Altvertrag über eine Lebensversicherung im sog. Policenmodell: Belehrung über eine für den Versicherungsnehmer vorteilhafte Widerspruchsfrist; konkurrierende Widerspruchsrechte; Verwirkung des Widerspruchsrechts
Gesetze: § 5 Abs 1 aF VVG, § 5a Abs 1 S 1 VVG vom , Art 31 Abs 1 EWGRL 96/92, Art 36 Abs 1 EGRL 83/2002, § 812 Abs 1 S 1 Alt 1 BGB
Instanzenzug: Az: 9 U 138/16vorgehend LG Freiburg (Breisgau) Az: 14 O 22/16
Gründe
1I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages und Herausgabe von Nutzungen aus ungerechtfertigter Bereicherung in Anspruch.
2Die Parteien schlossen im Jahr 1998 einen Vertrag über eine Kapitallebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) ab. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt die Klägerin mit dem Versicherungsschein die Verbraucherinformation nebst Versicherungsbedingungen und ein zweiseitiges Anschreiben, das auf der zweiten Seite oben die im Berufungsurteil (S. 4 oben) wiedergegebenen Hinweise enthielt.
3In der Folgezeit zahlte die Klägerin die Versicherungsbeiträge. Mit Schreiben vom erklärte sie den "Widerspruch/Rücktritt/Widerruf gegen das Zustandekommen des vorgenannten Versicherungsvertrages gemäß der §§ 5a, 8 VVG a.F. ... wegen nicht ordnungsgemäß erteilter Widerspruchs-/Rücktritts-/Widerrufsbelehrung" und hilfsweise die Kündigung des Vertrages. Die Beklagte akzeptierte die Kündigung und zahlte den von ihr errechneten Rückkaufswert an die Klägerin aus.
4Mit der Klage verlangt die Klägerin - soweit für die Revisionsinstanz noch von Interesse - die Rückzahlung aller von ihr geleisteten Beiträge abzüglich des ausgezahlten Rückkaufswertes zuzüglich Nutzungen sowie Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten jeweils nebst Zinsen.
5Nach ihrer Auffassung ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen, weil das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei. Im Übrigen sei die Widerspruchsfrist mangels ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung nicht in Lauf gesetzt worden.
6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
7II. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rückzahlung der Versicherungsprämien nebst Nutzungen. Sie sei von der Beklagten gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden. Die im Übersendungsschreiben enthaltene Belehrung sei drucktechnisch deutlich gestaltet. Sie sei durch eine "Sternchenkennzeichnung" am linken und am rechten Rand hervorgehoben, in einem eigenen Absatz enthalten und - im Verhältnis zum übrigen Text des Schreibens - eingerückt. Der Text des Übersendungsschreibens sei mit insgesamt knapp zwei Seiten relativ kurz und übersichtlich; es enthalte keine anderen Hervorhebungen mit "Sternchen" und Einrückungen. Diese Umstände reichten für eine drucktechnisch deutliche Form im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. aus. Auch die in der Belehrung angegebene Widerspruchsfrist von einem Monat sei im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zwar habe die Frist gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. lediglich 14 Tage betragen. Die Angabe der längeren Frist sei jedoch für die Belehrung unschädlich. Denn der Klägerin sei durch diesen Fehler kein Nachteil entstanden. Wenn sie - im Vertrauen auf die mitgeteilte Frist - nach drei Wochen einen Widerspruch erklärt hätte, dann hätte sie darauf vertrauen dürfen, dass sich die Beklagte am Inhalt der Belehrung in dem Begleitschreiben hätte festhalten lassen müssen.
8Es sei im Übrigen unschädlich, dass der Text des Übersendungsschreibens zwei verschiedene Belehrungen enthalte, nämlich zum einen eine Belehrung gemäß § 5 Abs. 1 VVG a.F. und zum anderen eine Belehrung gemäß § 5a Abs. 1 VVG a.F. Die Widerspruchsrechte gemäß § 5 VVG a.F. und gemäß § 5a VVG a.F. stünden - wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorlägen - nebeneinander, ohne dass eines der beiden das andere Recht verdränge oder ersetze. Die Belehrung im Begleitschreiben sei ordnungsgemäß, da die Klägerin die beiden unterschiedlichen Widerspruchsrechte habe unterscheiden können.
