Besitzen Sie diesen Inhalt bereits, melden Sie sich an.
oder schalten Sie Ihr Produkt zur digitalen Nutzung frei.

Dokumentvorschau
BBK Nr. 8 vom Seite 377

Faktische Sofortabschreibung für Hard- und Software

Warum das gegen das Gesetz verstößt

Bernd Rätke und Prof. Dr. Carsten Theile

[i]BMF, Schreiben v. 26.2.2021 - IV C 3 - S 2190/21/10002 :013 NWB GAAAH-72616 Das BMF hat jüngst für Aufsehen gesorgt, indem es für Hard- und Software ab 2021 eine einjährige Nutzungsdauer zugrunde legt und damit ihre Sofortabschreibung eingeführt hat. Der folgende Beitrag der BBK-Mitherausgeber Bernd Rätke und Prof. Dr. Carsten Theile betrachtet das BMF-Schreiben unter rechtssystematischen und rechtspolitischen Gesichtspunkten. Hinterfragt wird insbesondere die Vereinbarkeit mit dem EStG sowie mit dem HGB, aber auch die rechtsstaatliche Befugnis des BMF, eine Aussage zur deutlichen Verkürzung der Nutzungsdauer zu treffen. Unternehmen und ihre Berater können so die Folgen und Risiken des BMF-Schreibens besser abschätzen.

Eine Kurzfassung des Beitrags finden Sie .

I. Anlass des Beitrags

[i]Endert, Einführung einer Sofortabschreibung für digitale Wirtschaftsgüter, BBK 6/2021 S. 273 NWB XAAAH-73455 Am veröffentlichte das BMF ein Schreiben, nach dem für Computerhardware sowie für Betriebs- und Anwendersoftware eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von einem Jahr zugrunde gelegt werden kann. Das Schreiben hat aufgrund seiner Breitenwirkung und der Abkehr von der mehrjährigen Nutzungsdauer Aufsehen erregt. Kurz nach Veröffentlichung des BMF-Schreibens hat sich in der BBK-Ausgabe 6/2021 bereits ein Buchführungs-Seminar mit der Thematik befasst.

Bei näherer Betrachtung des Schreibens fallen jedoch zahlreiche Kritikpunkte auf, die von der Entstehung des BMF-Schreibens über den Inhalt hinaus bis zu verfassungsrechtlichen Grundsatzfragen reichen. S. 378

II. Eine Videoschaltkonferenz als Auslöser des BMF-Schreibens

Das BMF-Schreiben ist aus einem Beschluss im Rahmen einer Videoschaltkonferenz zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten hervorgegangen. Der Beschluss lautet:

„Zur [i]Beschluss im Wortlautweiteren Stimulierung der Wirtschaft und zur Förderung der Digitalisierung werden bestimmte digitale Wirtschaftsgüter rückwirkend zum 1. Januar 2021 sofort abgeschrieben. Damit können insoweit die Kosten für Computerhardware und Software zur Dateneingabe und -verarbeitung zukünftig im Jahr der Anschaffung oder Herstellung steuerlich vollständig berücksichtigt werden. Gleichzeitig profitieren davon auch alle, die im Home-Office arbeiten. Die Umsetzung soll untergesetzlich geregelt und damit schnell verfügbar gemacht werden.“

In [i]Fachliche Kompetenz der MPK zweifelhafteiner komplexen Materie wie dem Bilanzrecht ist es mehr als ungewöhnlich, dass steuerliche Laien wie die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten in einer „Videoschaltkonferenz“ eine Änderung der Abschreibungsregeln beschließen. Welche Kompetenz die Teilnehmer haben und wie derartige Beschlüsse zustande kommen, nämlich unter Umständen nach zahlreichen Stunden mitten in der Nacht, hat man bei dem Beschluss zur sog. Osterruhe gesehen, von dem sich nur wenige Stunden später jeder Ministerpräsident distanziert hat – nachdem er zuvor noch nachts zugestimmt hatte.

[i]Beschluss hat nur politische, aber keine rechtliche BedeutungÜber die Rechtsqualität eines „Beschlusses“ im Rahmen einer Videoschaltkonferenz mit den Spitzen der Exekutive muss ebenfalls nicht lange nachgedacht werden: Es ist ein politischer Beschluss, der aber keine Rechtsetzungsqualität hat, weil Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin nicht Teil der Legislative, also der gesetzgebenden Gewalt, sind; zudem waren auch die Finanzminister nicht beteiligt. Dass die Umsetzung des Beschlusses „untergesetzlich“ erfolgen soll, ist scharf zu kritisieren, weil „Beschlüsse“ mit Rechtsqualität von der Legislative zu fassen sind und „Gesetz“ heißen (siehe hierzu auch die Ausführungen in Abschnitt VII).

In sprachlicher Hinsicht stößt der Begriff der„Stimulierung“ bei uns als Autoren jedenfalls auf Überraschung, da wir diesen Begriff bislang nicht im Steuerrecht angesiedelt hätten. Weshalb die Politiker zudem von einer „weiteren“ Stimulierung der Wirtschaft sprechen, bleibt angesichts der erheblichen Schließungsmaßnahmen, die die Wirtschaft einschränken und die künftig eventuell noch verschärft werden könnten, mehr als unklar.

