Patentnichtigkeitsklage: Rechtsschutzinteresse des Verletzungsbeklagten in Bezug auf Unteransprüche und Nebenansprüche des Patents; Zulässigkeit der erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachten Verteidigung eines Patents in geänderter Fassung - Datenpaketumwandlung
Leitsatz
Datenpaketumwandlung
1. Nach Ablauf der Schutzdauer eines Patents begründet eine Verletzungsklage für den Verletzungsbeklagten, auch wenn sie nur auf den Hauptanspruch gestützt ist, ein Rechtsschutzinteresse an einer Nichtigkeitsklage regelmäßig auch in Bezug auf alle auf diesen zurückbezogenen Unteransprüche des Patents.
2. Bei Nebenansprüchen gilt jedenfalls dann nichts anderes, wenn diese inhaltlich so weitgehend übereinstimmen, dass die Verwirklichung eines Anspruchs (etwa eines Vorrichtungsanspruchs) typischerweise zur Verwirklichung der Merkmale des anderen Anspruchs (etwa eines Verfahrensanspruchs) führt.
3. Die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Verteidigung eines Patents in geänderter Fassung ist in der Regel gemäß § 116 Abs. 2 PatG zulässig, wenn sich der neue Antrag von einem bereits in erster Instanz gestellten Antrag nur dadurch unterscheidet, dass einzelne der zur erteilten Fassung hinzutretenden Merkmale gestrichen worden sind (Bestätigung von Rn. 52).
Gesetze: § 81 PatG, § 116 Abs 2 PatG
Instanzenzug: Az: 5 Ni 59/16 (EP) Urteil
Tatbestand
1Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 280 279 (Streitpatents), das aus einer Teilanmeldung zu der am unter Inanspruchnahme der Prioritäten zweier niederländischer Patentanmeldungen vom und vom eingereichten internationalen Anmeldung WO 95/20285 hervorgegangen ist. Das Streitpatent betrifft Verfahren und Vorrichtungen zur Umwandlung und Übertragung einer Folge von Datenpaketen mit Hilfe von Datenkompression. Die Patentansprüche 1 und 21 lauten in der Verfahrenssprache:
1. Method for converting a first series (10) of data packets, each having a header field (h) and a data field (d), into a second series (20) of data packets, each having a header field (h) and a data field (d), both series comprising data packets of a plurality of channels (A, B), and data from the data fields of the first series (10) being subjected to a compression process (P) and then being accommodated in the data fields of the second series (20), characterized in that each data field of the second series (20) contains data of only one channel (e.g. A) and data to be accommodated in the data fields of the second series (20) are compressed per channel.
21. Device (100; 200) for compressing data packets, comprising input means (110; 210) for receiving a first series of data packets (10) each having a header field (h) and a data field (d), identification means (110; 210) for determining the channel (A, B, ...) of the data packets received, processing means (130; 230) for compressing the data field of each data packet to be compressed, and output means (160; 260) for forming a second series (20) of data packets each having a header field and a data field, and for accommodating, in the data field of a data packet of the second series (20), a compressed data field of the first series (10), characterized in that processing means (130; 230) are provided, for compressing per channel (A, B, ...) data to be accommodated in a data field of the second series (20) and for accommodating, in each data field of the second series (20), data of only one channel (e.g. A).
2Die Patentansprüche 2 bis 20 sind auf Patentanspruch 1, die Patentansprüche 22 bis 25 auf Patentanspruch 21 zurückbezogen. Patentanspruch 26 betrifft ein System zum Übertragen von Datenpaketen in komprimierter Form umfassend mindestens eine Vorrichtung nach einem der Patentansprüche 21 bis 25.
3Die Klägerin zu 1 (im Folgenden: Klägerin), die von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents gestützt auf dessen Patentanspruch 21 gerichtlich in Anspruch genommen wird, hat beantragt, das Streitpatent für nichtig zu erklären. Sie hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und das Streitpatent hilfsweise mit drei Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.
4Die Klägerin zu 2, die ebenfalls die vollständige Nichtigerklärung beantragt hatte, hat ihre Klage im Laufe des Berufungsverfahrens zurückgenommen.
5Das Patentgericht hat das Streitpatent im Umfang seines Patentanspruchs 21 für nichtig erklärt und die Klage im Übrigen als unzulässig abgewiesen. Mit ihrer Berufung strebt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage an. Hilfsweise verteidigt sie den Gegenstand von Patentanspruch 21 in dreizehn geänderten Fassungen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen und schließt sich der Berufung der Beklagten mit dem Ziel der vollumfänglichen Nichtigerklärung des Streitpatents an. Die Beklagte tritt der Anschlussberufung entgegen.
Gründe
6Die Berufung und die Anschlussberufung sind zulässig. Beide Rechtsbehelfe haben in der Sache teilweise Erfolg.
7I. Das Streitpatent betrifft Verfahren und Vorrichtungen zur Umwandlung und Übertragung einer Folge von Datenpaketen mit Hilfe von Datenkompression.
81. Nach der Beschreibung war es bekannt, bei einer Folge von Datenpaketen, die jeweils ein Kopffeld (header field) und ein Datenfeld (data field) aufweisen, die Daten der Datenfelder zu komprimieren und als eine zweite Folge von Datenpaketen zu übertragen. Bei einem aus der europäischen Patentanmeldung 559 593 (NB3) vorbekannten Verfahren könne ein Datenfeld der zweiten Folge Daten aus unterschiedlichen Quellen (Kanälen) enthalten. Hierzu wiesen die Datenfelder der zweiten Folge Unterkopffelder zur Rekonstruktion der Kanalzugehörigkeit auf. Dadurch vermindere sich jedoch die Übertragungskapazität für nutzbare Daten (useful data). Überdies müssten auf der Empfangsseite die Unterkopffelder und die nutzbaren Daten in einem zusätzlichen, Aufwand verursachenden Bearbeitungsschritt separiert werden. Würden die Datenpakete über Zwischenstationen übertragen, müssten auch diese die Komprimierungsfunktion unterstützen.
92. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent das technische Problem zugrunde, eine effizientere Übertragung von komprimierten Daten zu ermöglichen.
