche Maximalverlust im Insolvenzfall wird mit 22 % des Umsatzes angenommen, den ein abgesicherter Reiseanbieter mit Pauschalreisen oder der Vermittlung verbundener Reiseleistungen erzielt. Das Fondsvermögen wird aus den Entgelten der Reiseanbieter gebildet. Während der Aufbauphase gilt dies uneingeschränkt, anschließend kann ein Viertel des erforderlichen Kapitals auch durch eine unwiderrufliche Kreditzusage gebildet werden. Insgesamt – einschließlich der Sicherheitsleistungen – soll der Fonds bis zum über ein Zielkapital-Volumen von 750 Millionen Euro verfügen. Die Höhe der Entgelte ist vom Fonds entsprechend festzusetzen, sie muss in der Aufbauphase aber mindestens 1 % des Umsatzes der Reiseanbieter betragen. Der Staat sichert den Reisesicherungsfonds während der Aufbauphase durch eine Bürgschaft oder Garantie für einen Kredit ab, den der Reisesicherungsfonds im Schadensfall aufnehmen muss. Die staatliche Absicherung gilt bis und deckt die Differenz zwischen dem vorhandenen Fondsvermögen zuzüglich der Sicherheiten und dem Zielkapital ab.

  • Der Reisesicherungsfonds kann als Voraussetzung für den Abschluss eines Absicherungsvertrages mit einem Reiseanbieter verlangen, dass der Reiseanbieter eine individuelle Sicherheitsleistung stellt. Diese kann in Form einer Versicherung oder Bankgarantie (jeweils zugunsten des Fonds) beigebracht werden. Sie beträgt in der Aufbauphase des Fonds (bis zum ) pauschal mindestens 5 % des Jahresumsatzes. Nach Ende der Aufbauphase entscheidet grundsätzlich der Fonds über die Höhe der Sicherheiten. Vorgaben für Mindest- und Höchstsätze der Sicherheitsleistung können jedoch bei Bedarf per Verordnung geregelt werden.

  • Die Aufsicht über den Reisesicherungsfonds wird das BMJV übernehmen. Zunächst wird das BMJV – sofern die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen – eine Erlaubnis für den Betrieb des Reisesicherungsfonds erteilen. Die Aufnahme des Geschäftsbetriebs soll dann spätestens zum erfolgen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann das BMJV die Aufsicht über den Reisesicherungsfonds auf das Bundesamt für Justiz übertragen.

  • Die bislang bestehende Möglichkeit der Kundengeldabsicherer, ihre Haftung auf 110 Mio. € zu begrenzen, wird durch eine Änderung des § 651r BGB gestrichen. Der Reisesicherungsfonds haftet für Insolvenzschäden der bei ihm abgesicherten Reiseanbieter mit dem gesamten Fondsvermögen. Auch Versicherer und Kreditinstitute, die als Absicherer tätig werden, haften grundsätzlich unbegrenzt. Sie dürfen ihre Einstandspflicht nur bei Kleinstunternehmen mit absicherungspflichtigen Umsätzen von weniger als 3 Mio. € begrenzen, und zwar auf 1 Mio. € für jeden Insolvenzfall. Für diese Gruppe von Unternehmen liegen genügend aussagekräftige Daten vor, um die zu erwartenden Schäden mit hinreichender Sicherheit einschätzen und den danach angemessenen Höchstbetrag festlegen zu können. Für Unternehmen mit Umsätzen von 3 Mio. € oder mehr ist dies dagegen nicht der Fall, so dass eine Haftungsbegrenzung hier nicht möglich ist.

Hinweis

Das RSG ist hier abrufbar. Die Rechtsverordnung ist hier abrufbar.

Quelle: BMJV Newsletter v. (JT)

Fundstelle(n):
NWB ZAAAH-82480