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Prognoseberichterstattung bei außergewöhnlicher Unsicherheit
Erläuterung geltender Vorgaben mit Praxisbeispielen zur anforderungsgerechten Umsetzung
[i]Wiechers, Anforderungen ordnungsgemäßer Lageberichterstattung, BBK 8/2021 S. 387 NWB IAAAH-75388 Im Prognosebericht sind gem. § 289 Abs. 1 Satz 4 HGB die voraussichtlich künftige Entwicklung und die dabei zugrunde liegenden Annahmen zu erläutern. Dies gilt auch in Zeiten mit außergewöhnlich hoher Unsicherheit wie in der gegenwärtigen Coronavirus-Pandemie. Ist jedoch die Prognosefähigkeit der Unternehmen aufgrund gesamtwirtschaftlicher Umstände wesentlich beeinträchtigt, so sind gewisse Erleichterungen bei der Prognosegenauigkeit vertretbar. Im Folgenden werden die geltenden Vorgaben erläutert und mithilfe von Praxisbeispielen aus aktuellen Geschäftsberichten aufgezeigt, wie ein Prognosebericht auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten mit außergewöhnlichen Prognoseunsicherheiten anforderungsgerecht und ohne das Risiko einer nachträglichen Korrektur erstellt werden kann.
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I. Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die Berichterstattung
[i]Auswirkungen der Corona-KriseDie Coronavirus-Pandemie hat die Welt nach wie vor im Griff: Mittlerweile wurden gegen die Krankheit zwar Impfstoffe entwickelt und zugelassen, ihre Verabreichung an die (Welt-)Bevölkerung wird aber noch eine Zeit lang dauern. Daher ist ein Ende der Pandemie immer noch nicht hinreichend verlässlich absehbar. Das beeinflusst auch die betriebliche Finanzberichterstattung, u. a. im sog. Prognosebericht als Teil des Lageberichts.
Nicht [i]Prognoseberichte müssen korrigiert werdenwenige Unternehmen haben ihre ursprünglichen Prognosen für das Geschäftsjahr 2020 bzw. 2020/2021 im weiteren Zeitverlauf mit Verweis auf die „große Ungewissheit“ über die zukünftigen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die wirtschaftliche Entwicklung bereits korrigiert oder gänzlich zurückgezogen. S. 585Ähnliches ist auch bei anstehenden Prognosen für das Geschäftsjahr 2021 bzw. 2021/2022 absehbar.
Nach [i]Pflicht zur Prognoseberichterstattungden gesetzlichen Vorgaben für die Berichterstattung im Lagebericht über die voraussichtliche Entwicklung (Prognoseberichterstattung oder Prognosebericht) gibt es dafür keine Ausnahmen – auch nicht in einer solch unsicheren Situation wie derzeit. Daher widmet sich der Beitrag der Frage, wie eine Prognoseberichterstattung anforderungsgerecht und zugleich ohne das Risiko einer nachträglichen Korrektur der ursprünglichen Prognosen umgesetzt werden kann.
Dazu skizziert der Beitrag zunächst, welche Anforderungen an den Prognosebericht gesetzlich formuliert sind einschließlich Überlegungen der Gesetzesverfasser dazu (Abschnitt II) und erläutert darauf folgend, wie sich diese Anforderungen inhaltlich generell sowie bei außergewöhnlicher Unsicherheit konkretisieren lassen (Abschnitt III). Anschließend wird anhand von aktuellen Praxisbeispielen gezeigt, wie diese Anforderungen an den Prognosebericht in der gegenwärtigen Zeit außergewöhnlicher Unsicherheit über die künftige Entwicklung konkret umgesetzt werden können und welche Möglichkeiten sich davon besonders eignen, um eine nachträgliche Prognosekorrektur zu vermeiden (Abschnitt IV).
II. Gesetzliche Anforderungen an den Prognosebericht
[i]Kirsch, Lagebericht und Konzernlagebericht (HGB), infoCenter NWB ZAAAC-45536 Gesetzliche Anforderungen an den Prognosebericht von Einzel-Unternehmen sind in § 289 Abs. 1 Satz 4 HGB normiert. Nach dem Wortlaut der Vorschrift
„... ist im Lagebericht die voraussichtliche Entwicklung... zu beurteilen und zu erläutern; zugrunde liegende Annahmen sind anzugeben.“
Entsprechendes gilt nach § 315 Abs. 1 Satz 4 HGB für den Prognosebericht der Konzerne im Konzernlagebericht; beide Vorschriften sind im Wortlaut identisch formuliert. Weitere Anforderungen an den Prognosebericht sind gesetzlich nicht normiert.
