BGH Beschluss v. - XII ZB 386/20

Betreuungsverfahren: Wirksame Zustellung bei anwaltlich vertretenem Betroffenen und bei Bestellung mehrerer Verfahrensbevollmächtigter mit umfassender Zustellungsvollmacht

Leitsatz

1. Auch im Betreuungsverfahren hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Verfahrensbevollmächtigten und nicht an den Betroffenen selbst zu erfolgen. Eine gleichwohl an den anwaltlich vertretenen Betroffenen vorgenommene Zustellung ist wirkungslos und setzt Fristen nicht in Lauf (im Anschluss an , juris und Senatsbeschluss vom - XII ZB 582/15, FamRZ 2016, 1259).

2. Haben sich für einen Beteiligten mehrere Verfahrensbevollmächtigte mit umfassender Zustellungsvollmacht bestellt, so ist für den Beginn des Laufs von verfahrensrechtlichen Fristen die zeitlich erste Zustellung an einen von ihnen ausschlaggebend (im Anschluss an , NJW 2019, 2397).

Gesetze: § 10 Abs 2 FamFG, § 11 S 5 FamFG, § 15 Abs 2 S 1 Alt 1 FamFG, § 41 Abs 1 S 2 FamFG, § 84 S 1 ZPO, § 172 Abs 1 S 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 2 T 298/19vorgehend Az: 33 XVII 1950/18

Gründe

I.

1Das Amtsgericht hat für den Betroffenen eine Betreuung errichtet und den Beteiligten als Betreuer bestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde (vom Landgericht unzutreffend als „sofortige Beschwerde“ bezeichnet) hat das zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat diese Entscheidung mit Beschluss vom (XII ZB 43/20 - juris) aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

2Nach weiteren Ermittlungen hat das (in der Beschlussformel wiederum unzutreffend als „sofortige Beschwerde“ bezeichnet), den beiden Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zugestellt am 17. bzw. , die Beschwerde erneut zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner am (Montag) eingegangenen Rechtsbeschwerde. Auf den Hinweis des Senats, dass Bedenken gegen die Wahrung der Rechtsbeschwerdefrist bestehen, hat der Betroffene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

II.

3Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil der Betroffene die Monatsfrist des § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG versäumt hat und ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mangels Wiedereinsetzungsgrunds im Sinne des § 17 Abs. 1 FamFG nicht zu gewähren ist.

41. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Diese Frist ist vorliegend nicht gewahrt, weil sie aufgrund der Zustellung an Rechtsanwalt K., einen der beiden Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen, am zu laufen begann und mithin am endete, die Beschwerdeschrift jedoch erst am beim Bundesgerichtshof eingegangen ist.

5a) Ein anfechtbarer Beschluss wie die hier angefochtene Beschwerdeentscheidung ist zum Zwecke der Bekanntgabe gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG einem Beteiligten, dessen erklärtem Willen - wie hier demjenigen des Betroffenen - er nicht entspricht, nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 FamFG iVm §§ 166 bis 195 ZPO zuzustellen. Gemäß der mithin anwendbaren Bestimmung des § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Zustellung dabei an den für den Rechtszug bestellten Verfahrensbevollmächtigten (§ 10 Abs. 2 FamFG) und nicht an den Betroffenen selbst zu erfolgen ( - juris Rn. 8 mwN). Eine gleichwohl an den anwaltlich vertretenen Betroffenen vorgenommene Zustellung ist wirkungslos und setzt Fristen nicht in Lauf (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 582/15 - FamRZ 2016, 1259 Rn. 7 mwN; BVerfG NJW 2017, 318 Rn. 15 ff.). Für Betreuungssachen gilt insoweit nichts Abweichendes.

6b) Die Beschwerdeentscheidung ist daher zutreffend im vorliegenden Fall Rechtsanwalt K. als Verfahrensbevollmächtigtem des Betroffenen, nicht aber dem Betroffenen selbst zugestellt worden. Rechtsanwalt K. war ausweislich der zur Akte gereichten Vollmacht zur umfassenden Vertretung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren bevollmächtigt (§ 10 Abs. 2 Satz 1 FamFG).

7Ohne Erfolg macht der Betroffene geltend, es hätte ausnahmsweise auch ihm selbst zugestellt werden müssen, weil die beiden von ihm mandatierten Rechtsanwälte - neben Rechtsanwalt K. hatte der Betroffene auch Rechtsanwalt S. eine Verfahrensvollmacht erteilt - im Beschwerdeverfahren mit unterschiedlicher Zielrichtung agiert hätten und das Landgericht ausweislich der Beschlussgründe nicht mit Sicherheit habe beurteilen können, welcher Rechtsanwalt die wirklichen Interessen des Betroffenen vertrete. Auch wenn die beiden Rechtsanwälte im Verfahren keine einheitliche Linie verfolgten, bleibt es jedoch dabei, dass sie vom Betroffenen bis zum Abschluss des Rechtszugs mandatiert waren und daher aufgrund der zwingenden Vorschrift des § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Zustellung an den Betroffenen selbst ausgeschlossen war.

8c) Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist durch die am erfolgte Zustellung an Rechtsanwalt K. in Lauf gesetzt worden.

9Haben sich für einen Beteiligten mehrere Verfahrensbevollmächtigte mit umfassender Zustellungsvollmacht bestellt, so genügt wegen der aus § 11 Satz 5 FamFG iVm § 84 Satz 1 ZPO folgenden Einzelvertretungsbefugnis die Zustellung an einen von ihnen (vgl. etwa - FamRZ 2004, 865 mwN). Für den Beginn des Laufs von verfahrensrechtlichen Fristen ist daher die zeitlich erste Zustellung an einen der Verfahrensbevollmächtigten ausschlaggebend (st. Rspr., vgl. etwa - NJW 2019, 2397 Rn. 11 mwN). Dies war hier diejenige vom .

102. Dem Betroffenen kann nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist gewährt werden. Er war nicht ohne sein Verschulden im Sinne des § 17 Abs. 1 FamFG an der Einhaltung der Frist verhindert, weil er sich das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsanwalt K., gemäß § 11 Satz 5 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

11Daher dringt der Betroffene mit seinem - im Übrigen ohne die nach § 18 Abs. 3 Satz 1 FamFG erforderliche Glaubhaftmachung aufgestellten - Vorbringen nicht durch, er sei von Rechtsanwalt K. über die am erfolgte Zustellung der Beschwerdeentscheidung überhaupt nicht und von der an Rechtsanwalt S. am erfolgten Zustellung von diesem erst mit E-Mail vom informiert worden. Selbst wenn dies zutreffen sollte, beruht die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist nämlich auf einer Verletzung der aus dem Mandat folgenden, anwaltlichen Pflicht von Rechtsanwalt K., den Betroffenen rechtzeitig von der Zustellung und den sich daraus ergebenden Folgen für die Rechtsbeschwerdefrist in Kenntnis zu setzen (vgl. BGH Beschlüsse vom - VI ZR 52/16 - NJW-RR 2017, 1210 Rn. 12 mwN und vom - VIII ZA 15/20 - juris Rn. 16 mwN). Dies steht einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegen, ohne dass es näherer Erörterung bedarf, ob auch ein Verhalten von Rechtsanwalt S. pflichtwidrig und für die Fristversäumung ursächlich war.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:130121BXIIZB386.20.0

Fundstelle(n):
JAAAH-70927