103. Zur Lösung schlagen die Patentansprüche 1 und 21 ein Verfahren und eine Vorrichtung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (die in Details abweichende Gliederung des Patentgerichts ist in eckigen Klammern wiedergegeben):
11a) Patentanspruch 1:
12b) Patentanspruch 21:
134. Als Fachmann ist nach den von den Parteien nicht beanstandeten Ausführungen des Patentgerichts ein Diplomingenieur der Elektrotechnik mit Hochschulausbildung anzusehen, der schwerpunktmäßig mit der Datenübertragung befasst ist und über Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Datenkomprimierung verfügt.
145. Einige Merkmale bedürfen der näheren Erörterung:
15a) Als Kanal im Sinne der Patentansprüche ist nach der Beschreibung eine logische Verbindung zwischen einer Datenquelle (Sendeseite) und einem Datenziel (Empfangsseite) zu verstehen.
16aa) Ein solcher Kanal ist nicht zwingend mit einer körperlichen Verbindung zwischen einer Datenquelle und einem Datenziel identisch. Vielmehr kann eine Vielzahl von Kanälen über eine körperliche Verbindung aktiv sein; ein Kanal muss zudem nicht einer bestimmten körperlichen Verbindung zugeordnet sein (Abs. 14).
17bb) Es sind mehrere Kanäle (A, B, …) vorgesehen, die sich dadurch unterscheiden, dass sie verschiedene Quellen, aus denen die Daten jeweils stammen, mit verschiedenen Zielen, an die die Daten jeweils übermittelt werden, verbinden, wobei die Quellen bereits zu Datenpaketen ausgebildete Daten oder auch nur Datenströme aussenden können, die erst von einer nachgelagerten Vorrichtung zu Datenpaketen ausgebildet werden können (vgl. Figur 6 und Abs. 68).
18cc) Entsprechend den in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispielen muss es sich bei den sendenden und empfangenden Geräten um Endgeräte handeln, die innerhalb eines Netzwerkes angeordnet sind. Das beanspruchte Verfahren kann zwar grundsätzlich auf jeder Ebene des OSI-Schichtenmodells zur Anwendung kommen (Abs. 17; 43 ff.). Das ändert aber nichts an den durch den Kanal festgelegten funktionellen Beziehungen und der Benutzeridentität (Abs. 17), so dass auch bei Anwendung des OSI-Schichtenmodells unter einem Kanal im Sinne der Erfindung eine logische Verbindung zwischen Endgeräten auf der Sender- und Empfängerseite zu verstehen ist.
19dd) Informationen zur Identifizierung des Kanals, zum Beispiel die Adressen von Quelle und Ziel, sind in der Regel aus den Kopffeldern der ersten Folge von Datenpaketen ersichtlich.
20Wenn die zweite Folge von Datenfeldern wie in dem in der Streitpatentschrift beschriebenen Stand der Technik Felder mit Daten aus mehreren Kanälen enthält, müssen diese Informationen in die Datenfelder verlagert werden, weil das Kopffeld üblicherweise nur die Angabe eines Kanals ermöglicht. Erfolgt die Umsetzung in der Weise, dass auch in der zweiten Folge von Datenfeldern jedes Datenpaket nur Daten aus einem Kanal enthält, können die Angaben zum Kanal hingegen im Kopffeld verbleiben und die Datenfelder stehen in vollem Umfang für Nutzdaten zur Verfügung.
21b) Entgegen der Auffassung der Berufung setzt der vom Patentgericht mit "unterbringen" und in der Patentschrift mit "einbringen", "einsetzen" (Patentanspruch 1) und "einpassen" (Patentanspruch 21) übersetzte Begriff "accommodate" nicht zwingend voraus, dass ein oder mehrere Datenfelder der zweiten Folge vollständig befüllt werden.
22aa) Wie auch die Berufung im Ansatz nicht verkennt, gibt der Wortlaut der Patentansprüche auch in der maßgeblichen Fassung der Verfahrenssprache keinen eindeutigen Aufschluss darüber, welche Bedeutung diesem Begriff im Zusammenhang mit dem Streitpatent zukommt.
23bb) Zur Erreichung des vom Streitpatent angestrebten Ziels, die Daten möglichst effizient zu übertragen, ist eine vollständige Befüllung von Datenfeldern nicht zwingend erforderlich und nicht in jeder Situation geeignet.
24Die Beschreibung des Streitpatents beschreibt als Ziel der Erfindung eine optimale Ausnutzung der Datenfelder der zweiten Datenreihe. Als entscheidende Mittel zur Erreichung dieses Ziels hebt sie die bereits erwähnte kanalreine Komprimierung und Unterbringung der Daten hervor (Abs. 7, 11), wie dies die Merkmale M4.1 und M4.2 sowie die Merkmalsgruppe D6 vorsehen.
25Die vollständige Befüllung der Datenfelder kann zwar in bestimmten Situationen zur weiteren Steigerung der Effizienz beitragen. Anders als die beiden anderen Maßnahmen wird sie in der Beschreibung aber weder als unerlässlich noch als in jeder Situation vorteilhaft dargestellt. Vielmehr wird ausgeführt, zur Vermeidung von Verzögerungen könne es vorteilhaft sein, zumindest einzelne Datenfelder nur teilweise zu befüllen und die einzelnen Datenpakete stattdessen zu bestimmten Zeitpunkten, nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne (Abs. 28) oder nach vollständiger Verarbeitung eines Datenpakets der ersten Folge (Abs. 58) zu versenden. Die beiden zuerst genannten Ausgestaltungen sind durch die Patentansprüche 18 und 20 ausdrücklich unter Schutz gestellt.
26cc) Weder den Patentansprüchen noch der Beschreibung kann entnommen werden, dass diese besonderen Ausgestaltungen nur einzelne Datenpakete betreffen und daneben stets mindestens ein vollständig befülltes Datenfeld vorhanden sein muss.
27Daran ändert auch der Hinweis in der Streitpatentschrift auf die europäische Patentanmeldung 559 593 (NB3) nichts, da diese lediglich als Beleg dafür herangezogen wird, dass Verfahren nach dem Oberbegriff von Patentanspruch 1 bereits im Stand der Technik bekannt gewesen seien.
