BGH Beschluss v. - 2 StR 315/19

Gesamtstrafenbildung: Folgen der Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes

Gesetze: § 83h Abs 2 Nr 3 IRG, Art 14 EuAuslfÜbk, § 54 StGB

Instanzenzug: LG Aachen Az: 65 KLs 14/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Düren vom zu einer ersten Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Entziehung Minderjähriger, mit Freiheitsberaubung, mit Hausfriedensbruch, mit Nötigung und mit unerlaubten Führens eines Schreckschussrevolvers sowie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Entziehung Minderjähriger, mit versuchter Freiheitsberaubung und mit versuchter Nötigung hat es ihn zu einer zweiten Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Die von dem Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Was die gerügte Verletzung von Hinweispflichten gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO in der seit dem geltenden Fassung anbelangt, kann dahinstehen, ob es - wie nach bisherigem Recht - genügt, dass ein Angeklagter durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage bereits zuverlässig unterrichtet war (so , NStZ 2019, 239) oder ob es nunmehr stets eines ausdrücklichen, zu protokollierenden Hinweises bedarf (so BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 206/18, NStZ 2019, 236 und vom - 1 StR 186/18). Jedenfalls ist - wie vom Generalbundesanwalt im Einzelnen ausgeführt - ein Beruhen des Urteils auf einem etwaigen Verstoß gegen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO hier ausgeschlossen.

II.

31. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge deckt im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Jedoch hat der vom Landgericht ausgeurteilte Teilfreispruch zu entfallen. Wenn - wie hier in Fall II.1 der Urteilsgründe - zwei Missbrauchshandlungen als tatmehrheitlich begangen angeklagt werden, das Gericht beide Vorwürfe für erwiesen hält, das gesamte Geschehen aber als eine Tat aburteilt, hat ein Teilfreispruch zu unterbleiben (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. § 260 Rn. 13 mwN).

42. Die Verhängung der Einzelstrafen weist ebenso wie die Anordnung der Sicherungsverwahrung keinen Rechtsfehler auf. Hingegen halten die Gesamtstrafenaussprüche rechtlicher Überprüfung nicht stand.

5a) Das Landgericht durfte mit den Einzelstrafen aus dem an sich gesamtstrafenfähigen Urteil des Amtsgerichts Düren vom - wie vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt - keine erste Gesamtfreiheitsstrafe bilden. Der Einbeziehung steht der das Auslieferungsrecht beherrschende Grundsatz der Spezialität (Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, § 83h Abs. 1 IRG) entgegen. Die Europäischen Haftbefehle vom 20. Februar und vom erfassen lediglich die im hiesigen Verfahren gegenständlichen Straftaten. Nur zur Verfolgung dieser Straftaten ist der Angeklagte ausgeliefert worden. Um eine Auslieferung zur Vollstreckung der im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Düren verhängten Freiheitsstrafe ist das Königreich Belgien nicht ersucht worden und hat dementsprechend insoweit keine Zustimmung erteilt. Der Angeklagte hat auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes auch nicht verzichtet.

6Die Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes bewirkt ein Vollstreckungshindernis. Eine wegen dieses Hindernisses nicht vollstreckbare Strafe darf nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590; vom - 1 StR 661/15, StV 2017, 248 f.; Urteil vom - 4 StR 511/18, juris Rn. 9; Senat, Urteil vom - 2 StR 25/19).

7Aus dem Umstand, dass die Vollstreckung der durch das Amtsgericht Düren verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden war, folgt nichts anderes. § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG bestimmt zwar, dass das Verbot des § 83h Abs. 1 IRG nicht gilt, wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönlichen Freiheit beschränkenden Maßnahme führt. Jedoch greift die Regelung des § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG bei der Einbeziehung einer für sich genommen zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe in eine nicht aussetzungsfähige Gesamtstrafe nicht ein (BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100 und vom - 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590; Senat, Urteil vom - 2 StR 25/19). Eine Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Düren kommt daher erst dann in Betracht, wenn eine Bewilligung durch das Königreich Belgien - etwa im Rahmen eines Nachtragsersuchens - oder ein Verzicht (§ 83h Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 3 IRG) auf die Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes seitens des Angeklagten erklärt würde.

8b) Auch die zweite Gesamtstrafe ist - weil fehlerhaft gebildet - aufzuheben. Dem infolge der Nichtbeachtung des Spezialitätsgrundsatzes nicht gesamtstrafenfähigen Urteil des Amtsgerichts Düren kam keine Zäsurwirkung zu. Das Landgericht hätte deshalb aus allen drei von ihm verhängten Einzelstrafen eine Gesamtstrafe bilden müssen.

93. Die Urteilsformel war um die von der Strafkammer lediglich in den Gründen getroffene Entscheidung nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB über den Anrechnungsmaßstab der in Belgien erlittenen Auslieferungshaft zu ergänzen.

104. Die auf § 74 StGB gestützte Einziehung der sichergestellten Festplatte, auf der sich u.a. verschlüsselt kinderpornographische Bilder befinden, hat keinen Bestand. Der Besitz kinderpornographischer Schriften war nicht Verfahrensgegenstand. Die Festplatte unterlag damit weder als Tatprodukt noch als Tatmittel oder Tatobjekt der hier abgeurteilten Taten der Einziehung im subjektiven Verfahren. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls unter Beachtung des § 74f StGB bei einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 435 StPO eine selbstständige Einziehung nach § 76a StGB zu erwägen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:240919B2STR315.19.0

Fundstelle(n):
UAAAH-57444