BGH Beschluss v. - 2 StR 43/20

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit auf Grund einer Schizophrenie

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB

Instanzenzug: LG Erfurt Az: 520 Js 12988/16 - 8 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es in der Zeit vom bis zum zu den der Anordnung nach § 63 StGB zugrundeliegenden Anlasstaten, die insbesondere Bedrohungen, Beleidigungen und Diebstahlstaten, aber auch eine (versuchte) räuberische Erpressung (in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung), einen räuberischen Diebstahl und Diebstahl mit Waffen umfassten.

32. a) Der Beschuldigte befand sich ab dem Jahre 2008 vielfach in stationärer psychiatrischer Behandlung, in den Jahren 2015 und 2016 regelmäßig. Nach der jeweiligen Entlassung aus der Klinik nahm er die verschriebenen Medikamente nicht mehr ein und konsumierte stattdessen (wieder) Alkohol und Drogen. Hierdurch kam es zu einer raschen Verschlechterung der festgestellten psychotischen Symptomatik. Zuletzt war der Beschuldigte, der an einer hebephrenen Schizophrenie leidet, vom bis zum nach dem Thüringer Gesetz über Psychisch Kranke in einer psychiatrischen Klinik stationär untergebracht. Nach seiner Entlassung hielt er sich bei "verschiedenen Kumpels" auf, bevor er im Sommer 2019 kurzfristig eine Wohnung bezog, die ihm alsbald aber nach mehreren Abmahnungen wegen seines störenden Verhaltens wieder gekündigt wurde. Anschließend war er wieder obdachlos. Um an Geld zu gelangen, suchte er immer wieder seine Mutter auf, die ihm regelmäßig Geld gab. Als sie dies im Juni 2019 aber einstellte, kam es zu Beleidigungen und Bedrohungen, als deren Folge die Mutter eine einstweilige Anordnung gegen den Beschuldigten erwirkte, wonach ihm u.a. verboten wurde, sich ihr mehr als 200 Meter zu nähern. Vom 26. Juli bis befand sich der zu diesem Zeitpunkt völlig verwahrloste Beschuldigte auf eigenen Wunsch in einer Suchtklinik; den Aufenthalt dort beendete er gegen ärztlichen Rat.

4b) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Beschuldigte aufgrund einer hebephrenen Schizophrenie das Unrecht der von ihm begangenen Taten nicht eingesehen habe und deshalb schuldunfähig gewesen sei. Es hat die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, weil beim Beschuldigten aufgrund der festgestellten Erkrankung, die einer viele Jahre dauernden Behandlung bedürfe und bei der die Heilungsaussichten sehr ungewiss seien, eine längerfristige und nicht nur vorübergehende Beeinträchtigung seines Geisteszustandes vorliege. Infolgedessen seien von ihm erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich geschädigt oder erheblich gefährdet würden, zu erwarten.

53. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

6a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom - 2 StR 523/18 und vom - 2 StR 278/17; BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76; vom - 4 StR 78/16).

7b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht.

8Das Landgericht geht - sachverständig beraten - davon aus, dass die hebephrene Schizophrenie des Beschuldigten nicht geheilt sei. Trotz der Unterbringung vom mit völliger Drogenabstinenz und strikter medikamentöser Behandlung hätten sich die psychotischen Symptome beim Beschuldigten nicht vollständig zurückgebildet. Auch bei seiner Entlassung am hätten formale Denkstörungen mit erheblicher Weitschweifigkeit, kognitive Einschränkungen und die beinahe völlige Aufhebung jedweder Kritikfähigkeit, verbunden mit einer maßlosen Selbstüberschätzung vorgelegen. Das Geschehen gegenüber seiner Mutter vom sei ein Ausfluss dieser immer noch bestehenden Erkrankung. Schließlich sei auch bei der letzten Entlassung des Beschuldigten aus psychiatrischer Behandlung unter anderem eine Hebephrenie festgestellt worden. Aufgrund dessen seien vom Beschuldigten in unbehandeltem Zustand auch in Zukunft vergleichbare Taten wie räuberischer Diebstahl, räuberische Erpressung oder auch gefährliche Körperverletzungen zu erwarten. Eine echte Selbstbeherrschung im Alltag, ein im psychologischen Sinn funktionierendes Über-Ich oder eine wirkliche Impulskontrolle lägen beim Beschuldigten nicht vor. Vielmehr sei er in seinen Wahnschüben unberechenbar und könne aus eigener Kraft seinen aggressiven Impulsen nur wenig entgegensetzen. Deshalb sei der Beschuldigte auch für die Allgemeinheit gefährlich.

