Urlaubsgewährung bei fristloser Kündigung - Ungewissheit der Arbeitspflicht - Einschränkung durch sozialversicherungsrechtliche Handlungsobliegenheiten
Leitsatz
1. Im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub vorsorglich für den Fall gewähren, dass die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Dazu muss er den Arbeitnehmer unmissverständlich und endgültig zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub von der Arbeitspflicht befreien und das Urlaubsentgelt entweder vor Antritt des Urlaubs zahlen oder dessen Zahlung vorbehaltlos zusagen.
2. Ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ungewiss, weil der Arbeitnehmer gegen die fristlose Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben hat, steht dies der Erfüllung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitnehmer das Bestehen seiner Arbeitspflicht kennt, sondern dass er die Gewissheit hat, während eines bestimmten Zeitraums nicht zur Arbeit herangezogen zu werden, und sich deshalb nicht zur Erbringung einer Arbeitsleistung bereithalten muss.
3. Den Urlaub störende Ereignisse fallen grundsätzlich in die Risikosphäre des Arbeitnehmers. Dies gilt auch dann, wenn die Möglichkeit selbstbestimmter Nutzung der Freizeit während des Urlaubs durch sozialversicherungsrechtliche Handlungsobliegenheiten eingeschränkt wird, die für den Bezug von Arbeitslosengeld erforderlich sind.
Gesetze: § 7 Abs 1 BUrlG, § 8 BUrlG, § 9 BUrlG, § 1 BUrlG, Art 7 Abs 1 EGRL 88/2003, § 10 BUrlG
Instanzenzug: Az: 3 Ca 3487/18 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 4 Sa 15/19 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über restliche Vergütung aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.
2Der Kläger war beim Beklagten seit dem zu einem monatlichen Arbeitsentgelt iHv. 1.900,00 Euro brutto beschäftigt. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom fristlos, hilfsweise fristgerecht zum . Im Kündigungsschreiben heißt es zu den noch offenen Urlaubsansprüchen:
3Der Beklagte rechnete das Entgelt bis zum iHv. 1.140,00 Euro brutto zzgl. einer Urlaubsabgeltung iHv. 1.338,88 Euro brutto ab und zahlte die sich aus der Abrechnung ergebenden Nettobeträge an den Kläger aus.
4Der Kläger erhob gegen die Kündigung vom Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Stuttgart. Zur Erledigung des Rechtsstreits schlossen die Parteien einen am gerichtlich festgestellten Vergleich, der folgende Bestimmungen enthält:
5Nach Abschluss des Vergleichs erteilte der Beklagte dem Kläger Korrekturabrechnungen, in denen er für die Monate September und Oktober 2017 jeweils ein Arbeitsentgelt iHv. 1.900,00 Euro brutto und in der Oktoberabrechnung zusätzlich die Abfindung iHv. 4.000,00 Euro brutto auswies. Beide Korrekturabrechnungen wurden in einer weiteren Abrechnung für den Monat Dezember 2017 zusammengefasst. Unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlungen wurde der saldierte Nettobetrag an den Kläger ausgezahlt. Die bisherige Urlaubsabgeltung wurde dabei als (bereits geleistetes) Urlaubsentgelt behandelt.
6Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe die bereits geleistete Urlaubsabgeltung nicht nachträglich als Urlaubsentgelt behandeln dürfen. Ihm ständen deshalb noch 1.338,88 Euro brutto Entgelt aus Annahmeverzug für den Zeitraum vom 19. September bis zum zu. Die vorsorgliche Urlaubsgewährung für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung sei nicht zulässig. Zum Zeitpunkt der Urlaubserteilung sei es für ihn nicht klar gewesen, ob überhaupt eine Arbeitspflicht bestanden habe, von der er durch die Gewährung von Urlaub wirksam habe befreit werden können. Zum anderen könne der Urlaubszweck nicht erreicht werden, weil er sich nach Erhalt der außerordentlichen Kündigung bei der Agentur für Arbeit habe arbeitsuchend und arbeitslos melden und für Vermittlungsangebote habe bereithalten müssen. Schließlich stehe der Vergleichsinhalt einer Umwidmung des abgegoltenen Urlaubs in Urlaubsentgelt entgegen.
