Einkommensteuer | Erste Tätigkeitsstätte eines Rettungsassistenten (BFH)
Die Rettungswache, der ein Rettungsassistent zugeordnet ist, ist dessen erste Tätigkeitsstätte, wenn er dort arbeitstäglich vor dem Einsatz auf dem Rettungsfahrzeug vorbereitende Tätigkeiten vornimmt (z. B. Überprüfung des Rettungsfahrzeugs in Bezug auf Sauberkeit und ordnungsgemäße Bestückung mit Medikamenten und sonstigem Material, im Bedarfsfall Reinigung sowie Bestückung des Fahrzeugs mit fehlenden Medikamenten und fehlendem Material) (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.
Sachverhalt: Streitgegenständlich ist, welche Anforderungen an eine erste Tätigkeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 EStG zu stellen sind (hier: Rettungsassistent). Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er war als Sanitäter im Rettungsdienst angestellt. Der Arbeitgeber betrieb drei Rettungswachen.
Sobald von der Rettungsleitstelle Einsatzdaten übermittelt wurden, fuhr der Kläger im Rettungsfahrzeug von der Hauptwache zum Einsatz. Nach dem jeweiligen Einsatz verblieb er im dortigen Stadtteil. Bei Schichtende fuhr er das Rettungsfahrzeug nach dem letzten Einsatz wieder zur Hauptwache.
In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger Mehraufwendungen für Verpflegung bei Auswärtstätigkeit als Werbungskosten geltend. Er gab an, die Abwesenheitszeit habe an allen Arbeitstagen mehr als acht Stunden betragen, sodass eine Verpflegungspauschale von 12 € pro Tag anzusetzen sei. Bei der Ermittlung der Abwesenheitszeiten bezog der Kläger die Fahrzeiten von jeweils einer Stunde zwischen seiner Wohnung und der Hauptwache ein. Der Kläger war der Auffassung, er habe im Streitjahr nicht über eine erste Tätigkeitsstätte verfügt.
Das FA berücksichtigte die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen nicht. Das FG wies die Klage ab ().
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen:
Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an.
Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören ( und ).
Bei der Hauptwache handelte es sich um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers des Klägers. Entgegen der Ansicht des Klägers war dieser der Hauptwache auch dauerhaft zugeordnet. Nach den Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hatte der Kläger seit Beginn seiner Tätigkeit als Rettungsassistent nach den von seinem Arbeitgeber aufgestellten Dienstplänen seine Tätigkeit grundsätzlich in der Hauptwache zu beginnen. Damit hatte der Arbeitgeber den Kläger kraft seines Direktionsrechts der Hauptwache i. S. von § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG zugeordnet. Diese Zuordnung galt im Streitjahr fort. Einer besonderen einkommensteuerrechtlichen Festlegung einer ersten Tätigkeitsstätte i. S. von § 9 Abs. 4 EStG bedurfte es daneben nicht. Vielmehr nimmt das neue - zum in Kraft getretene - steuerliche Reisekostenrecht die vorgefundenen arbeits- und dienstrechtlichen Festlegungen des Arbeitgebers auf.
Die Zuordnung des Klägers zur Hauptwache erfolgte auch unbefristet.
Schließlich wurde der Kläger in der Hauptwache auch in einem noch hinreichenden Umfang tätig. Er hatte als Rettungsassistent nach den bindenden Feststellungen des FG auch in der Hauptwache arbeitstäglich Tätigkeiten auszuführen, die ebenso zum Berufsbild eines Rettungsassistenten gehören wie die Versorgung der Patienten vor Ort.
Ein Ansatz der begehrten Mehraufwendungen für Verpflegung kommt daher nicht in Betracht. Der Kläger war nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) an den noch geltend gemachten Tagen nicht - wie in § 9 Abs. 4a Sätze 2 und 3 Nr. 3 EStG vorausgesetzt - mehr als acht Stunden von seiner Wohnung und der Hauptwache als erster Tätigkeitsstätte abwesend. Eine Abwesenheit von mehr als acht Stunden nur von der Wohnung reicht nach dem Gesetzeswortlaut nicht aus.
Anmerkung von Dr. Stephan Geserich, Richter im VI. Senat des BFH:
Die Einführung des neuen steuerlichen Reisekostenrechts zum hat einen Paradigmenwechsel bewirkt. Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Dies hat der Lohnsteuersenat bereits mit betreffend einen Polizeibeamten im Einsatz- und Streifendienst sowie mit betreffend einer Flugzeugführerin entschieden. Die Abkehr des Gesetzgebers von der „alten Schwerpunktrechtsprechung“ (z. B. ) hat der BFH in der Besprechungsentscheidung (Rettungssanitäter) und der ebenfalls zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten Entscheidung VI R 10/19 (Postzusteller; veröffentlicht am s. hierzu NWB Online-Nachricht v. 7.1.2021) für weitere Berufsgruppen verdeutlicht.
Gleichwohl sind weitere Verfahren von Steuerpflichtigen, die sich durch das neue steuerliche Reisekostenrecht schlechter gestellt sehen, anhängig (z. B. VI R 25/19, Müllwerker; VI R 9/19, Mitarbeiter im allgemeinen Ordnungsdienst und VI R 35/18, Gerichtsvollzieher). Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Frage, ob der schwerpunktmäßig im Außendienst tätige Steuerpflichtige auch in einem hinreichenden Maß „inside“ tätig ist und deshalb keine auswärtige berufliche Tätigkeit i. S. des § 9 Abs. 4a EStG ausübt, letztlich - wertend - anhand des konkreten Einzelfalls zu beantworten ist.
Quelle: ; NWB Datenbank (RD)
Fundstelle(n):
NWB LAAAH-68084