9Diese knappen Erwägungen der Strafkammer versetzen den Senat nicht in die Lage, deren Gefährlichkeitsprognose nachzuvollziehen. Dabei besteht die Besonderheit im vorliegenden Fall darin, dass der Beschuldigte sämtliche Anlasstaten im Jahre 2016 begangen hat, er aber danach für mehr als zwei Jahre nach dem Thüringer Gesetz über Psychisch Kranke vollstationär untergebracht war. Abgesehen von der Mitteilung über den Anlass der Einweisung und der zusammenfassenden Bewertung des Sachverständigen, dass sich die psychotischen Symptome durch die Behandlung in dieser Zeit nicht vollständig zurückgebildet hätten, teilt das Landgericht weitere Einzelheiten zum Verlauf der Unterbringung nicht mit. Die Kenntnis vom Verhalten des Beschuldigten in der Unterbringung, von seiner psychiatrischen Behandlung einschließlich der Medikamentierung und den dadurch wohl zumindest teilweise erzielten Erfolgen sowie vom Grund der Beendigung der Maßnahme und den bei der Entlassung vorgesehenen Maßnahmen zur Bekämpfung der psychiatrischen Erkrankung des Beschuldigten wäre aber erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob und in welcher Weise ein Kriminalitätsrisiko nach der Unterbringung noch bestanden hat und zum Urteilszeitpunkt gegebenenfalls (weiter-)besteht. Ausführungen dazu waren nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Landgericht Feststellungen zum Verhalten des Beschuldigten nach seiner Entlassung getroffen hat, aus denen sich etwa ergibt, dass er im Rahmen einer Hausgemeinschaft "extrem den Hausfrieden gestört" habe, nach Kündigung seiner Wohnung obdachlos geworden und "völlig verwahrlost" sei. Diese Umstände mögen ein Beleg für sozial abweichendes Verhalten des Beschuldigten sein, geben aber für sich genommen noch keinen tragfähigen Hinweis für eine von ihm ausgehende Gefahr zur Begehung erheblicher Straftaten. Allein der vom Landgericht angeführte Vorfall gegenüber der Mutter des Beschuldigten im Juni 2019, bei dem er sie beleidigte und bedrohte sowie eine Fensterscheibe zerstörte, ist ein Indiz für eine gewisse Gefährlichkeit des Beschuldigten, kann aber nicht die erforderliche umfassende Gesamtwürdigung der Person des Beschuldigten ersetzen, die neben seiner Erkrankung und den bereits angeführten Umständen seiner Unterbringung auch in den Blick zu nehmen hat, dass es nach den bisherigen Feststellungen keine weiteren strafrechtlichen Auffälligkeiten gegeben und er (wohl) auch nicht gegen das gerichtlich angeordnete Annäherungsgebot gegenüber seiner Mutter verstoßen hat.

10c) Die Sache bedarf deshalb, naheliegender Weise unter Einschaltung eines anderen Sachverständigen, neuer Verhandlung und Entscheidung, wobei die objektiven Feststellungen zum Tatgeschehen bestehen bleiben können. Der neue Tatrichter ist insoweit nicht gehindert, ergänzende, den bisherigen Feststellungen nicht widersprechende Feststellungen zu treffen.

11Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Diagnose einer Schizophrenieerkrankung einerseits nicht schon für sich genommen zu der Feststellung einer generellen oder über längere Zeiträume andauernden gesicherten Beeinträchtigung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit führt, andererseits der nach § 63 StGB erforderliche dauernde Zustand keine ununterbrochene Befindlichkeit voraussetzt (). Es ist daher stets im Einzelnen darzulegen, wie sich die Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf sie zurückzuführen sind (, NStZ 2013, 424; Senat, Beschluss vom - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307 mwN). Der neue Tatrichter wird sich angesichts dessen eingehender als bisher mit der Frage zu beschäftigen haben, welchen Einfluss die psychiatrische Erkrankung des Beschuldigten bei der Begehung der Taten gehabt hat. Der Sachverständige ist davon ausgegangen, dass sämtliche Taten in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit Einweisungen des Beschuldigten in ein psychiatrisches Krankenhaus wegen akuter psychotischer Störungen gestanden habe und unter Berücksichtigung dieses zeitlichen Zusammenhangs und in Anbetracht der Tatsache, dass beim Beschuldigten bei der jeweiligen Aufnahme ein psychotisches Erleben, verbunden mit einer Realitätsverkennung beobachtet worden sei, kein Zweifel bestehe, dass auch zu den Tatzeiten die psychotischen Beeinträchtigungen inklusive Realitätsverkennung vorgelegen hätten. Deshalb sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass seine Einsicht, Unrecht zu tun, aufgrund der hebephrenen Schizophrenie aufgehoben gewesen sei. Eine solche Einschätzung wird gegebenenfalls mit entsprechenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen, etwa zu den Einweisungsanlässen und zum Verlauf der einzelnen Unterbringungen, zu unterlegen sein. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass Feststellungen zur Realitätsverkennung und Wahnvorstellungen (womöglich auch, weil die Einlassung des Beschuldigten nicht näher mitgeteilt wird) jedenfalls in einer Vielzahl von Fällen fehlen und es angesichts der Delikte, etwa der Diebstahlstaten, auch nicht ohne Weiteres auf der Hand liegt, dass ihnen eine Verkennung der Realität zugrunde liegt. Schließlich wird der neue Tatrichter auch zu prüfen haben, ob die psychiatrische Erkrankung des Beschuldigten - sollte diese wieder festgestellt werden - zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Einsichts- oder der Steuerungsfähigkeit geführt hat (vgl. UA S. 23 einerseits, UA S. 29 andererseits).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:230620B2STR43.20.0

Fundstelle(n):
AAAAH-57682