7Der Kläger hat beantragt,
8Der Beklagte hat seinen Klageabweisungsantrag darauf gestützt, dass der vorsorglich für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung erteilte Urlaub zur Erfüllung der Urlaubsansprüche des Klägers geführt habe. Für diese Beurteilung sei es entscheidend, dass er dem Kläger die Zahlung des Urlaubsentgelts vorbehaltlos zugesagt habe. Sozialrechtliche Handlungsobliegenheiten hätten keinen Einfluss auf die Erfüllung von Urlaubsansprüchen.
9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Entgeltansprüche weiter.
Gründe
10Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass dem Kläger kein Anspruch auf weiteres Entgelt für den Zeitraum vom 19. September bis zum iHv. 1.338,88 Euro brutto zusteht.
11I. Die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Vergütung wegen Annahmeverzugs sind nicht erfüllt.
121. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Vergütung wegen Annahmeverzugs ist ausgeschlossen, wenn dem Arbeitnehmer für den fraglichen Zeitraum Urlaub gewährt wurde. Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung (§ 611a Abs. 2 BGB) fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers in Verzug gerät. Das setzt nach § 293 BGB die Nichtannahme der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsleistung voraus. In Annahmeverzug kann ein Arbeitgeber nur geraten, wenn im streitgegenständlichen Zeitraum ein erfüllbares Arbeitsverhältnis besteht, aufgrund dessen der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung verpflichtet ist ( - Rn. 30; - 5 AZR 975/13 - Rn. 22, BAGE 152, 213). Hat ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtswirksam durch Urlaubsgewährung von der Arbeitspflicht befreit, kommen für diesen Zeitraum Ansprüche des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn nicht in Betracht ( - Rn. 30; - 9 AZR 26/00 - zu I 1 der Gründe, BAGE 97, 18).
132. Der Beklagte hat dem Kläger in dem Kündigungsschreiben vom wirksam Urlaub für den Zeitraum vom 19. September bis zum erteilt.
14a) Nach § 7 Abs. 1 BUrlG hat der Arbeitgeber bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Allerdings ist ein dem Arbeitgeber mitgeteilter Urlaubswunsch nicht Voraussetzung für dessen Recht, die zeitliche Lage des Urlaubs festzulegen. Die ohne einen solchen Wunsch des Arbeitnehmers erfolgte zeitliche Festlegung des Urlaubs durch den Arbeitgeber ist rechtswirksam, wenn der Arbeitnehmer auf die Erklärung des Arbeitgebers hin keinen anderweitigen Urlaubswunsch äußert ( - Rn. 23, BAGE 130, 119).
15aa) Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer Urlaub auch vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Eine wirksame Urlaubsgewährung setzt in diesem Fall jedoch voraus, dass der Arbeitgeber trotz der Ungewissheit der Parteien über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses durch eine entsprechende Freistellungserklärung eindeutig zum Ausdruck bringt, der Arbeitnehmer werde zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub endgültig von der Arbeitspflicht befreit (vgl. - Rn. 19, BAGE 150, 355; - 9 AZR 433/08 - Rn. 16, BAGE 131, 30), und das Urlaubsentgelt entweder vor Antritt des Urlaubs zahlt oder dessen Zahlung vorbehaltlos zusagt (st. Rspr., - Rn. 56; - 9 AZR 615/17 - Rn. 21, BAGE 163, 72; - 2 AZR 449/15 - Rn. 68; - 9 AZR 455/13 - Rn. 18 f., aaO).
16bb) Die Erklärung des Beklagten im Kündigungsschreiben vom hält diesen Anforderungen stand. Darin ist der Kläger endgültig vom bis zu Urlaubszwecken freigestellt und ihm das Urlaubsentgelt für diesen Zeitraum vorhaltlos zugesagt worden. Der Kläger hat gegen die zeitliche Festlegung des Urlaubs keine Einwände erhoben. Weder hat er der (vorsorglichen) Festlegung des Urlaubs widersprochen noch einen abweichenden Urlaubswunsch geäußert.
17b) Die Freistellungserklärung des Arbeitgebers kann nach § 362 Abs. 1 BGB das Erlöschen des Urlaubsanspruchs nur bewirken, soweit für den Freistellungszeitraum eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers besteht (st. Rspr., zB - Rn. 11, BAGE 156, 65; - 9 AZR 455/13 - Rn. 19, BAGE 150, 355; - 9 AZR 669/12 - Rn. 16). Für das Vorliegen der für die Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub erforderlichen Arbeitspflicht ist allein die objektive Rechtslage maßgeblich (vgl. - Rn. 55; - 9 AZR 615/17 - Rn. 20 ff., BAGE 163, 72). Diese wurde vorliegend durch den Prozessvergleich vom bestimmt. Nach § 779 BGB ist der Vergleich ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Die Ungewissheit über die Arbeitspflicht des Klägers und damit die Wirksamkeit der Urlaubsgewährung im Kündigungsschreiben haben die Parteien rückwirkend durch die Einigung ausgeräumt, dass ihr Arbeitsverhältnis zum endete.
