BVerwG Urteil v. - 7 A 2/19

Antrag auf Änderung eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses

Gesetze: § 51 VwVfG, § 72 Abs 1 Halbs 2 VwVfG, § 74 Abs 2 S 1 VwVfG, § 75 Abs 2 S 2 VwVfG, § 60 Abs 3 VwGO, Art 19 Abs 4 GG

Tatbestand

1Der Kläger begehrt zur Vermeidung erhöhter Sturmflutrisiken eine Entscheidung über die Änderung des Planfeststellungsbeschlusses zur Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe. Der Kläger ist Nießbrauchsberechtigter eines Einfamilienhausgrundstücks in C.

2Der Planfeststellungsbeschluss betrifft die sogenannte Bundesstrecke von Tinsdal (km 638,9) bis zur Elbmündung (km 755,3); Vorhabenträgerin für diesen Streckenabschnitt ist die Bundesrepublik Deutschland. Mit dem Ausbauvorhaben soll der Zugang zum Hamburger Hafen so verbessert werden, dass Containerschiffe mit einem Tiefgang von 13,5 m in Salzwasser die Elbe zukünftig tideunabhängig befahren können. Für 14,5 m tiefgehende Containerschiffe soll das Zeitfenster für den tideabhängigen Verkehr vergrößert werden. Die Pläne für die Bundesstrecke wurden mit Beschluss vom unter Anordnung verschiedener Auflagen festgestellt und bekanntgemacht.

3Der Kläger hat am bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Klage erhoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen. Mit Gerichtsbescheid vom hat das Bundesverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat mündliche Verhandlung beantragt und trägt vor:

4Sein Anliegen beziehe sich nicht nur auf seinen Beweisantrag im Erörterungstermin im Mai 2009 zu der Frage, ob die vorgesehenen Umlagerungen von Baggergut sich auf deichgefährdende Umstände im Bereich C. auswirkten, sondern ziele darauf ab, ob der Planfeststellungsbeschluss aufgrund zugelassener, in Naturvorgänge und Schutzvorkehrungen eingreifender Maßnahmen zu ändern sei. Seine Klage sei wegen der zwischenzeitlichen Veränderung der Erkenntnislage nicht verspätet. Es lägen neue wissenschaftliche Forschungsergebnisse über die Meeresspiegelerhöhung und Erkenntnisse zum Seeunfallgeschehen vor. Eine Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses durch Maßnahmen, die das Sturmflutrisiko verminderten, sei nicht Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses gewesen. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens werde nicht angestrebt, weil der Kläger erwarte, dass die Beklagte die Lückenhaftigkeit des Planfeststellungsbeschlusses jetzt anerkenne und korrigiere. Sein Antrag richte sich auch nicht auf nachträgliche, außerhalb des Planfeststellungsverfahrens erfolgende Schutzauflagen oder Anordnungen.

5Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, nach Wiedereintritt in das Erörterungsverfahren und Beweiserhebung über zu erwartende erhöhte Sturmflutrisiken darüber zu entscheiden, ob der Planfeststellungsbeschluss "für die Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe für 14,5 m tiefgehende Containerschiffe" der WSD Nord vom (Az. P-143.3/46) zur Vermeidung dieser Risiken und Nachteile zu ändern ist, insbesondere dadurch, dass von der Zulassung der geplanten Ausbaggerung des Elbfahrwassers vor Cuxhaven und seewärts und der Ablagerungen im Neuen Luechtergrund abgesehen wird,

hilfsweise,

dass hier nur reduzierte Vertiefungen bzw. Ablagerungen zugelassen werden,

ganz hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, den bezeichneten Planfeststellungsbeschluss im Wege der Planergänzung um den Vorbehalt der Anordnung solcher Auflagen und einer nach ihrer Maßgabe abschließenden Entscheidung zu ergänzen.

6Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Gründe

7Die Klage ist unzulässig.

8Der Planfeststellungsbeschluss vom ist in Bestandskraft erwachsen und nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar. Die diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten zu Fragen der Zustellung und der Klagefrist hat der Kläger nicht in Zweifel gezogen.

91. Gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 VwVfG werden durch die Planfeststellung alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt. Nach § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG sind Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen. Diese Duldungswirkung (vgl. 9 A 4.13 - BVerwGE 149, 31 Rn. 15) gilt umfassend. Mit der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses sind weitere Einwendungen oder die Durchsetzung bereits erhobener Einwendungen nicht mehr möglich. Anderes wäre allenfalls denkbar, wenn sich die Planfeststellungsbehörde gemäß § 74 Abs. 3 Halbs. 1 VwVfG die abschließende Entscheidung hätte vorbehalten wollen. Ein solcher Vorbehalt hätte jedoch in dem Planfeststellungsbeschluss selbst erfolgen müssen. Die anlässlich des Erörterungstermins vom 4. bis protokollierte Äußerung, nach der über den Beweisantrag des Klägers im weiteren Verfahren entschieden werde, stellt keinen solchen Vorbehalt dar. Der Kläger hätte im Hinblick auf seinen Beweisantrag somit um Rechtsschutz unmittelbar gegen den Planfeststellungsbeschluss vom nachsuchen müssen.