9Der nach der Regelung in § 5a Abs. 1 VVG a.F. - eine Wirksamkeit des Policenmodells unterstellt - zunächst schwebend unwirksame Vertrag sei wirksam zustande gekommen, da die Frist von 14 Tagen bzw. von einem Monat abgelaufen sei. Die Klägerin habe über einen Zeitraum von 17 Jahren die vereinbarten Prämien bezahlt und damit ihren Willen zur Durchführung des Vertrages bekundet. Auf eine mögliche Unwirksamkeit des Policenmodells könne sie sich nach dieser langen Zeit nicht mehr berufen.
10III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
111. Die vom Berufungsgericht angenommene grundsätzliche Bedeutung der Sache ist nicht gegeben.
12a) Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte oder ungenaue Belehrung gemäß § 5a VVG a.F. unschädlich ist, wenn der Inhalt der Belehrung für den Versicherungsnehmer vorteilhaft erscheint, in der Rechtsprechung bisher nicht ausreichend geklärt. Es sei nicht ganz klar, welches der maßgebliche rechtliche Gesichtspunkt sei, nämlich einerseits möglicherweise der Gesichtspunkt von Treu und Glauben oder andererseits eine abändernde vertragliche Vereinbarung. Offen sei die genaue Abgrenzung zu den Fällen, in denen sich der Versicherer nicht auf eine für den Versicherungsnehmer günstige Abweichung in der Belehrung berufen könne.
13Diese Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des Senats hinreichend geklärt und keiner weiteren Klärung zugänglich. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist es für den Versicherungsnehmer unschädlich und damit unerheblich, dass in einer Widerspruchsbelehrung eine Widerspruchsfrist von einem Monat genannt wurde, während die Frist gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. vor dem nur 14 Tage betrug (Senatsurteil vom - IV ZR 415/13, juris Rn. 11). Der Versicherungsnehmer kann auf die ihm mitgeteilte Frist vertrauen, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Der Versicherer verhielte sich jedenfalls treuwidrig, wenn er sich auf die kürzere gesetzliche Widerspruchsfrist beriefe. Auch im Übrigen hat der Senat in einer Abweichung einer Widerspruchsbelehrung vom Gesetzeswortlaut, die für den Versicherungsnehmer vorteilhaft ist, keinen Belehrungsfehler gesehen, der zu einem fortbestehenden Lösungsrecht führen könnte (Senatsurteil vom - IV ZR 155/14, r+s 2015, 594 Rn. 12 zur Nennung weiterer für den Beginn der Widerspruchsfrist erforderlicher Unterlagen). Einer Abgrenzung zu Fällen, in denen sich eine Abweichung der Widerspruchsbelehrung von den gesetzlichen Anforderungen zu Ungunsten des Versicherungsnehmers auswirken kann - wie beim Fehlen eines Hinweises auf das gesetzliche Formerfordernis der Widerspruchserklärung (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 339/15, r+s 2017, 130 Rn. 11) - und damit ein Fortbestehen des Widerspruchsrechts begründet, bedarf es nicht. Bei einer solchen für ihn ungünstigen Abweichung bleibt der Versicherungsnehmer im Unklaren darüber, in welcher Form er die Widerspruchsbelehrung abzugeben hat. Um den vom Berufungsgericht angesprochenen Fall eines hinausgeschobenen Beginns der Frist für die Ausübung eines Lösungsrechts, wie des Widerrufsrechts für in einer Haustürsituation abgeschlossene Rechtsgeschäfte (vgl. , juris Rn. 15), geht es bei der hier in Rede stehenden Konstellation nicht.