18c) Die vor Vergleichsschluss bestehende Ungewissheit der Parteien über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses stand einer Urlaubsgewährung durch den Beklagten nicht entgegen.
19aa) Erteilt der Arbeitgeber vorsorglich für den Fall, dass die fristlose Kündigung unwirksam sein sollte, für die Dauer der Kündigungsfrist der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung Urlaub und erhebt der Arbeitnehmer Klage nach §§ 4, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG, so steht in dem Zeitraum, in dem der Urlaub erfüllt werden soll, zwar regelmäßig nicht fest, ob die außerordentliche Kündigung wirksam ist und der Arbeitnehmer noch von einer bestehenden Arbeitspflicht freigestellt werden kann.
20bb) Entgegen der Auffassung der Revision gebietet es der Urlaubszweck jedoch nicht, dass bereits bei Urlaubsantritt abschließende Gewissheit über die Arbeitspflicht des Arbeitsnehmers bestehen muss. Dies ergibt die richtlinienkonforme Auslegung von § 1 BUrlG.
21(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union soll der in Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG verankerte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub es dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen (vgl. - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 32; - C-341/15 - [Maschek] Rn. 34 mwN). Die Richtlinie behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs ( und C-570/16 - [Bauer und Willmeroth] Rn. 39; - Rn. 12). Die beiden Aspekte stehen gleichwertig nebeneinander.
22(2) Die Bestimmung des § 1 BUrlG, dass jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub hat, entspricht der Regelung in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG. Sie ist richtlinienkonform auszulegen. Der Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz ist danach ebenso wie Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG nicht allein auf die Freistellung von der Arbeitsleistung gerichtet. Das Gesetz verlangt darüber hinaus, dass die Zeit der Freistellung von der Arbeit „bezahlt“ sein muss ( - Rn. 13 mwN). Für die Erfüllung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub und die Realisierung des Urlaubszwecks kommt es danach in Bezug auf die Freistellungskomponente nicht maßgeblich darauf an, dass der Arbeitnehmer das Bestehen seiner Arbeitspflicht kennt, sondern dass er durch die Urlaubserteilung die Gewissheit hat, während eines bestimmten Zeitraums nicht zur Arbeit herangezogen zu werden, und ihm dadurch Freizeit zur Erholung und Entspannung zur Verfügung steht. Dies ermöglicht es dem Arbeitnehmer, seine Zeit unabhängig von den mit seinem Arbeitsplatz in Zusammenhang stehenden Belastungen zu gestalten. Der Arbeitnehmer wäre erst dann in unzumutbarer Weise in seiner Urlaubsgestaltung eingeschränkt, wenn er bei Urlaubsantritt nicht wüsste, ob der Arbeitgeber von ihm in dem maßgeblichen Zeitraum die Erbringung einer Arbeitsleistung verlangt, und er sich deshalb in Bereitschaft halten müsste.
23d) Die dem Kläger nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung durch den Beklagten gegenüber der Agentur für Arbeit obliegenden Mitwirkungshandlungen, die den Bezug von Arbeitslosengeld gewährleisten sollten, stellen keine der Erfüllung von Urlaubsansprüchen entgegenstehenden Hindernisse dar.
24aa) Durch die nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung für den Arbeitnehmer bestehenden sozialversicherungsrechtlichen Handlungsobliegenheiten wird ein gewährter Urlaub beeinträchtigt.