Somit beziehen sich die gesetzlichen Anforderungen an den Prognosebericht nur auf inhaltliche Aspekte; formale Aspekte sind gesetzlich ungeregelt. Sie sind für alle Unternehmen oder Konzerne gleich und gelten unabhängig von ihrer Größe, ihrer Rechtsform oder dem Wirtschaftszweig, in dem sie tätig sind. Ausnahmen davon sind gesetzlich nicht formuliert, weder zum Schutz der Unternehmen oder Konzerne noch abhängig vom Grad der Prognoseunsicherheit oder aus anderen Gründen.
[i]VorsichtsprinzipNach den Überlegungen der Gesetzesverfasser ist die voraussichtliche Entwicklung des Unternehmens oder Konzerns in Form einer Prognose darzustellen, mit Bezug auf die Entwicklung der Ertragslage sowie Besonderheiten der Entwicklung der Vermögens- und Finanzlage. Um falsche Erwartungen zu vermeiden, soll eine solche Prognose vorsichtig sein. Über die Angabe der verwendeten Annahmen sollen die den zukunftsbezogenen Aussagen im Lage- oder Konzernlagebericht zugrunde liegenden wesentlichen Prämissen für die Adressaten transparent gemacht werden, um die Entscheidungsnützlichkeit der Berichterstattung zu erhöhen und Soll-/Ist-Vergleiche zu ermöglichen.
[i]Keine Ausnahmeregelungen in KrisenzeitenAls Ergebnis dieser kurzen Betrachtung kann mit Blick auf das Beitragsthema also Folgendes festgehalten werden:
Ein Prognosebericht ist Pflichtinhalt aller Lage- oder Konzernlageberichte,S. 586
ein Verzicht auf den Prognosebericht aufgrund besonderer Umstände wie außergewöhnliche Unsicherheit über die voraussichtliche Entwicklung ist ausgeschlossen und
spezielle inhaltliche Anforderungen an den Prognosebericht in einem solchen Fall sind gesetzlich nicht formuliert.
Daher wird im Folgenden kurz erläutert, wie die gesetzlich verlangten inhaltlichen Anforderungen an den Prognosebericht allgemein und auch speziell für die Berichterstattung bei außergewöhnlicher Unsicherheit über die voraussichtliche Entwicklung konkretisiert werden können. Den Erläuterungen werden Verlautbarungen des DRSC und von wp.net zur Aufstellung des (Konzern-)Lageberichts zugrunde gelegt.
III. Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen an den Prognosebericht
1. Konkretisierung und Erläuterungen im DRS 20
[i]Philipps, Prognose im Lagebericht nach DRS 20, BBK 22/2013 S. 1054 NWB UAAAE-48193 Wichtige Erläuterungen zum Inhalt des Prognoseberichts enthält der Deutsche Rechnungslegungs Standard 20 (DRS 20) „Konzernlagebericht“. Infolge der Bekanntmachung des Standards vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesanzeiger wird bei Beachtung seiner Regelungen die Einhaltung der Grundsätze ordnungsmäßiger Konzernlageberichterstattung vermutet (§ 342 Abs. 2 HGB).
Die inhaltlichen Anforderungen an den Prognosebericht in § 289 Abs. 1 Satz 4 HGB und an den Konzernprognosebericht in § 315 Abs. 1 Satz 4 HGB sind vom Wortlaut her identisch formuliert; dazu wird auch auf Abschnitt II verwiesen. Dass die Gesetzesverfasser gleichwohl im inhaltlichen Verständnis beider Vorschriften bzw. in ihrer Auslegung differenzieren wollten, haben sie nicht zum Ausdruck gebracht. Daher eignet sich DRS 20 über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus auch für die inhaltliche Konkretisierung des Prognoseberichts für das einzelne Unternehmen; die entsprechende Anwendung wird vom DRSC empfohlen (DRS 20.2). Verbindlich ist dies gleichwohl nicht, selbst nicht im originären Anwendungsbereich, der Aufstellung des Konzernlageberichts, denn mit dem Wortlaut des § 342 Abs. 2 HGB wird dabei die Einhaltung von DRS 20 nicht zwingend verlangt.
