BGH Beschluss v. - 5 StR 25/13

Instanzenzug:

Gründe

G r ü n d e

1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, versuchter Erpressung in zwei Fällen, versuchter Nötigung in drei Fällen, Bedrohung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung und Beleidigung in drei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2 1. Der Verurteilung liegt eine Serie von Straftaten zugrunde, die der Angeklagte im Zeitraum von Mitte Dezember 2010 bis August 2011 zum Nachteil von vier jungen Frauen beging, zu denen er jeweils über das Internet Kontakt aufgenommen hatte. Zu zwei der Frauen, unter anderem zu der Nebenklägerin, hatte sich daraus eine sexuelle Beziehung entwickelt. Von allen Frauen ließ der Angeklagte sich über das Internet Nacktfotos schicken. Durch die Drohung, diese Fotos im Internet zu veröffentlichen, versuchte er die Frauen zur Übersendung weiterer Nacktfotos und die Nebenklägerin zur Fortsetzung der Beziehung mit ihm zu zwingen. In zwei Fällen versuchte er mit derselben Drohung die Zahlung eines Geldbetrages durchzusetzen. Darüber hinaus bedrohte und beleidigte er die Frauen. Die Nebenklägerin zwang er in einem Fall unter Einsatz körperlicher Gewalt zur Duldung des Geschlechtsverkehrs.

3 2. Das Landgericht hat auf die Taten des im Zeitpunkt der ersten (Vergewaltigungs-)Tat noch heranwachsenden Angeklagten insgesamt Jugendstrafrecht angewendet und wegen der Schwere der Schuld und schädlicher Neigungen des Angeklagten eine Jugendstrafe verhängt. Sachverständig beraten ist es dabei von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen. Nach dem vom Landgericht für überzeugend erachteten Sachverständigengutachten liege beim Angeklagten zwar eine "Störung der Persönlichkeitsentwicklung" vor, "die in wechselnder und unterschiedlicher Ausprägung haltschwache, emotional instabile, narzisstische und sadistische Züge trage". Dieses Störungsbild stelle aufgrund der resultierenden Alltagsbeeinträchtigungen und der sozialen Konsequenzen für den Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit dar. Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner Steuerungsfähigkeit ergäben sich gleichwohl nicht. Die den Taten zugrunde liegenden Handlungsabläufe seien "relativ komplex, mehrschrittig, strukturiert und würden planerisches Vorgehen voraussetzen". Zu bedenken bleibe, "inwieweit sich eine progrediente Einengung auf einen pathologischen Kompensationsversuch für ein von ständiger Dekompensation bedrohtes Selbstwertgefühl auf die Tatentstehung ausgewirkt habe". Dies könne indes nicht ausreichend beurteilt werden, da zum inneren Kräftespiel von Abwehr und Impuls zur Tatausführung zu wenige Erkenntnisse vorlägen. Insgesamt würden die vorhandenen Einsichten noch nicht die Feststellung einer durch die psychische Störung bedingten erheblichen "Störung" oder gar Aufhebung der Steuerungsfähigkeit erlauben (UA S. 29 f.).

4 3. Diese Begründung für die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Taten hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

5 a) Angesichts der im Urteil geschilderten erheblichen Auffälligkeiten des Angeklagten im Alltags-, Sozial- und Sexualverhalten ist die Bejahung einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nachvollziehbar. Dass diese die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten nicht erheblich beeinträchtigt haben soll, ist nicht rechtsfehlerfrei begründet. Es wird nicht bedacht, dass auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein kann, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvermögen gegeneinander abzuwägen und danach den Willensentschluss zu bilden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 398/07, NStZ-RR 2008, 104, und vom - 5 StR 3/01, StraFo 2001, 249).

6 b) Zum anderen lassen die Erwägungen des Landgerichts besorgen, dass es bei der Prüfung der Frage, ob die psychische Störung des Angeklagten zu einer erheblichen Verminderung seiner Schulfähigkeit geführt hat, den Grundsatz "in dubio pro reo" außer Acht gelassen hat. Bei der Entscheidung über die Voraussetzungen der verminderten Schuldfähigkeit findet dieser Grundsatz Anwendung, wenn nicht behebbare tatsächliche Zweifel bestehen, die sich auf Art und Grad des psychischen Ausnahmezustandes beziehen (vgl. , NStZ-RR 2006, 335). Entsprechendes hat auch zu gelten, wenn tatsächliche Zweifel daran bestehen, ob und in welchem Maße sich eine angenommene schwere seelische Störung auf die Tatentstehung ausgewirkt hat.

7 4. Der Senat kann zwar eine Aufhebung der Schuldfähigkeit sicher ausschließen, nicht hingegen, dass der Rechtsfolgenausspruch milder ausgefallen wäre. In Rahmen erneuter Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB wird, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen, bei dem ersichtlich dringend therapiebedürftigen Angeklagten auch die Frage einer Unterbringung nach § 63 StGB (vgl. auch § 5 Abs. 3 JGG) zu prüfen sein, die freilich nur bei gesicherter Feststellung erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit angeordnet werden darf (vgl. zudem gegebenenfalls § 23 Abs. 1, § 10 JGG, § 56c Abs. 3 StGB).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
KAAAE-32591