28Nach der Beschreibung kann die erste Datenfolge aus einem einzigen Datenpaket bestehen (Abs. 16). Je nach der Größe der Datenpakete der zweiten Folge und dem eingesetzten Kompressionsverfahren - deren Ausgestaltung dem Fachmann überlassen bleibt - kann dies dazu führen, dass auch die zweite Folge nur ein Datenpaket umfasst und dessen Datenfeld nicht vollständig ausgefüllt ist.
29dd) Für die Vorrichtung nach Anspruch 21 gilt nichts anderes.
30In der Beschreibung wird eine Vorrichtung geschildert, die in drei verschiedenen Betriebsweisen arbeiten kann, von denen die erste und die dritte grundsätzlich eine vollständige Befüllung der Datenfelder der zweiten Folge vorsehen und nur die zweite einen Versand nach jeder Verarbeitung eines Datenpakets der ersten Folge zum Gegenstand hat (Abs. 56-59). Diesen Ausführungen, die sich ohnehin nur auf ein Ausführungsbeispiel beziehen, ist nicht zu entnehmen, dass die Vorrichtung zwingend für alle drei Betriebsweisen geeignet sein muss. Auch Patentanspruch 21 enthält keine Festlegung auf eine dieser Betriebsweisen. Dementsprechend gehören zum geschützten Gegenstand auch Vorrichtungen, die lediglich die zweite Betriebsweise oder einen damit vergleichbaren Modus aufweisen.
31II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Berufungsverfahren von Belang, im Wesentlichen wie folgt begründet:
32Die Klage sei nur zulässig, soweit sie Patentanspruch 21 betreffe. Aufgrund des Schutzrechtsablaufs setze die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis voraus. Da mit der Verletzungsklage nur Patentanspruch 21 geltend gemacht werde, sei das Rechtsschutzbedürfnis nur insoweit gegeben.
33Ob der Gegenstand von Patentanspruch 21 gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen unzulässig erweitert sei, könne dahinstehen. Jedenfalls sei er nicht patentfähig, weil er in der internationalen Anmeldung WO 92/20176 (K5) vollständig offenbart sei. Die Entgegenhaltung betreffe Kommunikationsnetze, in denen verschiedene lokale Netze (LANs) über sog. "interconnect nodes" verbunden seien. Der Datenaustausch von einer Vielzahl von Quellen in einem lokalen Netzwerk zu einer Vielzahl von Senken in einem anderen lokalen Netzwerk werde durch die interconnect nodes gemischt ("multiplexed"), wobei die Daten in einer Rahmenstruktur übertragen würden. Die "bridge" des node 16 bereite die von Quellen im ersten lokalen Netzwerk empfangenen Datenrahmen, die jeweils ein Kopf- und ein Datenfeld aufwiesen und eine erste Folge von Datenpaketen bildeten, für die Übertragung über den Link A an den node 18 des zweiten lokalen Netzwerks vor. Durch eine Vorrichtung im node 16 würden die Daten hierzu komprimiert. Damit seien die Merkmale D1, D2 und D4 offenbart. Da eine der beiden Möglichkeiten für die Komprimierung vorsehe, für jede Verbindung, die durch ein Quelle-Senke-Paar beschrieben sei, ein spezifisches Kompressionswörterbuch zu verwenden, sei auch Merkmal D3 offenbart. Als Ausgabe liefere der node 16 die zweite Folge ("frame multiplexed data frame"), die Datenpakete mit Kopf- und Datenfeld aufweise. Jedes dieser Datenpakete enthalte nur die Daten eines Datenpakets der ersten Folge und damit eines Kanals, weil jedes Datenpaket der ersten Folge zu genau einer Verbindung (Quelle-Senke-Paar) gehöre und einzeln in genau ein Paket der zweiten Folge umgewandelt und hierbei komprimiert werde. Daher seien auch die Merkmale D5.1, D5.2, D6.1 und D6.2 offenbart.
34Der Gegenstand von (nach Umnummerierung nunmehr) Patentanspruch 20 gemäß Hilfsantrag 1 sei vom Inhalt der Anmeldung gedeckt. Dort seien separate buffer means offenbart, die als Speicherbereiche in einem Speicher ausgebildet sein könnten. Eine Pufferung komprimierter Daten pro Kanal sei nicht nur in Verbindung mit dem vollständigen Befüllen der Datenfelder der zweiten Folge ursprungsoffenbart.
35Der Gegenstand von Anspruch 20 gemäß Hilfsantrag 1 sei aber nicht neu gegenüber K5. Dort müssten Puffermittel vorhanden sein, um die Datenfelder komprimiert in den "frame multiplexed data stream", mithin in die zweite Folge, einzufügen. Die Datenpakete der ersten Folge würden kanalrein 1-zu-1 komprimiert. Dabei werde zunächst das aktuelle Datenpaket ("current frame") mit dem kanalspezifischen Vokabelverzeichnis V1 komprimiert, danach das nächste Datenpaket mit dem für seinen Kanal spezifischen Vokabelverzeichnis V2, usw. Dem Fachmann sei klar, dass für das "current frame" ein Speicherbereich vorhanden sein müsse. Die sodann komprimierten Daten würden in den genannten Datenstrom eingefügt.
36III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren hinsichtlich der erteilten Fassung des Patentanspruchs 21 stand, nicht jedoch hinsichtlich der mit dem Hilfsantrag 3 verteidigten Fassung dieses Anspruchs und der Abweisung der weitergehenden Klage als unzulässig.
371. Die form- und fristgerecht eingelegte Anschlussberufung ist insgesamt zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es hinsichtlich der Patentansprüche 2 bis 20 sowie 22 bis 26 nicht an einer Begründung.
38Zwar hat die Klägerin nur im Hinblick auf Patentanspruch 1 ausdrücklich dargelegt, weshalb nach ihrer Auffassung ein Rechtsschutzinteresse besteht. Aus dem Inhalt ihrer Ausführungen ergibt sich jedoch, dass sich diese Argumentation auch auf alle übrigen Patentansprüche bezieht. Dies genügt den Erfordernissen aus § 115 Abs. 3 und § 112 Abs. 3 Nr. 2 PatG.
392. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist die Klage trotz Erlöschens des Streitpatents weiterhin in vollem Umfang zulässig. Angesichts des zwischen den Parteien anhängigen Verletzungsrechtsstreits besteht die hinreichend konkrete Besorgnis, dass die Beklagte die Klägerin auch auf der Grundlage anderer Patentansprüche als Anspruch 21 in Anspruch nimmt.
40a) Die Frage, ob ein eigenes Rechtsschutzinteresse vorliegt, darf nicht nach allzu strengen Maßstäben beurteilt werden.
41aa) Soll eine Nichtigkeitsklage der vorbeugenden Abwehr von Ansprüchen dienen, ist nicht ausschlaggebend, ob diese bereits geltend gemacht oder auch nur angekündigt sind. Hinreichender Anlass, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, besteht vielmehr schon dann, wenn der Kläger Grund zu der Besorgnis hat, er könne auch nach Ablauf der Schutzdauer noch Ansprüchen wegen zurückliegender Handlungen ausgesetzt sein. Ein Rechtsschutzinteresse darf in solchen Fällen nur dann verneint werden, wenn eine solche Inanspruchnahme ernstlich nicht mehr in Betracht kommt (, GRUR 1995, 342 f. - Tafelförmige Elemente; Beschluss vom - X ZR 90/18, juris Rn. 28 - Signalübertragungssystem).
42bb) Für die Beurteilung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist auch das Verhalten des Patentinhabers bis zum Erlöschen des Schutzrechts von Bedeutung.
43Hat der Patentinhaber durch eine Verletzungsklage bereits zum Ausdruck gebracht, dass er gewillt ist, die ihm nach seiner Auffassung zustehenden Ansprüche wegen Verletzung des Patents durchzusetzen, so entfällt ein dadurch begründetes Rechtsschutzinteresse an einer bereits erhobenen Nichtigkeitsklage nicht ohne weiteres deshalb, weil der Patentinhaber die Verletzungsklage zurücknimmt. So hat der Bundesgerichtshof ein Rechtsschutzinteresse auch für den Fall bejaht, dass der Patentinhaber eine bereits erhobene Verletzungsklage zurücknimmt, einen Verzicht auf eventuelle Ansprüche aus dem Streitpatent aber ablehnt ( Xa ZR 14/10, GRUR 2010, 1084 Rn. 10 - Windenergiekonverter).
44cc) Entsprechend dieser Grundsätze begründet eine bereits erhobene Verletzungsklage grundsätzlich ein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf alle Ansprüche des Patents, auch wenn sie nur auf einzelne Patentansprüche gestützt ist.
45Soweit es um Unteransprüche geht, hängt es in der Regel allein von Zweckmäßigkeitserwägungen ab, ob eine Verletzungsklage ausschließlich auf den Hauptanspruch oder hilfsweise auch auf Unteransprüche gestützt wird. Eine Partei, die gestützt auf den Hauptanspruch wegen Verletzung des Patents verklagt wird, hat deshalb grundsätzlich Anlass zu der Besorgnis, dass das Begehren auf Unteransprüche gestützt wird, falls sich der Hauptanspruch als nicht rechtsbeständig erweist. In dieser Situation entspricht es in der Regel den Geboten der Prozessökonomie, über eine bereits anhängige Nichtigkeitsklage in Bezug auf alle Patentansprüche zu entscheiden, um eine endgültige Klärung der Rechtslage zu ermöglichen. Ein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf einzelne Unteransprüche kann in dieser Situation allenfalls dann zu verneinen sein, wenn offensichtlich ist, dass die angegriffene Ausführungsform ein darin vorgesehenes Merkmal weder wortsinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln verwirklicht.
46Soweit es um Nebenansprüche geht, gilt jedenfalls dann nichts anderes, wenn diese inhaltlich so weitgehend übereinstimmen, dass die Verwirklichung der Merkmale eines Anspruchs typischerweise zur Verwirklichung der Merkmale des anderen Anspruchs führt.
47b) Im Streitfall besteht danach ein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf alle Patentansprüche.
48aa) Patentanspruch 1 entspricht inhaltlich weitgehend dem nebengeordneten Patentanspruch 21.
49Eine Vorrichtung mit den in Patentanspruch 21 vorgesehenen Merkmalen ist typischerweise geeignet, das nach Patentanspruch 1 geschützte Verfahren auszuführen. Dies begründet die Besorgnis, dass die Beklagte Ansprüche wegen Verletzung des Streitpatents auch auf diesen Patentanspruch stützt.
50bb) Hinsichtlich der weiteren Patentansprüche, die sich auf einen der beiden genannten Ansprüche zurückbeziehen, ergibt sich ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse schon daraus, dass nicht auszuschließen ist, dass die angegriffene Ausführungsform die darin vorgesehenen zusätzlichen Merkmale aufweist.
51cc) Eine Verzichtserklärung, die das Rechtsschutzinteresse in der gegebenen Situation hätte entfallen lassen können, hat die Beklagte nicht abgegeben.
52In diesem Zusammenhang ist nicht entscheidungserheblich, dass die Beklagte die Klägerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht nicht zur Abgabe einer solchen Verzichtserklärung aufgefordert hat. In der aufgezeigten Ausgangslage oblag es der Beklagten, eine Verzichtserklärung unaufgefordert abzugeben, um das bestehende Rechtsschutzinteresse auszuräumen.
533. Das Streitpatent ist in der erteilten Fassung nicht rechtsbeständig.
54a) Wie das Patentgericht zutreffend entschieden hat, offenbart die internationale Anmeldung WO 92/20176 (K5) sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 21 in der erteilten Fassung.
55aa) Die Entgegenhaltung betrifft ein Kommunikationsnetzwerk.
