Online-Nachricht - Donnerstag, 28.01.2021

Verfahrensrecht | Gemeinnützigkeit und politische Betätigung (BFH)

Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung ist kein eigenständiger gemeinnütziger Zweck i.S. von § 52 AO. Dies hat der BFH im zweiten Rechtgang als Folgeentscheidung zum sog. "attac-Urteil" () entschieden (; veröffentlicht am ).

Bisheriger Verfahrensverlauf: Zunächst hatte der 4. Senat des Hessischen FG im ersten Rechtsgang die Gemeinnützigkeit bejaht. Der BFH hatte das Urteil aufgehoben und die Sache an das Hessische FG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. In seinem Urteil () hatte der BFH insbesondere ausgeführt, das Hessische FG habe die Begriffe der „Volksbildung“ (§ 52 Abs. 2 Nr. 7 AO), worunter auch die politische Bildung fällt, und des „demokratischen Staatswesens“ (§ 52 Abs. 2 Nr. 24 AO) zu weit ausgelegt. Mit der Entscheidung vom hat das FG Hessen nun unter Beachtung der vom BFH aufgestellten Kriterien die Gemeinnützigkeit verneint und die Klage abgewiesen (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 27.2.2020).

Der BFH wies die Revision zurück und führte aus:

  • Er verweist zunächst auf die aus § 126 Abs. 5 FGO folgende Bindungswirkung des in dieser Sache bereits ergangenen BFH-Urteils für den zweiten Rechtsgang.

  • Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass eine gemeinnützige Körperschaft unter Inanspruchnahme der steuerrechtlichen Förderung der Gemeinnützigkeit auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung nur Einfluss nehmen kann, wenn dies der Verfolgung eines der in § 52 Abs. 2 AO genannten Zwecke dient. In diesen Grenzen sieht der BFH den vom Kläger verfassungsrechtlich abgeleiteten Teilhabeanspruch an der politischen Willensbildung als gewahrt an.

  • Eine Erweiterung des Begriffs der politischen Bildung in der Weise, dass sich hieraus die eigenständige steuerrechtliche Förderung einer Einflussnahme auf die politische Willensbildung in frei gewählten Politikfeldern ergibt, lehnt der BFH demgegenüber ab. § 52 Abs. 2 AO würde sonst faktisch um den dort nicht angeführten Zweck der Einflussnahme auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung ergänzt.

Anmerkung von Dr. Hans-Hermann Heidner, Richter im V. Senat des BFH:

Bei der Besprechungsentscheidung handelt es sich um einen sog. § 126a-Beschluss, was besagt, dass der Senat die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich gehalten hat. Nun sind derartige Beschlüsse rechtlich meist nicht spektakulär, eben weil sie – jedenfalls nach Meinung des Gerichts – keine Anhaltspunkte für unterschiedliche Rechtsauffassungen bieten. Der vorliegende Fall liegt allerdings nach dem Prozessverlauf ein wenig anders.

Der im Vereinsregister eingetragene Kläger verfolgte seiner Satzung zufolge eine Vielzahl von Zwecken. Tatsächlich hat er sich in den Streitjahren 2010 bis 2012 öffentlichkeitswirksam mit zahlreichen Themen, die insbesondere alternative Ansätze zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zum Gegenstand hatten, befasst. Themen waren z.B. die Umverteilung von Reichtum, eine Finanztransaktionssteuer, Steuern gegen Armut, Spekulation mit Lebensmitteln, Arabischer Frühling, europaweiter Sozialabbau, Umverteilung (finanzieller Mittel), Regulierung der Finanzmärkte, feministische Ökonomie, unbedingtes Grundeinkommen, globale Klimagerechtigkeit sowie alternative Formen des Lebens und Wirtschaftens. Das FG gab der Klage zunächst statt und bejahte die Gemeinnützigkeit im Hinblick auf die mit der Volksbildung verbundene politische Bildung und die Förderung des demokratischen Staatswesens. Der BFH hat demgegenüber mit Urteil vom - V R 60/17 (BStBl II 2019, 301) das FG-Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, um zu klären, ob die unter dem Namen des Klägers ausgeübten Tätigkeiten diesem zuzurechnen sind. Die Rechtsfrage, ob mit diesen Tätigkeiten steuerbegünstigte Zwecke verfolgt wurden, hatte der BFH demgegenüber bereits mit der sich nach § 126 Abs. 5 FGO für den zweiten Rechtsgang ergebenden Bindungswirkung wie folgt entschieden:

Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck i.S. von § 52 AO. Eine gemeinnützige Körperschaft darf sich in dieser Weise nur betätigen, wenn dies der Verfolgung eines der in § 52 Abs. 2 AO ausdrücklich genannten Zwecke dient. Es gibt mit anderen Worten für gemeinnützige Körperschaften kein allgemeinpolitisches Mandat. Das ist nun weder eine neue noch eine überraschende Erkenntnis, sondern ergibt sich schon aus der bisherigen Rechtsprechung (z.B. ; ; ; ; ). Deshalb war der empörte Aufschrei in einigen Medien nur schwer nachzuvollziehen und wohl eher einer unzureichenden Auseinandersetzung mit der Thematik geschuldet.

Das Hessische FG hatte im zweiten Rechtszug mit Urteil vom - 4 K 179/16 erneut entschieden und die Klage nunmehr abgewiesen. Die Revision gegen dieses Urteil hat der BFH mit dem nun vorliegenden Beschluss V R 14/20 im Wesentlichen mit den bereits aus dem Urteil V R 60/17 bekannten Gründen als unbegründet zurückgewiesen. Dabei hat der BFH noch einmal hervorgehoben, dass zu den nach § 52 Abs. 2 AO eigenständig steuerbegünstigten Zwecken weder die Einflussnahme auf die politische Willensbildung (§ 2 Abs. 1 des Parteiengesetzes (PartG)) noch die Gestaltung der öffentlichen Meinung (§ 1 Abs. 2 PartG) gehört. Eine gemeinnützige Körperschaft darf auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung nur Einfluss nehmen, wenn dies der Verfolgung eines der in § 52 Abs. 2 AO genannten Zwecke wie z.B. der Förderung des Umweltschutzes (Nr. 8) dient. Eine derart dienende und damit ergänzende Einwirkung muss aber gegenüber der unmittelbaren Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund treten.

Quelle: BFH Pressemitteilung v. (JT)

Fundstelle(n):
NWB IAAAH-69767