Online-Nachricht - Donnerstag, 29.04.2021

Einkommensteuer | Anrechnung von nicht im EU-Ausland beantragten Familienleistungen auf Kindergeld nach deutschem Recht (BFH)

Nimmt ein Bezieher von Kindergeld eine Erwerbstätigkeit im EU-Ausland auf, ohne die Familienkasse darüber zu informieren, so ist der Anspruch auf Familienleistungen nach dem Recht des ausländischen EU-Mitgliedstaats, der aufgrund der Erwerbstätigkeit vorrangig zuständig zur Gewährung von Familienleistungen geworden ist, auch dann nachträglich auf das nach deutschem Recht gewährte Kindergeld anzurechnen, wenn der Kindergeldberechtigte die ihm im Auslandsstaat zustehenden Familienleistungen dort nicht beantragt und bezogen hat (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so stehen nach Art. 68 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 883/2004 Ansprüche auf Familienleistungen, die durch eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden, an erster Stelle. Der entsprechende Mitgliedstaat ist somit vorrangig zur Gewährung von Familienleistungen zuständig.

Sachverhalt: Der Kläger lebt mit seiner Familie in Deutschland. Er bezog für seine beiden Kinder Kindergeld nach deutschem Recht. Die Ehefrau war nicht erwerbstätig. Im Dezember 2000 nahm der Kläger eine nichtselbständige Erwerbstätigkeit in den Niederlanden auf, ohne dort die ihm für seine Kinder zustehenden Familienleistungen zu beantragen. Er machte der Familienkasse hiervon keine Mitteilung, so dass diese das Kindergeld weiterhin ungemindert auszahlte. Erst im Jahr 2016 erfuhr die Familienkasse von der Erwerbstätigkeit. Sie hob die Festsetzung des Kindergeldes für mehrere Jahre in der Höhe auf, in der ein Anspruch auf Familienleistungen in den Niederlanden bestanden hatte. Die dagegen gerichtete Klage hatte überwiegend Erfolg ().

Der BFH hat die Revision der Familienkasse als begründet angesehen und das FG Urteil insoweit aufgehoben, als dieses der Klage stattgegeben hatte:

  • Der im Inland wohnende Kläger erfüllte unstreitig die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld seiner beiden Kinder, die ebenfalls im Inland lebten (§ 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. mit § 32 Abs. 3 EStG). Dieser Anspruch wird wegen des Anspruchs des Klägers auf Familienleistungen nach niederländischem Recht unionsrechtlich auf den Betrag begrenzt, der sich bei Anrechnung des Anspruchs auf Familienleistungen in den Niederlanden ergibt.

  • Die Fiktion des Art. 68 Abs. 3 Buchst. b der VO Nr. 883/2004, wonach der im nachrangig zuständigen Mitgliedstaat gestellte Antrag auf Familienleistungen zugleich als Antrag gilt, der im vorrangig zuständigen Mitgliedstaat gestellt worden ist, wirkt auch dann, wenn die Familienkasse den im Inland gestellten Kindergeldantrag nicht an den ausländischen Träger weiterleitet, weil ihr ein Auslandsbezug nicht bekannt ist.

  • Nichts anderes ergibt sich in diesem Zusammenhang aus dem vom FG und dem Kläger herangezogenen EuGH-Urteil Schwemmer ( „Schwemmer“).

  • Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall scheidet die Gewährung von Kindergeld i. H. der Beträge, die nach § 66 Abs. 1 EStG für die einzelnen Jahre des Streitzeitraums vorgesehen sind, aus. Die Familienkasse hat den Anspruch auf Familienleistungen nach niederländischem Recht zu Recht angerechnet. Der Anspruch auf Kindergeld nach deutschem Recht und der Anspruch auf Familienleistungen nach niederländischem Recht sind nach Art. 68 der VO Nr. 883/2004 zu koordinieren. Die Niederlande waren wegen der Erwerbstätigkeit des Klägers gem. Art. 68 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen zuständig.

  • Die Familienkasse war somit berechtigt, die Festsetzung des Kindergeldes zum Teil aufzuheben, da die Aufnahme der nichtselbständigen Beschäftigung in den Niederlanden, die der Familienkasse nach den Feststellungen des FG anlässlich der Neubeantragung von Kindergeld angezeigt wurde, als Änderung der Verhältnisse i. S. von § 70 Abs. 2 EStG anzusehen.

Quelle: BFH, Pressemitteilung Nr. 013/2021 v. ; ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
NWB DAAAH-77390