Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 2 A 16.18 Urteil
Gründe
1Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
2Das Oberverwaltungsgericht hat den angegriffenen Bebauungsplan in der Fassung vom für unwirksam erklärt, weil dieser neben Verstößen gegen die vorgelagerten Ermittlungs- und Bewertungspflichten gemäß § 2 Abs. 3 BauGB an beachtlichen Fehlern bei der nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotenen Abwägung leide. Die Antragsgegnerin habe die Belange der betroffenen Grundstückseigentümer in Bezug auf die Beeinträchtigung ihres Eigentums und im Hinblick auf deren Interesse am Schutz vor Einbrüchen und an der Wahrung ihrer Privatsphäre sowie den Belang des Bodenschutzes durch eine die Neuversiegelung begrenzende Bauweise des Uferwegs nicht fehlerfrei abgewogen. Diese Fehler seien jeweils beachtlich und innerhalb der Jahresfrist geltend gemacht worden. Das Oberverwaltungsgericht geht dabei davon aus, dass die genannten Abwägungsfehler je für sich genommen zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans führen.
3Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 13.73 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 115, vom - 7 B 40.82 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 209 und vom - 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (BVerwG, Beschlüsse vom - 4 BN 4.09 - ZfBR 2010, 67 <juris Rn. 5> und vom - 4 BN 17.19 - Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 22 Rn. 3). Bereits in Bezug auf die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Antragsgegnerin habe die Anforderungen der städtebaulichen Eingriffsregelung nach § 1a Abs. 3 BauGB nicht ordnungsgemäß in die Abwägung eingestellt, ist ein Zulassungsgrund nicht dargelegt. Auf das umfangreiche Vorbringen der Antragsgegnerin zu den sonstigen Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts kommt es demnach nicht an.
4Hinsichtlich der die Entscheidung selbständig tragenden Erwägungen zur Eingriffsregelung hat die Sache nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die die Beschwerde ihr beimisst.
5Die von der Antragsgegnerin als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Fragen,
Müssen aus naturschutzrechtlichen Gründen für notwendig erachtete Vermeidungsmaßnahmen (vgl. § 13 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG) stets durch Festsetzungen abgesichert werden oder genügen in Einzelfällen auch andere Sicherungsmechanismen? Insbesondere:
Ist gemäß § 1a Abs. 3 Satz 1 BauGB zwingend von einer bestehenden Möglichkeit für eine Festsetzung (z.B. nach § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB) Gebrauch zu machen und ein Selbstbindungsbeschluss nicht ausreichend, wenn eine bestimmte Bauweise als aus naturschutzrechtlichen Gründen notwendige Vermeidungsmaßnahme angesehen wird, obwohl sich der Selbstbindungsbeschluss der Gemeinde auf Flächen bezieht, die zum Zeitpunkt der Planumsetzung notwendigerweise und gesetzlich vorgegeben (§ 6 Abs. 3 BbgStrG) in der Verfügungsbefugnis der Gemeinde stehen?
Können gemäß § 1a Abs. 3 Satz 4 BauGB auch für Vermeidungsmaßnahmen Vorkehrungen durch "sonstige geeignete Maßnahmen" (anstelle von Darstellungen und Festsetzungen im Bebauungsplan) getroffen werden und kann ein Selbstbindungsbeschluss eine solche "sonstige geeignete Maßnahme" sein?
rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Sie bedürfen, soweit entscheidungserheblich, nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Vielmehr sind sie auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres im Sinne des vom Oberverwaltungsgerichts eingenommenen Rechtsstandpunktes zu beantworten (vgl. 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>).