10Nichts anderes gilt hinsichtlich des während des Erörterungstermins gestellten Beweisantrags. Diesem Anliegen steht ebenfalls die Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses entgegen. Mit dem Planfeststellungsbeschluss ist die Planfeststellungsbehörde gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 VwVfG gehalten, über jegliche vorgebrachten Einwendungen zu entscheiden, über die bei der Erörterung vor der Anhörungsbehörde keine Einigung erzielt worden ist. Dabei muss sich die Planfeststellungsbehörde nicht ausdrücklich, jedoch der Sache nach mit den Einwendungen befassen. Erfolgt dies nicht oder unzureichend, ist hiergegen fristgemäß der Klageweg zu beschreiten. Dies ist nicht geschehen.

11Soweit sich der Kläger auf mangelndes Verschulden hinsichtlich der Nichtrechtzeitigkeit seiner Klageerhebung beruft, weil er von der Berücksichtigung seines Anliegens in dem Klageverfahren der Stadt Cuxhaven (u.a.) zum Hochwasserschutz ausgegangen sei, der Senat einen Abwehranspruch der Stadt aber verneint und zur Geltendmachung nur den jeweils zuständigen Deichverband als befugt angesehen habe ( 7 A 17.12 - BVerwGE 161, 17 Rn. 59 f.), ist ihm bereits deshalb keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO zu gewähren, weil die Klage nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 60 Abs. 3 VwGO, wonach nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist der Wiedereinsetzungsantrag unzulässig ist, erhoben worden ist. Für das Vorliegen höherer Gewalt, die einer Klageerhebung entgegenstanden hätte, ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich.

122. Ein der Sache nach von dem Kläger angestrebtes Wiederaufgreifen des Verfahrens gibt es im Planfeststellungsverfahren nicht. Die Anwendung des § 51 VwVfG ist gemäß § 72 Abs. 1 Halbs. 2 VwVfG für das Planfeststellungsverfahren ausgeschlossen. Da § 51 VwVfG insgesamt nicht anzuwenden ist, ist auch ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne ausgeschlossen ( 4 A 2.15 - BVerwGE 155, 81 Rn. 42).

133. Treten nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens nach der Bestandskraft des festgestellten Plans auf, kann der Betroffene gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die nachteiligen Wirkungen ausschließen. Der Kläger beruft sich zwar auf nach Ergehen des Planfeststellungsbeschlusses erzielte Forschungsergebnisse über die Meeresspiegelerhöhung und Unfallgeschehen in der Containerschifffahrt, auf nachträgliche Schutzauflagen oder Anordnungen sei sein Antrag aber nicht gerichtet. Soweit er geltend macht, dass sich die Umstände nicht erst nach Unanfechtbarkeit des Plans ergeben hätten, weil mehrere rechtzeitig eingeleitete Klageverfahren anhängig gewesen seien, ist diese Auffassung rechtsirrig. Ihm gegenüber ist, wie oben dargelegt, der Planfeststellungsbeschluss in Bestandskraft erwachsen.

144. Soweit der Kläger sich in der mündlichen Verhandlung auf den Mülheim-Kärlich-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts berufen hat ( - BVerfGE 53, 30 <63>), kann diese Entscheidung seiner Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Zwar hat die Anwendung von Verfahrensvorschriften nach dieser Rechtsprechung den verfassungsrechtlichen Maßstäben zu genügen, so dass im dortigen Verfahren die drittschützende Wirkung der Normen des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens zu beachten war. Eine Grundrechtsverletzung kommt deshalb in Betracht, wenn die Genehmigungsbehörde solche Verfahrensvorschriften außer Acht lässt, die der Staat in Erfüllung seiner Pflicht zum Schutz der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG genannten Rechtsgüter erlassen hat. Keinesfalls dürfen Gerichte bei der Überprüfung von atomrechtlichen Genehmigungsbescheiden ohne Weiteres davon ausgehen, dass ein klagebefugter Dritter zur Geltendmachung von Verfahrensverstößen in der Regel nicht befugt sei.

15Ein hiermit vergleichbarer Fall liegt nicht vor. Hier stehen der Ablauf von Rechtsbehelfsfristen und die Bestandskraft eines Verwaltungsakts in Rede. Gegen solche Fristen bestehen aus Gründen der Rechtssicherheit keine verfassungsrechtlich durchgreifenden Bedenken (vgl. - BVerfGE 60, 253 <270>). Eine gesetzliche Regelung, die es dem Betroffenen zumutet, den gegen eine Entscheidung möglichen Rechtsschutz innerhalb einer bestimmten Frist zu suchen, verstößt deshalb nicht gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (vgl. Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 74 Rn. 5).

16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:170221U7A2.19.0

Fundstelle(n):
VAAAH-78800