New Normal
Es ist eine Gewohnheit, den Jahreswechsel in fromme Worte bezüglich dessen, was war, und dessen, was (nur vielleicht) kommen wird, zu fassen. So sehr hat sich diese Gewohnheit schon zu einem Laster verfestigt, dass ich an dieser Stelle auch nicht davon lassen kann. Zunächst also der Rückblick: Dass es dabei allgemein um Corona geht, kann nicht überraschen. Weniger vorhersehbar mag aber mein persönlicher Favorit für das Wort des Jahres sein. Als die erste Welle der Pandemie ihrem Ende entgegenging, erlangte der Begriff „New Normal“ lebhafte Verbreitung. Beruhigend klang seine Botschaft. Irgendwie würde alles etwas neu beziehungsweise anders werden, aber eben doch zugleich ganz normal bleiben. Der Wunsch nach Versöhnung dieser beiden Pole ist uralt. Im 17. Jahrhundert hatte der französische Moralphilosoph Jean de La Bruyère etwa schon befunden: „Für zwei einander ganz entgegengesetzte Dinge sind wir gleich sehr eingenommen: für die Gewohnheit und das Neue.“ Zurück ins Jahr 2020 entwickelten sich die Dinge freilich nicht so wie erhofft. Der ersten Pandemiewelle folgte die zweite und die kurze Konjunktur des Begriffs „New Normal“ war beendet.
Was unter diesen Umständen das Jahr 2021 für uns bringen wird, weiß keiner. Halten wir es deshalb hier mit meinem Favoriten unter den deutschen Philosophen, Wilhelm Busch: „Obgleich die Welt ja, so zu sagen/Wohl manchmal etwas mangelhaft/Wird sie doch in den nächsten Tagen/Vermutlich noch nicht abgeschafft.“ Gehen wir somit weiter unseren gewöhnlichen Verrichtungen nach, in diesem Falle der Lektüre dreier lesenswerter Hauptbeiträge des Januarhefts:
Der Aufsatz von Hanno Kirsch beleuchtet die „Voraussichtlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die IFRS-Abschlüsse 2020“. Nun betrifft die Pandemie nicht mehr nur die Annexe zum Konzernabschluss, sondern die Rechenwerke selbst: die Werthaltigkeit von sachlichen und immateriellen Anlagen, die Risikovorsorge bei Ausleihungen, Forderungen, schwebenden Geschäften und in vielen anderen Fällen. Der Beitrag ist deshalb dringend empfohlen.
In den beiden anderen Aufsätzen geht es um offene Baustellen bei der Regelsetzung. Der Beitrag von Jan-Velten Große „IFRS 17 – der Countdown läuft“ verspricht mit seiner Überschrift nicht zu viel. Er zeigt die Schwierigkeiten auf, die auf Ebene der EFRAG hinsichtlich des europäischen Endorsement von IFRS 17 aufgetreten sind. Am Horizont droht als Exempel für zukünftige Standards eine Abweichung zwischen originären und EU-IFRS.
Der Beitrag von Georg Anders zu „Bilanzierungsvorschlägen für Transaktionen unter Common Control“ widmet sich dem Ende November 2020 vom IASB herausgegeben Diskussionspapier. Er beleuchtet in anschaulichen Beispielen, wie sich die Bilanzierung zukünftig gestalten soll. In Abhängigkeit von verschiedenen Parametern, etwa der Börsennotierung oder dem Vorhandensein von Minderheiten, in anderen Fällen auch von Nahestehenden, soll manchmal die Buchwertfortführung, manchmal die Erwerbsmethode Anwendung finden. Der Vergleichbarkeit und Interpretationssicherheit von (Teil-)Konzernabschlüssen dient das nicht. Entsprechend kritisch fällt das Urteil des Autors aus.
Mit besten Grüßen und der Hoffnung, dass Leser*innen, Autor*innen und Redaktion die nächsten Monate gesund überstehen.
Norbert Lüdenbach
Fundstelle(n):
PiR 1/2021 Seite 1
EAAAH-67327