6Nach § 1a Abs. 3 Satz 1 BauGB, der nach § 18 Abs. 1 BNatSchG die Eingriffsregelung der §§ 13 ff. BNatSchG - zusammen mit weiteren Regelungen (siehe insbesondere § 5 Abs. 2, § 9 Abs. 1a, § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, §§ 135a bis 135c BauGB) - in die Bauleitplanung überführt, sind in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB die Vermeidung und der Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft zu berücksichtigen. Mit dieser Regelung wird den genannten Belangen (§ 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchst. a BauGB) eine gegenüber den in § 1 Abs. 6 BauGB ebenfalls erwähnten anderen Belangen eine herausgehobene Bedeutung beigemessen (vgl. 4 NB 27.96 - BVerwGE 104, 68 <77>). Zum einen muss die planende Gemeinde auf der Grundlage einer Bestandsaufnahme und Bewertung des vorhandenen Zustands von Natur und Landschaft die durch die Umsetzung des Bebauungsplans hervorgerufenen oder zu erwartenden Eingriffe selbst in Art und Ausmaß erfassen und bewerten und im Anschluss daran abwägend entscheiden, ob und in welchem Umfang die Zurückstellung der Belange des Naturschutzes sich überhaupt durch hinreichend gewichtige städtebauliche Gründe rechtfertigen lässt; dabei sind im Interesse des Vermeidungsgebots die planerischen Aussagen auf eine möglichst schonende Behandlung von Natur und Landschaft auszurichten (Minimierungsgebot; vgl. 4 C 10.96 - BVerwGE 104, 144 <149 f.>; Beschluss vom - 7 B 6.14 - Buchholz 406.403 § 15 BNatSchG 2010 Nr. 3 Rn. 15). Zum anderen - und darin liegt das Besondere - werden die in der Abwägung zu berücksichtigenden Naturschutzbelange, falls das Integritätsinteresse nicht gewahrt werden kann, über dieses hinausgehend auf das - gemäß § 200a Satz 1 BauGB sowohl Ausgleichs- als auch Ersatzmaßnahmen im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 1 bis 3 BNatSchG umfassende - Kompensationsinteresse erweitert ( 4 NB 27.96 - BVerwGE 104, 68 <73>). Hierfür enthält das Gesetz in § 1a Abs. 3 Satz 2 bis 4 BauGB besondere konkretisierende Regelungen. Flächen und Maßnahmen zum Ausgleich können im selben - auch geteilten (vgl. 4 N 1.96 - BVerwGE 104, 353 <359 f.>) - oder planextern (siehe § 1a Abs. 3 Satz 3, § 200a Satz 2 BauGB) in einem weiteren Bebauungsplan ("Ausgleichsbebauungsplan") festgesetzt werden (§ 1a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 20, Abs. 1a BauGB); stattdessen können auch städtebauliche Verträge über die Durchführung des Ausgleichs abgeschlossen werden (§ 1a Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB) oder sonstige geeignete Maßnahmen auf von der Gemeinde bereit gestellten Flächen getroffen werden (§ 1a Abs. 3 Satz 4 BauGB; siehe hierzu 4 CN 1.02 - BVerwGE 117, 58 <67 f.>). Mit diesen Regelungen sind den Gemeinden flexible Handlungsmöglichkeiten eröffnet, um einem festgestellten Ausgleichsbedarf zu entsprechen. Allein diesen Bedarf nehmen die Regelungen in den Blick, dessen Realisierungschancen sich durch ein vielfältiges, an die jeweilige Fallkonstellation angepasstes planerisches Instrumentarium im Rahmen der gebotenen Abwägung erhöhen (vgl. 4 BN 37.03 - Buchholz 406.11 § 1a BauGB Nr. 4 <juris Rn. 8>). Für eine analoge Anwendung auf Vermeidungsmaßnahmen ist kein Raum, sodass die präzisierende zweite Unterfrage zu verneinen ist.
7Die erste Unterfrage, die im Gegensatz zur zweiten allein an die auch auf Vermeidungsmaßnahmen bezogene Regelung des § 1a Abs. 3 Satz 1 BauGB anknüpft, ist demgegenüber zu bejahen. Vermeidungsmaßnahmen, die den Eingriff als eine erhebliche Beeinträchtigung von Natur und Landschaft minimieren, sind örtlich in dem Sinne radiziert, als sie sich zwingend auf das Gebiet des Bebauungsplans als des "Eingriffsbebauungsplans" beziehen. Eine räumliche Entkoppelung vom Eingriffsort, die bei den Ausgleichsmaßnahmen Anlass für die Eröffnung verschiedener Handlungsoptionen ist, kommt hier nicht in Betracht. Erweist sich eine Vermeidungsmaßnahme als Ergebnis der planerischen Abwägung als geboten, muss dies, soweit möglich, im Bebauungsplan seinen Niederschlag finden. Der Bebauungsplan setzt die städtebaulichen Vorstellungen der Gemeinde um (§ 8 Abs. 1 BauGB) und bringt dabei das Ergebnis der planerischen Abwägung zum Ausdruck. Eine dabei angestrebte Minimierung der Eingriffsfolgen ist folglich grundsätzlich durch entsprechende Festsetzungen nach Maßgabe des abschließenden Katalogs des § 9 BauGB ( 4 C 18.91 - BVerwGE 92, 56 <60>) zu regeln. Steht eine solche Festsetzung, wie in der Fragestellung allgemein - und im Übrigen vom Oberverwaltungsgericht fallbezogen in Gestalt von § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB jedenfalls im Grundsatz zutreffend (vgl. 4 CN 9.00 - BVerwGE 115, 77 <81 f.>; siehe auch Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2020, § 9 Rn. 158 a.E.; Gierke, in: Brügelmann, BauGB, Stand Juli 2014, § 1a Rn. 101) - vorausgesetzt, zur Verfügung, scheidet ein Ausweichen auf eine andere Art der Regelung aus.
8Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:261120B4BN37.20.0
Fundstelle(n):
ZAAAH-69958