25(1) Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist dieser Arbeitnehmer zunächst verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Liegen zwischen der Kenntnis des Beendigungszeitpunkts und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses weniger als drei Monate, hat er sich innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts zu melden. Die Pflicht zur Meldung besteht unabhängig davon, ob der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend gemacht wird (§ 38 Abs. 1 Satz 2 und 4 SGB III). Zudem hat sich der gekündigte Arbeitnehmer gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 SGB III elektronisch im Fachportal der Bundesagentur oder persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden, um die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit zu erfüllen (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 SGB III). Arbeitslosigkeit als weitere Anspruchsvoraussetzung für Arbeitslosengeld setzt nach § 138 Abs. 1 SGB III Beschäftigungslosigkeit, Eigenbemühungen und Verfügbarkeit voraus. Verfügbar ist nach der allgemeinen Definition in § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III, wer den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht. Dies erfordert ua., dass der Betreffende Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann (§ 138 Abs. 5 Nr. 2 SGB III). Konkretisiert wird diese „Erreichbarkeit“ durch die EAO vom (ANBA 1997 Nr. 12 S. 1685, hier anwendbar idF der 2. Änderungsanordnung vom - ANBA 2008 Nr. 12 S. 5). Danach hat der Arbeitslose ua. sicherzustellen, dass er persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnort durch Briefpost erreichbar ist (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO), was nach allgemeiner Auffassung voraussetzt, dass der Arbeitsagentur stets die aktuelle Wohnanschrift bekannt ist ( - Rn. 15). Die Verletzung versicherungsrechtlicher Handlungsobliegenheiten hat regelmäßig die Verhängung einer Sperrzeit zur Folge (vgl. § 159 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 9 SGB III).
26(2) Grundsätzlich soll der Arbeitnehmer nach § 1 BUrlG zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werden, um ihm die uneingeschränkte Möglichkeit selbstbestimmter Nutzung seiner Freizeit zu geben ( - Rn. 33, BAGE 114, 313). Diese Möglichkeit wird eingeschränkt, wenn der Arbeitnehmer die ihm durch die Gewährung von Urlaub eingeräumte arbeitsfreie Zeit infolge der arbeitgeberseitigen Kündigung teilweise darauf verwenden muss, seine versicherungsrechtlichen Handlungsobliegenheiten zu erfüllen, um die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld zu erfüllen oder - bei Verhängung einer Sperrzeit - weitere Sanktionen zu vermeiden. So steht das Erfordernis der Erreichbarkeit bspw. der Durchführung einer - das Wochenende übersteigenden - Reise entgegen.
27bb) Die versicherungsrechtlichen Handlungsobliegenheiten sind jedoch dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen. Sie stehen der Erfüllung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen.
28(1) Den Arbeitgeber trifft zwar bei einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs ( - Rn. 12). Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub selbst hat aber ausschließlich die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Zahlung des Urlaubsentgelts zum Gegenstand (vgl. - [Hein] Rn. 24). Hierauf ist die Erfüllungshandlung des Arbeitgebers bezogen. Einen darüberhinausgehenden „Urlaubserfolg“ schuldet er dem Arbeitnehmer nicht.
29(2) Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums (und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts) hat der Arbeitgeber als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan (§ 243 Abs. 2 BGB). Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien - wie in §§ 9, 10 BUrlG - besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen, findet eine Umverteilung des Risikos zugunsten des Arbeitnehmers statt (vgl. - Rn. 23; - 9 AZR 251/04 - Rn. 30, BAGE 114, 313; - 9 AZR 384/92 - zu 2 c der Gründe, BAGE 77, 296). Die Bestimmungen der §§ 9, 10 BUrlG sind nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschriften (NK-GA/Düwell § 9 BUrlG Rn. 2; ErfK/Gallner 20. Aufl. BUrlG § 9 Rn. 2). Ihre entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergibt, kommt grundsätzlich nicht in Betracht ( - zu 2 c der Gründe, aaO). Somit trägt regelmäßig der Arbeitnehmer das Risiko, dass sich der Urlaubszweck nach der Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht (vollständig) realisiert. Dieses Risiko wird regelmäßig durch innere und äußere Umstände beeinflusst, die dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen sind. Dies ist auch bei den versicherungsrechtlichen Handlungsobliegenheiten gegenüber der Agentur für Arbeit, die den persönlichen Bezug von Arbeitslosengeld beeinflussen, der Fall.
