Strafzumessung: Berücksichtigung der vorhandenen bzw. fehlenden Therapiebereitschaft eines drogenabhängigen Täters; Anwendung des Zweifelssatzes
Gesetze: § 46 StGB
Instanzenzug: Az: 120 Js 16380/19 - 4 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen verurteilt, die Angeklagte S. zu zwei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten Sc. zu einem Jahr und acht Monaten und den Angeklagten E. zu zwei Jahren und neun Monaten. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten Sc. in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten jeweils mit der ausgeführten Sachrüge.
2Ihre Rechtsmittel haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
31. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4a) Das Landgericht hat bei den drogenabhängigen Angeklagten S. und Sc. jeweils als strafschärfend gewertet, dass sie „eine ungelöste Suchtproblematik“ aufweisen. Bei dem unter einer schweren Suchterkrankung leidenden Angeklagten E. , der eine „Vielzahl von stationären Entgiftung- und Therapiemaßnahmen“ erfolglos durchlaufen hat, hat es strafschärfend dessen „langwierige, unbehandelte Suchtproblematik“ eingestellt. Dies ist rechtsfehlerhaft. Grundlagen der Strafzumessung sind gemäß § 46 StGB der Grad der persönlichen Schuld des Täters sowie die Schwere der Tat in ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung. Zwar kann eine etwa vorhandene Therapiebereitschaft eine strafmildernde Wirkung entfalten (vgl. hierzu Rn. 5 mwN). Umgekehrt aber begegnen der Wertung einer fehlenden Therapiebereitschaft als Strafschärfungsgrund dann Bedenken, wenn die Weigerung, sich therapeutischer Hilfe zu bedienen, nicht ausschließbar gerade durch die Grunderkrankung bedingt ist. So verhält es sich hier. Es ist zu besorgen, dass sich gerade die Alkohol- und Betäubungsmittelabhängigkeit der Angeklagten bei der Bemessung der Höhe der jeweiligen Freiheitsstrafe zu ihrem Nachteil ausgewirkt hat.
5b) Bezüglich des Angeklagten Sc. kann der Strafausspruch aus einem weiteren Grund keinen Bestand haben. Die Strafkammer unterstellt zwar im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinn zu seinen Gunsten, dass nach seiner Einlassung (die sie allerdings im Rahmen der Beweiswürdigung als „beschönigend“ und Schutzbehauptung gewertet hat, UA S. 28 f.) er und nicht der Mitangeklagte G. deeskalierend auf den Angeklagten E. einwirkte (UA S. 20, 46). Bei der Prüfung, ob der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB gegeben ist, führt sie aber gegen die Annahme einer rechtlich erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit infolge seiner Alkoholisierung dieses deeskalierende Verhalten an (UA S. 40 f.). Dies ist rechtsfehlerhaft; denn der Zweifelssatz darf nicht so angewendet werden, dass er sich an anderer Stelle zu Lasten des Täters auswirkt (Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 20 Rn. 67, vgl. hierzu auch Rn. 6 mwN). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten Sc. ausgewirkt hat. Der Strafausspruch bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
6c) Da nicht auszuschließen ist, dass die Strafkammer noch Feststellungen dazu treffen kann, wer tatsächlich auf die genannte Weise deeskaliert hat, hebt der Senat auch die dem Strafausspruch zugehörenden Feststellungen auf.
72. Die Entscheidung über die Ablehnung der Unterbringung der Angeklagten S. und E. in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) bzw. deren Anordnung bei dem Angeklagten Sc. weisen auf der Grundlage der Feststellungen keine Rechtsfehler auf. Sie bleiben daher von der Aufhebung ausgenommen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:220720B1STR220.20.0
Fundstelle(n):
LAAAH-62660