56Der Zugang zu dem Netzwerk erfolgt über Verbindungsknoten (interconnect nodes), die jeweils eine Vielzahl von Datenquellen und Datenzielen mit dem Netzwerk verbinden. Die Datenquellen und Datenziele können teilweise in lokalen Netzwerken (LANs) angeordnet sein, die ihrerseits über einen Verbindungsknoten mit dem Kommunikationsnetzwerk verbunden sind (K5 S. 1 Abs. 2 f.). Die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 der K5 zeigt beispielhaft ein solches Kommunikationsnetzwerk, an dem über die Verbindungsknoten 16, 18 und 70 drei lokale Netzwerke LAN1, LAN2 und LAN3 angeschlossen sind, die jeweils mehrere Teilnehmer (T1, S2, S3, T2, T3) als potentielle Datenquellen bzw. Datenziele aufweisen.
57Der Datenaustausch zwischen einer der Quellen im LAN1 und einem der Ziele T2 im LAN2 über den Link A kann in Form von Datenrahmen (data frames) erfolgen. Diese enthalten, wie in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 illustriert, einen Kopfbereich (header), der die Quelladresse (source address S) 20 und die Zieladresse (destination address D) 22 enthält, und einen Informationsdatenbereich (data information portion) 24 für (nutzbare) Daten (vgl. K5 S. 7/8).
58Um die Charakteristik des Datenverkehrs des jeweiligen Quell-Ziel-Paares auszunutzen, ist nach den Angaben in K5 eine Kompressionsmethode vorteilhaft, bei der die Daten datenrahmenweise und damit getrennt für jede Quelle mit einem spezifischen Kompressionswörterbuch komprimiert werden (K5 S. 3 Abs. 2 f.). Hierfür schlägt K5 eine Speicherverwaltung für die Kompressionswörterbücher vor (K5 S. 4 Abs. 2 bis S. 5, S.14 Abs. 2 bis 16 Abs. 1). Der Verbindungsknoten 16 enthält eine Datenkompressionsvorrichtung, die über einen Speicher VA für aktuelle Kompressionswörterbücher verfügt und den aktuellen Datenrahmen einzeln komprimiert. Hierzu werden für den Datenverkehr zwischen den Verbindungsknoten 16 und 18 die Quell- und Zieladresse des jeweils aktuellen Datenrahmens überwacht, um über einen für diese Quell-Ziel-Paarung ermittelten Bewertungstabellenindex-Code (Rating Table Index (RTI)-Code) das für diese Paarung geeignete Kompressionswörterbuch auszuwählen (K5 S. 10 Abs. 2 bis S. 11 Abs. 2). Falls für die aktuelle Paarung kein Wörterbuch gespeichert ist, wird ein Wörterbuch anhand des aktuellen Datenrahmens gebildet (K5 S. 15 Abs. 1). Mit dem passenden Kompressionswörterbuch wird der aktuelle Datenrahmen einzeln komprimiert.
59Die komprimierten Datenrahmen beginnen mit der Angabe von Quell- und Zieladresse (K5 S. 14 Abs. 2). Sie werden vom Verbindungsknoten 16 an den Verbindungsknoten 18 im Wege eines so genannten Rahmen-Multiplex-Datenstroms übertragen (K5 S. 8 Abs. 2 S. 14 Abs. 2). Ein solcher Datenstrom ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 5 unter Angabe der für die einzelnen Rahmen F1 bis F7 verwendeten Kompressionswörterbücher V1 bis V3 und der Quelladress-Zieladress-Paarungen S/D beispielhaft ausschnittsweise illustriert. In diesem Beispiel wurden für die Rahmen F4 und F7 in Ermangelung passender vorhandener Kompressionswörterbücher neue gebildet und hierfür der Speicherplatz des ursprünglichen Wörterbuchs V1 bzw. V2 überschrieben (vgl. K5 S. 15 Abs. 1 bzw. Abs. 2).
60bb) Wie das Patentgericht zutreffend entschieden hat und auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, sind damit die Merkmale D1, D2, D4, D5 und D5.1 offenbart.
61cc) Soweit die Beklagte eine Offenbarung der Merkmale D5.2, D6.1 und D6.2 verneint, beruht dies auf der Prämisse, eine anspruchsgemäße Vorrichtung müsse dazu geeignet sein, ein vollständiges bzw. optimales Befüllen der Datenfelder der zweiten Folge zu ermöglichen. Diese Prämisse ist, wie bereits im Zusammenhang mit der Auslegung des Streitpatents ausgeführt wurde, nicht zutreffend.
62dd) Entgegen der Auffassung der Beklagten offenbart K5 auch das Merkmal D3.
63Wie oben dargelegt wurde, wird in K5 die Paarung aus Quell- und Zieladresse des aktuellen Rahmens genutzt, um ein geeignetes Kompressionswörterbuch zu verwenden (K5 S. 10 Abs. 2 bis S. 11 Abs. 2 S. 14 ff.). Damit ist ein Identifizierungsmittel zum Erkennen der Kanalzugehörigkeit der empfangenen Datenpakete unmittelbar und eindeutig offenbart.
64b) Aus den vorstehenden Gründen fehlt auch dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 die Neuheit.
65c) Einzelne Unteransprüche werden mit dem Hauptantrag nicht verteidigt.
664. Die Verteidigung des Streitpatents in den Fassungen der Hilfsanträge 1 und 2 bleibt ohne Erfolg.
67a) Nach beiden Fassungen soll Patentanspruch 21 um das folgende Merkmal ergänzt werden:
69Zusätzlich soll in Anspruch 21 nach Hilfsantrag 2 das folgende Merkmal aufgenommen werden:
71b) Die hilfsweise Verteidigung des Streitpatents in beiden vorgenannten Fassungen ist nicht sachdienlich (§ 116 Abs. 2 PatG), da die Beklagte bereits erstinstanzlich Veranlassung hatte, das Streitpatent in dieser Weise zu verteidigen.
72aa) Ein Anlass zur zumindest hilfsweisen beschränkten Verteidigung kann sich daraus ergeben, dass das Patentgericht in seinem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis mitgeteilt hat, dass nach seiner vorläufigen Auffassung der Gegenstand des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen dürfte (, GRUR 2016, 365 - Telekommunikationsverbindung; Urteil vom - X ZR 35/16 Rn. 52).