30(3) Ebenso wenig wie es für die Entstehung, den Bestand und die Erteilung des Urlaubs auf ein abstraktes oder konkretes Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers ankommt (vgl. - Rn. 30, BAGE 126, 352; ErfK/Gallner 20. Aufl. BUrlG § 1 Rn. 5), besteht während des Urlaubs für den Arbeitnehmer eine „Pflicht zur Erholung“ ( - zu II 2 b dd der Gründe, BAGE 37, 382). Er ist in seiner Freizeitgestaltung zumindest im Rahmen der von § 8 BUrlG gesetzten Grenzen frei, ohne dass der Urlaubszweck gefährdet wäre (vgl. ErfK/Gallner 20. Aufl. BUrlG § 1 aaO). Die in § 8 BUrlG normierte Verpflichtung des Arbeitnehmers, während des Urlaubs keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit auszuüben, ist zugleich Ausdruck einer allgemeinen gesetzgeberischen Wertung. Danach wird der Urlaubszweck nicht durch jedwede (Erwerbs-)Tätigkeit oder Beschäftigung außerhalb des Arbeitsverhältnisses mit dem Urlaub gewährenden Arbeitgeber gefährdet, die die Erholung und Entspannung des Arbeitnehmers sowie die Möglichkeit der selbstbestimmten Nutzung seiner Freizeit beeinträchtigen könnte. Eine Erfüllung von Urlaubsansprüchen ist deshalb nicht schon dann ausgeschlossen, wenn bereits bei der Gewährung und Inanspruchnahme absehbar ist, dass der Arbeitnehmer im vorgesehenen Urlaubszeitraum aus seiner Sphäre stammenden Belastungen oder Anstrengungen ausgesetzt ist, die seine selbstbestimmte Erholung negativ berühren, solange die durch den bezahlten Jahresurlaub intendierten Mindestanforderungen an Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung (vgl. - [Fetico ua.] Rn. 29 mwN) nicht unterschritten werden.
31(4) Aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ergibt sich nicht, dass die Erfüllung der aus dem Sozialversicherungsverhältnis des Klägers erwachsenden Obliegenheiten die Mindestanforderungen an Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung unterlaufen oder die Erholung und Entspannung maßgeblich vereitelt haben.
32e) Die Voraussetzungen für die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV liegen nicht vor (vgl. dazu - Rn. 35, BAGE 165, 100). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bereits entschieden, dass eine nationale Regelung, die es Arbeitnehmern nicht erlaubt, den darin vorgesehenen Sonderurlaub an Arbeitstagen der Arbeitnehmer in Anspruch zu nehmen, sofern die Bedürfnisse und Verpflichtungen, die dem Sonderurlaub zugrunde liegen, während des bezahlten Jahresurlaubs eintreten, nicht gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG verstößt ( - [Fetico ua.] Rn. 42). Diese Regelung räumte Arbeitnehmern grundsätzlich einen Anspruch auf bezahlten Sonderurlaub ein, der es ihnen ermöglicht, bestimmten Bedürfnissen und Verpflichtungen (wie zB Heirat, Geburt eines Kindes, Krankenhausaufenthalt, chirurgische Operation oder der Tod eines nahen Angehörigen sowie die Erfüllung gewerkschaftlicher Vertretungsfunktionen) nachzukommen. Der Anspruch auf bezahlten Sonderurlaub bestand indessen nicht, wenn die Bedürfnisse und Verpflichtungen während des bezahlten Jahresurlaubs eintreten. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat erkannt, dass derartige Sonderurlaubsregelungen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88/EG fallen, sondern der Ausübung der eigenen Befugnisse durch einen Mitgliedstaat unterliegen ( - [Fetico ua.] Rn. 31). Anders als bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, bei der der Arbeitnehmer berechtigt ist, den Jahresurlaub auf seinen Antrag zu einer anderen als der mit dem Krankheitsurlaub zusammenfallenden Zeit zu nehmen, damit er ihn tatsächlich in Anspruch nehmen kann ( - [Fetico ua.] Rn. 34 mwN), hat der Gerichtshof der Europäischen Union für den Eintritt der grundsätzlich zum Sonderurlaub berechtigenden Bedürfnissen und Verpflichtungen implizit erkannt, dass dadurch die Erfüllung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub nicht berührt wird. Anderenfalls liefe sein Argument, „die Bedürfnisse oder Verpflichtungen, die die Gewährung eines Sonderurlaubs rechtfertigen, [müssen] in einem Arbeitszeitraum eintreten“, „so dass sich die Arbeitnehmer während … des bezahlten Jahresurlaubs nicht auf ihn berufen können“ ( - [Fetico ua.] Rn. 35 f.), leer. Stehen danach „urlaubsschädliche“ Bedürfnisse und Verpflichtungen wie Krankenhausaufenthalt, chirurgische Operation oder der Tod eines nahen Angehörigen sowie die Erfüllung gewerkschaftlicher Vertretungsfunktionen der Erfüllung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen, bestehen auch keine Zweifel daran, dass dies auch dann gilt, wenn der Arbeitnehmer seinen versicherungsrechtlichen Handlungsobliegenheiten gegenüber der Agentur für Arbeit nachkommt.
