BGH Beschluss v. - 6 StR 134/20

Mord durch Unterlassen: Vorliegen einer "anderen" Straftat als Voraussetzung eines Verdeckungsmordes

Gesetze: § 211 Abs 2 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Neubrandenburg Az: 21 Ks 5/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen “Mordes durch Unterlassen“ in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge und schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen (Fall II.B.3) sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die gegen das Urteil gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2Die Verurteilung wegen Verdeckungsmordes (§ 211 Abs. 2 StGB) hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.

31. Das Landgericht hatte auf der Grundlage der zu Fall 3 getroffenen Feststellungen keine Zweifel, dass dem Angeklagten gerade wegen der massiven Gewalteinwirkung gegen den Kopf seiner Stieftochter die hiermit verbundene konkrete Gefahr des Todeseintritts bewusst war. „Inwieweit er zu diesem Zeitpunkt allerdings schon ihren Tod billigend in Kauf genommen hat, konnte die Kammer nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen“ (UA S. 59). Aufgrund der massiven Kopfverletzungen geriet das Kind in den nächsten Stunden in einen immer lebensbedrohlicheren Zustand. Der Angeklagte erkannte dies, unterließ es jedoch, notärztliche Hilfe anzufordern, um die vorausgegangene massive Misshandlung zu verdecken.

42. Die oben zitierte Wendung lässt besorgen, dass das Landgericht gegen den Zweifelsgrundsatz verstoßen hat. Nach ständiger Rechtsprechung fehlt es an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erforderlichen „anderen” Straftat, wenn der Täter das Tatopfer zunächst mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und es anschließend unterlässt, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des überlebenden Opfers einzuleiten, selbst wenn zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine zeitliche Zäsur liegt (vgl. , NStZ-RR 2009, 239; Urteil vom - 4 StR 419/06, StraFo 2007, 123, 124; Urteil vom - 4 StR 297/02, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 15). Danach schiede eine Verurteilung wegen Verdeckungsmordes aus, wenn der Angeklagte bereits die Vortat mit Tötungsvorsatz begangen hätte. Diese Möglichkeit hat das Landgericht nicht ausgeschlossen.

53. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der hierfür verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe nach sich. Die von dem Rechtsfehler nicht berührten, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können aufrechterhalten bleiben; das neue Tatgericht kann ergänzende, zu ihnen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen.

64. Das neue Tatgericht wird für den Fall, dass Tötungsvorsatz schon im Zeitpunkt der Schläge festgestellt wird, das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe in den Blick zu nehmen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:220920B6STR134.20.0

Fundstelle(n):
EAAAH-71020