BGH Beschluss v. - 1 StR 128/20

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Gefahrenprognose

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: Az: 4 Js 118853/17 - 5 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Die gegen seine Unterbringung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts litt der Angeklagte spätestens seit 2015 (UA S. 11) unter paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie. Er begegnete am den ihm unbekannten Zeugen C.    und D.   in einer U-Bahn-Station in Stuttgart. Der Angeklagte nahm infolge seiner wahnhaften Verfolgungsängste zwei Steine aus dem Gleisbett auf, um diese jeweils gegen den Kopf der beiden Passanten zu schleudern. Er verfolgte die flüchtenden Zeugen und warf die Steine auf dem Vorplatz zur U-Bahn-Haltestelle. Der in D. s Richtung geworfene Stein verfehlte deren Kopf nur um wenige Zentimeter. Der Angeklagte hatte keine weiteren Wurfgeschosse und erkannte, dass sein Plan gescheitert war. Von zufällig vorbeikommenden Polizeibeamten wurde der brüllende Angeklagte, mit dem keine Kommunikation möglich war, festgenommen. Er war wegen der paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie in seiner Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich eingeschränkt (UA S. 19).

32. Die Unterbringungsentscheidung hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Gefahrenprognose ist nicht tragfähig begründet.

4a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass vom Täter infolge seines fortdauernden Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu stellen und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten vom Täter infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt ( Rn. 27; BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 436/19 Rn. 5; vom - 1 StR 112/19 Rn. 4 und vom - 4 StR 79/16 Rn. 6). Bei den zu erwartenden Taten muss es sich um solche handeln, die geeignet erscheinen, den Rechtsfrieden schwer zu stören sowie das Gefühl der Rechtssicherheit erheblich zu beeinträchtigen, und die damit zumindest der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind (st. Rspr.; Rn. 15; vom - 4 StR 195/18 Rn. 17 und vom - 3 StR 174/18 Rn. 12).

5b) Daran gemessen erweisen sich die Erwägungen, mit denen das Landgericht seine Gefahrenprognose begründet hat, als lückenhaft.

6aa) Zum einen hätte sich die Strafkammer mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte trotz seiner psychischen Erkrankung seit 2015 während eines nennenswerten Zeitraums, nämlich bis zur Tat am , keine Straftat beging. Denn solches ist regelmäßig ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten und daher zu erörtern (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 436/19 Rn. 7; vom - 1 StR 253/19 Rn. 5; vom - 4 StR 135/19 Rn. 6; vom - 2 StR 278/17 Rn. 18 und vom - 4 StR 224/12 Rn. 11; Urteile vom - 5 StR 99/19 Rn. 9 und vom - 2 StR 453/99 Rn. 5, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27).

7bb) Zum anderen begegnet durchgreifenden Bedenken, dass das Landgericht die - im äußeren Geschehensablauf vergleichbare - Vortat vom herangezogen hat. Davon, dass auch diese Tat von der psychiatrischen Erkrankung beeinflusst war, hat sich das Landgericht nicht überzeugt. Auch länger zurückliegenden Taten kann aber grundsätzlich nur dann eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zur festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 445/16 Rn. 19; vom - 4 StR 79/16 Rn. 9; vom - 4 StR 277/15 Rn. 10 und vom - 4 StR 224/12 Rn. 12; Urteil vom - 4 StR 267/11 Rn. 14). Warum die Tat vom dennoch für die krankheitsbedingt fortbestehende Gefährlichkeit des Angeklagten sprechen soll, hat das Landgericht nicht nachvollziehbar begründet.

8c) Die Feststellungen sind von dem Erörterungsmangel nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern diese den aufrechterhaltenen nicht widersprechen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:130520B1STR128.20.0

Fundstelle(n):
AAAAH-75800