33II. Ein Anspruch auf weitere Vergütung für den streitgegenständlichen Zeitraum steht dem Kläger auch nicht aus dem gerichtlichen Vergleich vom zu. Das Landesarbeitsgericht hat den Prozessvergleich zutreffend dahingehend ausgelegt, dass durch ihn insoweit kein unabhängig von den tatsächlich bestehenden Anspruchsgrundlagen eigenständiger Vergütungsanspruch begründet werden sollte.
341. Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge - auch Prozessvergleiche - so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist zunächst vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Ebenso sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen (st. Rspr., vgl. nur - Rn. 22; - 4 AZR 522/15 - Rn. 25; - 2 AZR 716/14 - Rn. 35, BAGE 153, 20, jeweils mwN). Der Senat kann offenlassen, ob die Auslegung des materiell-rechtlichen Inhalts eines Prozessvergleichs durch das Landesarbeitsgericht der vollen revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt (so zB - Rn. 22; - 5 AZR 137/14 - Rn. 18 mwN, BAGE 151, 382) oder ob sie nur darauf überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen, wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen oder eine gebotene Auslegung unterlassen hat (so zB - Rn. 14 mwN). Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts hält auch einer vollen revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
352. Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem gerichtlichen Vergleich, das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abzurechnen, wird hierdurch im Zweifel nur die ohnehin bestehende Rechtslage bestätigt ( - Rn. 49; - 5 AZR 434/03 - zu I der Gründe; vgl. zu einer sonstigen Erklärung im Prozess: - Rn. 44). Die vorzunehmende Abrechnung betrifft idR die tatsächlich bestehenden Ansprüche. Eine Verwendung des Worts „ordnungsgemäß“ soll die vorzunehmende Abrechnung näher beschreiben. Sie zielt auf eine Berechnung nach den außerhalb des Vergleichs aufzufindenden, von ihm unabhängig anzuwendenden Rechtsnormen (vgl. - zu I der Gründe). Ein Anerkenntnis einer Zahlungspflicht liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ansprüche, auf die sich die Abrechnungspflicht beziehen soll, nicht benannt sind (vgl. - Rn. 49; - 9 AZR 162/18 - Rn. 24, BAGE 163, 282).
363. Danach haben die Parteien durch den Prozessvergleich keine von der objektiven Rechtslage unabhängigen Zahlungsansprüche des Klägers für den Zeitraum vom 19. September bis zum begründet.
37a) Hierfür spricht bereits der Wortlaut des Vergleichs. In dessen Ziff. 3 hat sich der Beklagte verpflichtet, den Zeitraum vom bis zum ordnungsgemäß auf der Basis eines Monatsgrundgehalts iHv. 1.900,00 Euro abzurechnen und die sich daraus ergebenden Nettobeträge an den Kläger zu zahlen. Die Regelung enthält keine Bezeichnung der abzurechnenden Ansprüche. Zudem lässt sie offen, wie die bereits abgerechneten und ausgezahlten Beträge in der (neu) zu erteilenden Abrechnung behandelt werden sollen. Nach den oben dargestellten Auslegungsgrundsätzen ergibt sich aus dem Vergleichswortlaut somit kein Rechtsbindungswille des Beklagten, der darauf gerichtet ist, einen (Annahmeverzugs-)Anspruch zu begründen, der der objektiven Rechtslage nach nicht besteht. Auch die Formulierung, dass die Abrechnung „auf der Basis eines Monatsgrundgehalts in Höhe von 1.900,00 Euro“ vorzunehmen ist, erlaubt keinen Rückschluss auf die Vereinbarung eines bestimmten Anspruchsgrunds. Hierdurch wird lediglich die Bemessungsgrundlage des abzurechnenden Anspruchs festgelegt. Anhand ihrer lässt sich nicht nur eine Annahmeverzugsvergütung, sondern gleichermaßen das Urlaubsentgelt berechnen. Eine - auch nur implizite - von der bestehenden Rechtslage abweichende Festlegung der rechtlichen Grundlage für die Zahlungspflicht lässt sich daraus nicht ableiten.
38b) Das Landesarbeitsgericht hat keine tatsächlichen Umstände festgestellt, die eine hiervon abweichende Beurteilung zulassen.
39III. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:250820.U.9AZR612.19.0
Fundstelle(n):
BB 2020 S. 2803 Nr. 49
NJW 2021 S. 412 Nr. 6
IAAAH-63565