Hinweis:

Nach [i]Einzelne Bundesländer hatten Bedenken gegen ein BMF-Schreiben dem Beschluss vom sollen u. a. die Finanzminister von Niedersachsen und Hessen sowie der Finanzsenator aus Bremen eine Umsetzung des Beschlusses boykottiert haben, weil sie eine gesetzliche Regelung für erforderlich hielten. Weshalb trotz dieses Widerstands dennoch ein BMF-Schreiben erlassen wurde, ist unklar.

III. Steuerliche Analyse des BMF-Schreibens

Man erkennt relativ schnell, dass das BMF-Schreiben mit heißer Nadel gestrickt worden ist: Es enthält über die Frage der Vereinbarkeit mit § 7 Abs. 1 EStG und § 253 HGB sowie S. 379IFRS hinaus (siehe hierzu die Abschnitte IV bis VI) zahlreiche Ungereimtheiten und Unklarheiten.

1. Gibt es ein steuerliches Wahlrecht?

[i]Wortlaut des BMF- Schreibens nicht eindeutigUnklar ist, ob künftig Hard- und Software zwingend sofort abgeschrieben werden müssen oder ob das BMF den Unternehmern ein Wahlrecht einräumt zwischen der bisherigen dreijährigen AfA für Hardware bzw. fünfjährigen AfA für Software einerseits und der Sofortabschreibung entsprechend dem BMF-Schreiben andererseits.

In dem BMF-Schreiben findet sich weder die Aussage, dass hinsichtlich der AfA ein Wahlrecht zwischen linearer und sofortiger Abschreibung besteht, noch wird ausgeführt, dass eine Sofortabschreibung nicht beanstandet werde; beides würde ein Wahlrecht implizieren. Allerdings wäre dann in einem zweiten Schritt nach der Rechtsgrundlage für dieses Wahlrecht zu fragen.

[i]Bei der Nutzungsdauer gibt es kein WahlrechtStattdessen ist nur die Rede davon, dass eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von einem Jahr zugrunde gelegt werden „kann“. Nun spricht dies zwar in sprachlicher Hinsicht für ein Wahlrecht. Es wäre aber höchst ungewöhnlich, wenn der Steuerpflichtige bei der zu schätzenden betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer wählen könnte. In der realen Beobachtung kann es nur eine Nutzungsdauer geben. Ein Wirtschaftsgut kann beispielsweise entweder ein Jahr oder aber drei Jahre genutzt werden; es ist aber schwer vorstellbar, dass eine bestimmte Art von Wirtschaftsgütern wie Computer und Programme ein oder drei Jahre nutzbar sind und der Steuerpflichtige die Entscheidung treffen soll, welche Nutzungsdauer für seine EDV gelten soll.

Hinweis:

Viel [i]Seifert, Digitale Wirtschaftsgüter und einjährige Nutzungsdauer, StuB 5/2021 S. 218 NWB SAAAH-72758 spricht daher dafür, dass aus Sicht des BMF künftig eine einjährige Nutzungsdauer zwingend zugrunde zu legen ist. Das Wort „kann“ ist somit nicht als Wahlrecht zu verstehen, sondern als Begünstigung, die dem Steuerpflichtigen ermöglichen soll, künftig höher abschreiben zu können.

2. Abgrenzung zu geringwertigen Wirtschaftsgütern

[i]Hänsch, Geringwertige Wirtschaftsgüter (§ 6 Abs. 2 EStG) und Bildung eines Sammelpostens (§ 6 Abs. 2a EStG), Grundlagen NWB MAAAF-86452 Hat ein Wirtschaftsgut eine einjährige Nutzungsdauer, führt dies zu einer Sofortabschreibung, weil die zeitanteilige Abschreibung nach § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG eine mehr als einjährige Nutzungsdauer voraussetzt; dies ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG. Im Ergebnis wird die EDV-Ausstattung also wie ein geringwertiges Wirtschaftsgut (GWG) abgeschrieben, ohne dass es aber ein GWG ist; denn es kommt bei der EDV weder auf die selbständige Nutzbarkeit i. S. von § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG noch auf die GWG-Grenze von 800 € netto an. Dementsprechend darf die EDV-Ausstattung künftig auch nicht auf dem GWG-Konto 0670 bzw. – beim Sammelposten – auf dem Konto 0675 (jeweils SKR 04) gebucht werden, sondern muss auf dem Konto für sonstige Betriebs- und Geschäftsausstattung 0690 erfasst werden.

Preis:
€10,00
Nutzungsdauer:
30 Tage

Seiten: 10
Online-Dokument

Faktische Sofortabschreibung für Hard- und Software

Erwerben Sie das Dokument kostenpflichtig.

Testen Sie kostenfrei eines der folgenden Produkte, die das Dokument enthalten:

NWB MAX
NWB PLUS
NWB Rechnungswesen
Wählen Sie das für Ihre Bedürfnisse passende NWB-Paket und testen Sie dieses kostenfrei
Jetzt testen