73bb) Das Patentgericht hat in dem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG die Ansicht vertreten, das in den Patentansprüchen 1 und 21 enthaltene Merkmal "accomodate data in a data field" sei dahin zu verstehen, dass ein Datenfeld der zweiten Folge auch nach dem Aufnehmen von Daten aus der ersten Folge nur teilweise (also "unangepasst") gefüllt sein könne. Dementsprechend hat es die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 21 als nicht neu gegenüber der K5 und der K6 angesehen und bei der Prüfung der Merkmale M4.2 und D6.2 nicht darauf abgestellt, ob in den Entgegenhaltungen offenbart war, die Datenfelder der zweiten Folge nach dem Aufnehmen von Daten aus der ersten Folge vollständig zu füllen. Die Beklagte hatte damit bereits im ersten Rechtszug Veranlassung, das Streitpatent in den beiden nunmehr geltend gemachten Fassungen zu verteidigen, wenn sie der Auffassung war, dass diese einer abweichenden Beurteilung unterliegen.
745. Die Verteidigung von Patentanspruch 21 gemäß Hilfsantrag 3 ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
75a) Nach Hilfsantrag 3 wird die erteilte Fassung von Patentanspruch 21 um das genannte Merkmal D6.4 ergänzt.
76b) Die Verteidigung des Streitpatents gemäß Hilfsantrag 3 ist gemäß § 116 Abs. 2 PatG zulässig.
77aa) Nach der Rechtsprechung des Senats ist die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Verteidigung eines Patents in geänderter Fassung in der Regel gemäß § 116 Abs. 2 PatG zulässig, wenn sich der neue Antrag von einem bereits in erster Instanz gestellten Antrag nur dadurch unterscheidet, dass einzelne der zur erteilten Fassung hinzutretenden Merkmale gestrichen worden sind ( Rn. 52).
78Eine solche Änderung erfüllt die Voraussetzungen von § 116 Abs. 2 Nr. 2 PatG, weil der Antrag trotz Streichung einzelner Merkmale aufgrund des Sachverhalts beurteilt werden kann, der bereits in erster Instanz zur Entscheidung anstand und der deshalb gemäß § 117 PatG und § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch der Berufungsentscheidung zugrunde zu legen ist. Sie ist in der Regel auch sachdienlich im Sinne von § 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG, weil sie dem Patentinhaber gegebenenfalls eine Feinkorrektur ermöglicht, ohne den für die Beurteilung durch das Gericht erforderlichen Aufwand nennenswert zu erhöhen.
79bb) Im Streitfall ist die Verteidigung des Streitpatents gemäß Hilfsantrag 3 danach sachdienlich.
80Die mit Hilfsantrag 3 verteidigte Fassung von Patentanspruch 21 unterscheidet sich von der mit dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 1 verteidigten Fassung, die dem erteilten Patentanspruch 22 entspricht, nur dadurch, dass der Ausdruck "separate buffer means" ersetzt worden ist durch "buffer means". Selbst wenn der verteidigte Gegenstand damit im Vergleich zum erstinstanzlichen Hilfsantrag weiterreichend wäre, kann er anhand des nach § 117 PatG ohnehin zu berücksichtigenden Sachverhalts beurteilt werden. Vor diesem Hintergrund ist der Antrag auch als sachdienlich zu beurteilen.
81c) Ob die Streichung des Worts "separate" überhaupt zu einer inhaltlichen Änderung führt, kann dahingestellt bleiben. Auch nach der nunmehr verteidigten Fassung müssen Puffermittel im Sinne des Merkmals D6.4 des erteilten Patentanspruchs 22 und des gleichlautenden zusätzlichen Merkmals nach dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 1 es jedenfalls ermöglichen, zur gleichen Zeit Daten aus mehreren Kanälen vor dem Einleiten des Versandvorgangs voneinander getrennt zwischenzuspeichern.
82aa) Dafür spricht schon der Wortlaut des Merkmals, der Puffermittel zur Pufferung pro Kanal (buffer means … for buffering per channel) vorsieht.
83bb) Dieses Verständnis steht in Einklang mit der Beschreibung.
84Nach der Beschreibung ermöglichen es die Puffer, dass ein zu einem bestimmten Kanal gehörendes Datenpaket nicht schon deshalb versendet werden muss, weil das als nächstes zu verarbeitende Paket zu einem anderen Kanal gehört. Mit Hilfe der Puffer können die komprimierten Daten nach Kanälen getrennt so lange gesammelt werden, bis die Pakete der zweiten Abfolge in optimaler Weise (Abs. 13) bzw. so effizient wie möglich (Abs. 41) eingesetzt werden können. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin, die komprimierten Daten für jeden Kanal so lange aufzuspeichern, bis das Datenfeld des Pakets der zweiten Folge vollständig gefüllt ist (Abs. 13).
85Wie bereits dargelegt, ist die vollständige Befüllung eines Datenfelds der zweiten Folge zwar weder in der Beschreibung noch in den Patentansprüchen 1 und 21 zwingend vorgesehen. Das zeitgleiche und getrennte Vorhalten von komprimierten Daten aus mehreren Kanälen ist aber auch bei Ausführungsformen erforderlich, in denen die Datenfelder der zweiten Folge nicht vollständig befüllt sind. Wenn der Versand etwa vom Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder dem Ablauf einer bestimmten Zeitspanne abhängt, ist es in gleicher Weise wie bei einer vollständigen Befüllung möglich, dass bis zum Eintritt dieser Voraussetzung Daten aus mehreren Kanälen zu verarbeiten sind. Dementsprechend erwähnt die Beschreibung auch bei solchen Ausführungsformen den Einsatz von Puffermitteln (Abs. 18; Abs. 28 Z. 29-47, Abs. 36, 37, 39, 57, 59).
86Entbehrlich ist diese Funktion allenfalls in der bereits erwähnten Betriebsart, in der ein Datenpaket der zweiten Folge stets dann versandt wird, wenn ein Paket der ersten Folge vollständig verarbeitet ist. Für diese Konstellation erwähnt die Beschreibung den Einsatz von Puffermitteln jedoch gerade nicht (vgl. Abs. 28 Z. 47-58, Abs. 58). An einer Stelle wird sogar ausgeführt, auch ohne Puffer könne die Datenmenge pro Datenpaket verringert werden, nur die Zahl der Pakete bleibe dann grundsätzlich unverändert (Abs. 37 Sp. 8 Z. 55 bis Sp. 9 Z. 7). Auch daraus ergibt sich, dass als Puffermittel im Sinne des Streitpatents nicht jede Speichereinrichtung angesehen werden kann, die einen der in der Beschreibung dargestellten Betriebsmodi ermöglicht, sondern nur solche Mittel, die ein gleichzeitiges Speichern der Daten von mehreren Kanälen ermöglichen.
