BGH Beschluss v. - AnwZ (Brfg) 32/20

Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls: Verstoß gegen die Berufsausübungsfreiheit und den allgemeinen Gleichheitssatz

Leitsatz

1. Der Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) verstößt nicht gegen das Grundrecht des Rechtsanwalts auf freie Berufsausübung. Denn die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO dient dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, also eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts. Mildere, ebenso wirksame Maßnahmen, die dem Anliegen des Gesetzes in gleicher Weise Rechnung tragen, kommen nicht in Betracht.

2. Die strengen Anforderungen der Rechtsprechung an die Ausräumung einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden (Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät und Verabredung rechtlich abgesicherter Maßnahmen mit dieser zur effektiven Verhinderung einer Gefährdung der Mandanten) verstoßen nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

3. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt ebenfalls nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Die Anstellung in einer Sozietät gewährleistet eine lückenlose Überwachung des vermögenslosen Rechtsanwalts, was bei einer Anstellung in einer Einzelkanzlei nicht der Fall ist.

Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, § 14 Abs 2 Nr 7 BRAO

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Schleswig Az: 1 AGH 3/20

Gründe

I.

1Der am geborene Kläger ist seit dem im Bezirk der Beklagten als Rechtsanwalt zugelassen. Er war zunächst selbständig tätig. In der Zeit vom bis zum war er in der Einzelkanzlei seines Bruders angestellt. Mit Bescheid vom widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls. Im Zeitpunkt des Widerrufs war der Kläger mehrfach im Schuldnerverzeichnis eingetragen; am hatte er die Vermögensauskunft abgegeben. Die Klage des Klägers gegen den Widerrufsbescheid ist erfolglos geblieben. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

II.

2Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.

31. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wirft die Sache nicht auf.

4a) Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Zur schlüssigen Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung gehören Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage sowie ihrer Bedeutung für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen oder ihrer Auswirkung auf die Allgemeinheit; begründet werden muss auch, warum ein korrigierendes Eingreifen des Bundesgerichtshofs erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom - AnwZ (Brfg) 7/20, juris Rn. 4).

5b) Diesen Anforderungen genügt die Begründung des Zulassungsantrags nicht. Unabhängig hiervon sind Grundsatzfragen nicht ersichtlich.

6aa) Der Kläger verweist auf sein Grundrecht auf freie Berufsausübung. Er meint, sein Vermögensverfall rechtfertige kein Berufsverbot. Dies trifft nicht zu. Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO dient dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, also eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts. Mildere, ebenso wirksame Maßnahmen, die dem Anliegen des Gesetzes in gleicher Weise Rechnung tragen, kommen nicht in Betracht (vgl. etwa AnwZ (Brfg) 61/18, NZI 2019, 95 Rn. 12 mwN).

7bb) Der Kläger bezweifelt weiter die Verfassungsmäßigkeit der Senatsrechtsprechung dazu, unter welchen Voraussetzungen trotz des Vermögensverfalls des Rechtsanwalts eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausgeschlossen ist. Seiner Ansicht nach verstößt eine Ungleichbehandlung der in einer Einzelkanzlei und der in einer Sozietät angestellten Rechtsanwälte gegen das Gleichbehandlungsgebot. Dies trifft nicht zu. Im vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden kann eine Gefährdung der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt die Feststellungslast trifft. Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt zumindest voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern (grundlegend AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 f.; vgl. auch AnwZ (Brfg) 12/11, juris Rn. 3). Eine So-zietät bietet - anders als eine Einzelkanzlei - die Gewähr, dass auch während der Urlaubszeit oder bei einer etwaigen Erkrankung eines Sozius die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen des in Vermögensverfall befindlichen Rechtsanwalts überwacht werden kann (BGH, Beschlüsse vom , aaO S. 512; vom , aaO).

8Nach ständiger Rechtsprechung des Senats verstoßen die genannten strengen Anforderungen an die Ausräumung einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG ( AnwZ (Brfg) 61/18, NZI 2019, 95 Rn. 12 mwN). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt ebenfalls nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Die Anstellung in einer Sozietät gewährleistet eine lückenlose Überwachung des vermögenslosen Rechtsanwalts, was bei einer Anstellung in einer Einzelkanzlei nicht der Fall ist.

92. Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen ebenfalls nicht.

10a) Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BGH, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 36/16, juris Rn. 3; vom - AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 3). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen ( NotZ (Brfg) 7/14, WM 2015, 898 Rn. 8; vgl. auch BVerfGE 134, 106 = NJW 2013, 3506 Rn. 40).

11b) Der Kläger hält eine Gefährdung der Rechtsuchenden deshalb für ausgeschlossen, weil er sich niemals an fremdem Geld vergreifen würde. Die Ausgestaltung seines Arbeitsvertrages habe überdies seinen Zugriff und den Zugriff seiner Gläubiger auf Mandantengelder ausgeschlossen. Aus welchen Bestimmungen des Arbeitsvertrages sich dies ergeben soll, erläutert der Kläger allerdings nicht. Die im Tatbestand des Urteils des Anwaltssenats wiedergegebenen arbeitsvertraglichen Bestimmungen sehen keine Überwachung der anwaltlichen Tätigkeit des Klägers vor, wie sie in dem Arbeitsvertrag vorgesehen waren, welcher dem Senatsbeschluss vom (AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511) zugrunde lag. Selbst auferlegte Beschränkungen des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen (BGH, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 17 mwN; vom - AnwZ (Brfg) 33/18, juris Rn. 12).

III.

12Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertentscheidung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:231120BANWZ.BRFG.32.20.0

Fundstelle(n):
QAAAH-76434