14b) Weiterhin hat das Berufungsgericht eine grundsätzliche Klärung für geboten gehalten, weil es noch keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu den grundsätzlichen Anforderungen an eine Belehrung bei konkurrierenden Widerspruchsrechten gemäß § 5 Abs. 1 VVG a.F. und § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. gebe. Indes hat der Senat bereits einen grundsätzlichen Klärungsbedarf dieser Frage verneint. Dass zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur vertreten werden, ist nicht ersichtlich. Vielmehr entspricht es ganz einhelliger Auffassung, dass das Widerspruchsrecht nach § 5 Abs. 1 VVG a.F. und das nach § 5a Abs. 1 VVG a.F. selbständig nebeneinanderstehen; beide Normen haben einen unterschiedlichen Anwendungsbereich. Ein Konkurrenzverhältnis gibt es nicht. Da beide Widerspruchsrechte unabhängig voneinander bestehen, können ihre Fristen - soweit die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind - gegebenenfalls auch gleichzeitig ablaufen. Der jeweilige Widerspruch hindert bei Vorliegen seiner Voraussetzungen in jedem Fall das Wirksamwerden des Vertrages. Auch Bedenken gegen die Richtlinienkonformität eines Nebeneinanderlaufs der beiden Widerspruchsfristen sind nicht erkennbar. Durch § 5 VVG a.F. wird dem Versicherungsnehmer lediglich eine zusätzliche Möglichkeit zum Widerspruch gegeben, die dem Umstand Rechnung trägt, dass der Versicherungsschein in einzelnen Punkten vom Versicherungsantrag abweicht (Senatsbeschluss vom - IV ZR 98/16, VersR 2017, 739 Rn. 8 f. m.w.N.).
152. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
16a) Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler die streitgegenständliche Widerspruchsbelehrung für formell ordnungsgemäß erachtet.
17aa) Ob eine Widerspruchsbelehrung inhaltlich und formal den gesetzlichen Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (Senatsbeschluss vom - IV ZR 201/16, r+s 2018, 363 Rn. 9).
18bb) Hier lässt die tatrichterliche Würdigung der Widerspruchsbelehrung keine revisionsrechtlich beachtlichen Fehler erkennen. Das Berufungsgericht hat die maßgeblichen Umstände, aus denen sich nach seiner Ansicht die ordnungsgemäße drucktechnisch deutliche Gestaltung der Widerspruchsbelehrung ergibt - die Kennzeichnung durch Sternchen rechts und links des Belehrungstextes, die Einrückung der Belehrung, ihre Trennung vom Fließtext durch Verwendung eines eigenen Absatzes, das Fehlen anderer durch Sternchen hervorgehobener Textabschnitte und den überschaubaren Umfang des Begleitschreibens -, im Einzelnen dargelegt. Dabei hat es auch berücksichtigt, dass sich die hier zu beurteilende Belehrung von der Gestaltung der Belehrung unterscheidet, die dem Senatsurteil vom (IV ZR 486/14, juris Rn. 11) zugrunde liegt. Der Hinweis der Revision auf diese Senatsentscheidung belegt keinen revisiblen Rechtsfehler, sondern macht nur deutlich, dass bei anders gelagerten Einzelfällen auch eine abweichende tatrichterliche Beurteilung möglich ist. Dass auch der Hinweis auf eine Abweichung vom Versicherungsantrag mit Sternchen an beiden Seiten hervorgehoben ist, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei für unerheblich gehalten, weil die Klägerin nach der Gestaltung des Anschreibens die beiden Widerspruchsrechte habe unterscheiden können.
19Die Angabe der Widerspruchsfrist von einem Monat hat das Berufungsgericht im Einklang mit der oben zitierten Senatsrechtsprechung für unschädlich gehalten.
20b) Ob nach dem Policenmodell geschlossene Versicherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen, kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revision begehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den genannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungserheblich ankommt. Der Klägerin ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat (vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben Senatsurteil vom - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 32-42; , VersR 2015, 693 Rn. 42 ff.).
21Auch zum Einwand von Treu und Glauben ist entgegen der Ansicht der Revision eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht erforderlich. Die Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt. Die Anwendung auf den Einzelfall obliegt dem nationalen Gericht und beeinträchtigt die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts nicht (vgl. im Einzelnen , VersR 2015, 876 Rn. 12 ff.; vom - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 42; jeweils m.w.N.).
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:251120BIVZR318.18.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2021 S. 487 Nr. 8
MAAAH-78414