87d) Der mit Hilfsantrag 3 verteidigte Gegenstand von Patentanspruch 21 geht nicht über den Inhalt der Ursprungsanmeldung hinaus.
88Puffermittel nach Merkmal D6.4 sind in der Anmeldung in Anspruch 26 offenbart. Ihr Einsatz ist nicht auf eine vollständige Befüllung der Datenfelder der zweiten Folge beschränkt. Hierbei handelt es sich - nicht anders als nach dem Streitpatent (Abs. 13) - um einen möglichen, aber nicht zwingend zu verwirklichenden Zweck der Pufferung (vgl. K1a S. 4 Z. 5-12).
89e) Der genannte Gegenstand ist neu.
90aa) In K5 ist keine kanalweise Pufferung komprimierter Daten offenbart.
91Wie ausgeführt, sieht K5 eine Speicherverwaltung für Kompressionswörterbücher vor, anhand derer die Daten rahmenweise komprimiert werden. Dafür wird, wie in Figur 5 gezeigt und in der Beschreibung erläutert, der jeweils aktuelle Rahmen ("current frame") unter Verwendung eines im Speicher vorhandenen oder neu gebildeten Kompressionswörterbuchs komprimiert und entsprechend seiner Quell- und Zieladresse einem Speicherabschnitt zugewiesen (K5, S. 14 Abs. 2 bis S. 15 Abs. 1).
92Damit mag es, wie das Patentgericht festgestellt hat, für den jeweils aktuellen Rahmen ("current frame") einen Speicherbereich geben. Eine solche Zwischenspeicherung ist jedoch nach den obigen Ausführungen zur Auslegung von Patentanspruch 21 für die Verwirklichung des Merkmals D6.4 nicht hinreichend. Dafür müssten vielmehr Puffermittel vorhanden sein, die es zur gleichen Zeit ermöglichen, Daten aus mehreren Kanälen voneinander getrennt zwischenzuspeichern, bevor sie für den Versand freigegeben werden. Solche Puffermittel sind in der K5 nicht offenbart, da die Datenrahmen dort nacheinander und damit nicht gleichzeitig komprimiert und abgespeichert werden.
93bb) Entgegen der vom Patentgericht in seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG vertretenen vorläufigen Auffassung wird der mit Hilfsantrag 3 verteidigte Gegenstand von Patentanspruch 21 auch nicht durch die internationale Anmeldung WO 92/21188 (K6) vorweggenommen.
94(1) K6 offenbart ein Verfahren und eine Vorrichtung zur verbesserten Kanalnutzung in einem Kommunikationssystem für Daten und Sprache, insbesondere in Integrated Service Digital Networks (ISDN, K6 S. 1 Z. 1-6, S. 7 Z. 6-9).
95Um dieses Ziel zu erreichen, wird in K6 unter anderem ein Gateway vorgeschlagen, das an ein bestimmtes Ziel zu versendende Datenpakete zu Zügen (trains) zusammenfasst, die Züge ggf. komprimiert und an das Ziel versendet. Jeder Zug verfügt über einen eigenen Kopfbereich (header), der alle Verpackungs- und Komprimierungsinformationen enthält, die für eine Wiederherstellung der Originaldatenpakete auf der Empfängerseite erforderlich sind (K6 S. 9 Z. 3-12). Die Datenpakete haben ebenfalls einen Kopf- und einen Datenbereich (K6 Fig. 21a mit S. 22 Z. 17-20). Es werden Paketsequenzen (packet sequences) gebildet, d.h. Folgen von Datenpaketen, die dasselbe Quell-Ziel-Paar haben und für die eine Beibehaltung ihrer Reihenfolge auf der Empfangsseite sichergestellt ist (K6 S. 20 Z. 13-25). Solche Paketsequenzen werden Frachtzielen zugeordnet, wobei mehrere Paketsequenzen für dasselbe Frachtziel bestimmt werden. Ein Frachtziel wird in mehrere Züge aufgeteilt, deren Größe im Allgemeinen nicht begrenzt ist und die eine ganzzahlige Anzahl an Paketen enthalten (K6 S. 21 Z. 2-13 mit Fig. 22).
96Jedem Ziel d ist am Gateway der Sendeseite (K6 S. 9 Z. 3-6) eine Zielwarteschlange Q(d) zugeordnet, die aus einem Pool von Puffern besteht. Ist in dem Puffer-Pool für das Ziel d in einem Puffer noch Platz, wird ein für dieses Ziel eingehendes Paket dort untergebracht. Ist der Puffer gefüllt, wird er geschlossen und zu einem Zug versiegelt. Ist kein offener Puffer vorhanden, wird in dem Puffer-Pool ein neuer Puffer erstellt und damit ein neuer Zug gestartet. Ist das Ziel d unbekannt, wird ein neuer Puffer-Pool für einen neuen Zug gestartet (K6 S. 25 Z. 18 bis S. 26 Z. 16).
97Ein zu versendender Zug wird komprimiert und danach in einem Datenrahmen (frame) über das ISDN-Netz an sein Ziel versandt (K6 S. 21 Z. 14-17; S. 9 Z. 3-6). Der Datenrahmen hat ein Kopffeld und ein Datenfeld, das den komprimierten Zug enthält (K6 S. 21 Z. 17-20, S. 22 Z. 10-13, S. 22 Z. 20-24 mit Fig. 21b).
98(2) Damit fehlt es an einer Offenbarung der Merkmale D6.1 und D6.2.
99(aa) Für die Züge, die komprimiert werden, ist nicht sichergestellt, dass sie nur Datenpakete aus einem Kanal zwischen zwei Endgeräten enthalten. Bei den Zielen, nach denen Datenpakete zu Zügen zusammengefasst werden, handelt es sich um Ziele auf Gateway-Ebene (K6, S. 25 Z. 10-12), nicht um die Zieladressen hinter dem Gateway.