[i]Inhaltliche Anforderungen nach DRS 20Ungeachtet dessen unterstützt die Anwendung des DRS 20 zweifellos die von den Gesetzesverfassern bei Formulierung der inhaltlichen Anforderungen an den Prognosebericht gewollte Entscheidungsnützlichkeit seiner Informationen; auch dazu wird auf Abschnitt II verwiesen.
Abb. 1 auf der folgenden Seite stellt inhaltliche Konkretisierungen der Anforderungen an den Prognosebericht durch DRS 20 im Überblick dar.
Nach [i]Qualifizierte Angaben zu erwarteten Veränderungendiesem Verständnis soll also die in §§ 289 Abs. 1 Satz 4 und 315 Abs. 1 Satz 4 HGB geforderte Beurteilung und Erläuterung der voraussichtlichen Entwicklung der Unternehmen oder Konzerne u. a. erwartete Veränderungen ihrer wirtschaftlichen Situation im Prognosezeitraum deutlich machen und ihre Prognosen (zusammenfassend) auch zu einer Gesamtaussage verdichten. Im Hinblick auf die erwarteten Veränderungen sollen im Regelfall Informationen zu ihrer Richtung (positiver/negativer Trend) und ihrer Intensität (Stärke) im Vergleich zum abgelaufenen Geschäftsjahr gegeben werden. Dafür kommen Punktprognosen, Intervallprognosen oder qualifiziert komparative Prognosen in Betracht (DRS 20.128 - 130). S. 587
Beispiele:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Art der Prognose | Gegenstand der Prognose | Erwartete Veränderung (Richtung und Intensität) |
Punktprognose | EBIT | + 3 % |
Intervallprognose | EBIT | + 1 % bis 5 % |
qualifiziert komparative Prognose | EBIT | leichter Anstieg |
Abb. 2: Beispielhafte Darstellung der Prognosearten nach DRS 20 im „Regelfall“
2. Wahl der Prognoseart bei außergewöhnlicher Unsicherheit
[i]Erleichterungen bei UnsicherheitDRS 20.133 formuliert Erleichterungen für Prognosen in außergewöhnlich unsicheren Zeiten:
„Wenn besondere Umstände dazu führen, dass in Bezug auf die zukünftige Entwicklung aufgrund gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen außergewöhn lich hohe Unsicherheit besteht und daher die Prognosefähigkeit der Unternehmen wesentlich beeinträchtigt ist, sind komparative Prognosen oder die Darstellung der voraussichtlichen Entwicklung... in verschiedenen Zukunftsszenarien unter Angabe ihrer jeweiligen Annahmen ausreichend. In diesem Fall sind die besonderen Umstände sowie deren Auswirkungen auf die Prognosefähigkeit, den Geschäftsverlauf und die Lage... darzustellen.“
Zur [i]Weniger konkrete Aussagen zulässigErleichterung sind also Abweichungen von den Prognosearten im Regelfall und Trendaussagen in einer allgemeineren und gegenüber dem Regelfall weniger konkreten Form vertretbar – Leerformeln sollen allerdings vermieden werden –, wenn durch besondere Umstände S. 588
in Bezug auf die künftige Entwicklung eines Unternehmens oder Konzerns aufgrund gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen eine außergewöhnlich hohe Unsicherheit besteht (Voraussetzung 1) und
infolgedessen ihre Prognosefähigkeit wesentlich beeinträchtigt ist (Voraussetzung 2).
Daher [i]Prognosearten bei Unsicherheitkommen unter den genannten und kumulativ geltenden Voraussetzungen in Betracht:
entweder komparative Prognosen mit Angabe nur der Richtung, nicht aber auch der Intensität einer erwarteten Entwicklung
oder alternativ dazu die Darstellung der voraussichtlichen Entwicklung in verschiedenen Zukunftsszenarien mit Angabe ihrer zugrunde gelegten Annahmen, aber ohne ihre ggf. angenommenen Wahrscheinlichkeiten.