BGH Beschluss v. - VI ZB 7/20

Inhaltliche Anforderungen an die Berufungsbegründung

Leitsatz

Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung (hier: Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung).

Gesetze: § 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 15 U 176/19 Beschlussvorgehend Az: 9 O 1544/17

Gründe

I.

1Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen eines von ihm am erworbenen Fahrzeugs der Marke Skoda Yeti geltend, das mit einem Motor der Baureihe EA189 ausgerüstet war.

2Das Landgericht hat die auf Schadensersatz in Höhe von 28.000 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs und Feststellung des Annahmeverzugs, hilfsweise Schadensersatz in Höhe von mindestens 4.200 €, und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren gerichtete Klage abgewiesen. Unter anderem hat es ausgeführt, es bestünden keine deliktischen Schadensersatzansprüche nach §§ 826, 31 BGB. Nach den dafür geltenden Maßstäben könne bereits aufgrund des Vortrags des Klägers nicht von einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger mit Schädigung seines Vermögens ausgegangen werden. Der Kläger hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom begründet. Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Begründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht genüge. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

31. Die Rechtsbeschwerde ist von Gesetzes wegen statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts genügt die Berufungsbegründung des Klägers den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.

4a) Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, soweit der Kläger die Berufung damit begründe, sein erstinstanzlich gehaltener Vortrag reiche aus, um zur Ansicht zu kommen, dass seine Klage begründet sei, stelle dies einen unzulässigen Verweis dar. Auch die bloße Bezugnahme auf eine Entscheidung des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main genüge ersichtlich nicht, weil es nicht Aufgabe des Berufungsgerichts sei, sich aus einem anderen Urteil Angriffspunkte im Sinne des Klägers zu suchen. Zudem habe der Kläger weder Datum noch Aktenzeichen des Urteils genannt.

5Hinsichtlich eines etwaigen Anspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gehe die Berufung auf keinen der unterschiedlichen und unabhängig voneinander die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts tragenden Gründe ein. So verhalte sich die Berufungsbegründung etwa nicht dazu, dass nach Auffassung des Landgerichts die Voraussetzungen des § 826 BGB schon deshalb nicht vorlägen, weil die Stickoxidwerte im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs kein entscheidendes Kriterium für einen Käufer darstellten; ferner nicht dazu, dass etwaige im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs dem Kläger zugefügte Nachteile nicht die zur Bejahung einer sittenwidrigen Schädigung erforderliche Intensität erreicht hätten und allenfalls eine mittelbare Auswirkung des Verhaltens der Beklagten sein könnten. Schließlich gehe die Berufungsbegründung nicht darauf ein, dass nach Auffassung des Landgerichts der geltend gemachte Schaden nicht vom Schutzzweck des § 826 BGB gedeckt sei. Soweit der Kläger anführe, "ein Betrug derartigen Ausmaßes" habe ohne Wissen und Billigung des Vorstands nicht stattfinden können, erschließe sich nicht, was diese Erwägung mit einem Anspruch aus § 826 BGB zu tun haben solle, der eine sittenwidrige Schädigung voraussetze.

6b) Mit dieser Begründung überspannt das Berufungsgericht unter den Umständen des vorliegenden Falles die Anforderungen, die gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO an eine Berufungsbegründung zu stellen sind.

7aa) Nach dieser Vorschrift muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom - VI ZB 54/19, MDR 2020, 626 Rn. 5; vom - VI ZB 6/14, VersR 2016, 480 Rn. 5 mwN; , juris Rn. 11). Dabei ist aber stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist. Das gilt auch für die Prüfung der Anforderungen an die Zulässigkeit der Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO (, NJW 2018, 2894 Rn. 10).

8bb) Der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird diesen Anforderungen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts unter den besonderen Umständen des Streitfalles noch gerecht. Der Zweck des Begründungserfordernisses ist gewahrt, weil sich dem Schriftsatz in noch ausreichender Weise entnehmen lässt, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Kläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt.

9(1) Die Berufungsbegründung lässt klar erkennen, dass der Kläger mit der Berufung den Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung weiterverfolgen will. Zur Begründung verweist sie unter Nennung des Aktenzeichens auf einen Beschluss eines anderen Senats des Berufungsgerichts (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom - 17 U 45/19, juris), den sie sich uneingeschränkt zu eigen macht. Die Ausführungen in dem zitierten Beschluss fasst die Berufungsbegründung dahin zusammen, ein Anspruch des Klägers auf Rückgabe des Fahrzeugs und Erstattung des Kaufpreises ergebe sich aus einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, die in der Entwicklung und dem Inverkehrbringen des auch hier streitgegenständlichen und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs zu sehen sei, wodurch unschwer erkennbar auch die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs bedroht gewesen sei.

10(2) Ein Verweis auf eine andere Entscheidung reicht zwar in aller Regel für eine ausreichende Begründung nicht aus. Hier liegt es aber in verschiedenen Hinsichten besonders. Denn der von der Berufungsbegründung genannte Beschluss ist in einem im wesentlichen sachverhaltsgleichen Parallelverfahren ergangen. Er befasst sich (nur) mit den Voraussetzungen eines Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB und handelt die sich insoweit stellenden Rechtsfragen in den Randnummern 2 bis 34 im Einzelnen ab (sittenwidrige Handlung, Rn. 4 bis 17; durch die sittenwidrige Handlung entstandener Schaden des Klägers, Rn. 18 bis 23, der nach Art und Entstehungsweise in den Schutzzweck der Norm fällt, Rn. 24 bis 30; Vorsatz und Zurechnung, Rn. 31 bis 34). Dabei werden alle Fragen, mit denen sich das Landgericht in der von dem Kläger angegriffenen Entscheidung zum Nachteil des Klägers auseinandergesetzt hat, nacheinander behandelt und im Sinne der klägerischen Argumentation entschieden. Diese unmittelbar auch auf den hiesigen Sachverhalt passenden Ausführungen eines anderen Senats seines eigenen Gerichts hat das Berufungsgericht nicht zur Kenntnis genommen. Denn es geht zu Unrecht davon aus, die Berufungsbegründung nenne das Aktenzeichen der von dem Kläger zur Begründung herangezogenen Entscheidung nicht.

11(3) Das Berufungsgericht hat ferner nicht ausreichend gewürdigt, dass die Berufungsbegründung sich in der Sache gegen die von dem Landgericht bereits im Rahmen der Prüfung eines etwaigen Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB geäußerte, aber auch bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 826 BGB relevante Ansicht wendet, der Kläger sei voll darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen auch der subjektiven Tatbestandsmerkmale und dem werde das Vorbringen des Klägers nicht ansatzweise gerecht. Dem tritt die Berufungsbegründung entgegen, indem sie darauf verweist, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Vorgänge ohne Wissen und Billigung des jeweils zuständigen Vorstands der Beklagten hätten stattfinden können. Das Landgericht habe die klägerischen Ausführungen zur sekundären Darlegungs- und Beweislast der Beklagten falsch gewertet und übersehen.

122. Nach alledem hat das Berufungsgericht die Berufung rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen. Die Sache ist zur Entscheidung über die Begründetheit des Rechtsmittels an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:210720BVIZB7.20.0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 3728 Nr. 51
WM 2020 S. 1945 Nr. 41
TAAAH-59316