100(bb) Für die zu einem Zug zusammengestellten Datenpakete ist auch nicht auf andere Weise sichergestellt, dass sie dasselbe Quell-Ziel-Paar haben. Zwar haben alle Datenpakete in einer Paketsequenz dasselbe Quell-Ziel-Paar. Sie gehören daher zu denselben Kommunikationspartnern und damit zum selben Kanal i.S.d. Streitpatents. Es fehlt in der K6 aber an der Offenbarung, in einem Zug nur Datenpakete aus einer Paketsequenz oder Datenpakete, bei denen auf andere Weise gewährleistet ist, dass sie über dasselbe Quell-Ziel-Paar verfügen, unterzubringen. Vielmehr entscheidet über die Zuordnung eines anstehenden Datenpakets zu einem Puffer und damit zu einem Zug nur, ob für das Ziel auf Gateway-Ebene bereits ein Puffer-Pool und dort ein noch nicht vollständig gefüllter Puffer vorhanden ist (K6, S. 25 Z. 33 bis S. 26 Z. 16).
101(3) Darüber hinaus fehlt es an Mitteln zur kanalweisen Pufferung komprimierter Daten im Sinne von Merkmal D6.4.
102Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dieses Merkmal in K6 schon deshalb nicht offenbart ist, weil bei dem dort beschriebenen Verfahren die Kompression erst dann erfolgt, wenn ein Puffer voll geworden ist und sein Inhalt versandt wird. Eine kanalweise Pufferung komprimierter Daten findet jedenfalls deshalb nicht statt, weil die zum Zwecke der Komprimierung zusammengestellten Paketsequenzen, wie erwähnt, aus verschiedenen Kanälen stammen können.
103f) Der Gegenstand von Patentanspruch 21 ist auch in dem US-Patent 5 179 555 (Nkl11) nicht vollständig offenbart.
104aa) Nkl11 betrifft eine Vorrichtung zum Bridging und Routing von Daten zwischen einem oder mehreren lokalen Netzwerken (Local Area Network, LAN) und einem Wide Area Network (WAN).
105Die Teilnehmer (nodes 14) eines LAN können über das WAN mit Teilnehmern eines anderen LAN kommunizieren. Hierzu ist zwischen jedem LAN und dem WAN eine Bridge/Router-Vorrichtung zwischengeschaltet (Nkl11 Sp. 1 Z. 33-45). Um die Latenzzeit bis zur Übertragung von Daten zu verringern, werden die zur Übertragung anstehenden, zu komprimierenden Datenpakete, deren Format einem vorbekannten Format für LAN entspricht, bei Bedarf in kleinere Datenrahmen (frames) aufgeteilt, die jeweils mit einem Kopffeld (header) versehen werden. Diese Datenrahmen werden in der Bridge/Router-Vorrichtung komprimiert und über das WAN an den Teilnehmer im anderen LAN übertragen (Nkl11 Sp. 2 Z. 43-45; Sp. 4 Z. 56-68; Sp. 5 Z. 63 bis Sp. 7 Z. 29).
106bb) Damit ist Merkmal D3 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.
107Zwar mag die Bridge/Router-Vorrichtung zwangsläufig die Zieladresse identifizieren, um die Datenrahmen zu übertragen. Darüber hinaus wird ein zu übertragendes Datenpaket weiterhin im Speicher belassen, bis die Empfangsseite den Empfang bestätigt (Nkl11 Sp. 3 Z. 49-53). Weder aus dem einen noch aus dem anderen ergibt sich jedoch eindeutig und unmittelbar die Notwendigkeit, die Quell-Adresse zu identifizieren.
108cc) Darüber hinaus fehlt es an einer Offenbarung des Merkmals D6.1.
109Zwar wird jedes Datenpaket zwangsläufig kanalrein verarbeitet, weil es einem bestimmten Kanal angehört und einzeln verarbeitet wird. Es wird daher insbesondere kanalrein in einen oder mehrere Datenrahmen für die Übertragung untergebracht und hierbei erforderlichenfalls aufgeteilt. Soweit Daten aus dem Datenpaket hierzu zwischengespeichert werden, genügt dies für ein Puffern im Sinne von Merkmal D6.1 jedoch nicht. Ebenso wenig ist die Zwischenspeicherung der Datenrahmen vor ihrem Versenden insoweit hinreichend.
110Soweit in Nkl11 ausgeführt wird, komprimierte Daten würden in einer Pipeline gespeichert (Nkl11 Sp. 4 Z. 62-68), lässt sich dem nicht eindeutig und unmittelbar entnehmen, dass die Speicherung für jeden Kanal getrennt erfolgt.
111g) Dass der Fachmann ausgehend von K5, K6 oder Nkl11 Veranlassung hatte, eine kanalweise Pufferung von komprimierten Daten in Erwägung zu ziehen, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
112Das gilt auch hinsichtlich der CCITT Recommendation Q.922 "Digital Subscriber Signalling System No. 1 (DSS 1) Data Link Layer" (K12), mit der die Klägerin allein ein Naheliegen des Merkmals D5.2 für den Fall darlegen möchte, dass der Begriff des "accommodating" entsprechend dem Verständnis der Beklagten eng im Sinne eines möglichst vollständigen Befüllens auszulegen ist. Da der Senat den Begriff aber - wie erläutert - in einem weiteren Sinne versteht, sind hinsichtlich K12 weitere Ausführungen entbehrlich.
1136. Mit Patentanspruch 21 in der Fassung von Hilfsantrag 3 haben auch die auf diesen zurückbezogenen Patentansprüche 22 bis 26 Bestand.
1147. Hingegen ist der gegenüber der erteilten Fassung nach allen Hilfsanträgen unveränderte Gegenstand des Patentanspruchs 1 sowie der auf diesen zurückbezogenen und nicht gesondert verteidigten Patentansprüche 2 bis 20 aus den genannten Gründen nicht rechtsbeständig.
115IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. § 92 Abs. 1, § 101 Abs. 2, § 100 Abs. 2 und § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:110820UXZR96.18.0
Fundstelle(n):
KAAAH-61162