BGH Beschluss v. - X ARZ 156/20

Leitsatz

1. Bei einer Erweiterung der Klage auf zusätzliche Beklagte kann eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO grundsätzlich nicht erfolgen, wenn der Kläger von einer bei Klageerhebung bestehenden Möglichkeit zur Wahl eines für alle späteren Beklagten zuständigen Gerichts keinen Gebrauch gemacht hat.

2. Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann aber erfolgen, wenn der Kläger bei Klageerhebung von der Existenz möglicher weiterer Schuldner der Klageforderung keine Kenntnis hatte und diese auch nicht ohne wesentliche Schwierigkeiten ermitteln konnte.

Gesetze: § 36 Abs 1 Nr 3 ZPO

Instanzenzug: Hanseatisches Az: 11 AR 13/19vorgehend Az: 308 O 263/18

Gründe

1I. Die Klägerin nimmt die Beklagten vor dem Landgericht Hamburg als Autorin zweier Bücher im Wege einer Stufenklage mit dem Ziel in Anspruch, das ihr aufgrund von Verträgen mit einer in Berlin ansässigen mittlerweile insolventen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (nachfolgend: Schuldnerin) geschuldete Absatzhonorar zu erhalten.

2Die Klägerin hat ihre Klage anfänglich nur gegen die Beklagte zu 1 gerichtet, die ihren Sitz in Hamburg hatte. Nachdem diese in der Klageerwiderung behauptet hat, nicht - wie von der Klägerin geltend gemacht - Rechtsnachfolgerin der Schuldnerin zu sein oder Teile von dieser übernommen zu haben, hat sie ihre Klage auf die in Berlin ansässige Beklagte zu 2 erweitert. Diese war Geschäftsführerin der Schuldnerin. Nach Behauptung der Klägerin hat die Beklagte zu 2 den Eindruck erweckt, die Beklagte zu 1 betreibe die Geschäfte der Schuldnerin unter geänderter Firma mit Sitz in Hamburg fort und die Beklagte zu 2 sei deren Verlagsleiterin.

3Die Klägerin hat ihren zunächst hilfsweise gestellten Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts unbedingt gestellt, nachdem die Beklagte zu 2 die fehlende örtliche Zuständigkeit gerügt und das Landgericht Hamburg diese gegenüber der Beklagten zu 2 in einem Hinweisbeschluss verneint hat.

4Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hält die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung für gegeben, sieht sich an einer solchen Entscheidung aber durch abweichende Beschlüsse des Oberlandesgerichts München und des Kammergerichts gehindert und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

5II. Die Vorlage ist zulässig.

61. Das vorlegende Gericht möchte seiner Entscheidung zugrunde legen, die Ausübung des Wahlrechts (§ 35 ZPO) setze voraus, dass der klagenden Partei bewusst sei oder zumindest sein könnte, überhaupt eine Wahl zu haben. Dies sei nicht der Fall, wenn sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht habe wissen müssen, dass es für die eingeklagte Forderung einen weiteren Schuldner gebe. Für eine Gerichtsstandsbestimmung sprächen in der im Streitfall vorliegenden Konstellation außerdem prozessökonomische Gründe, weil es anderenfalls zu einer Zersplitterung des Prozesses gegen mehrere Anspruchsgegner käme.

72. Mit dieser Entscheidung würde das vorlegende Gericht in einer Rechtsfrage jedenfalls von einem Beschluss des Oberlandesgerichts München abweichen, mit dem dieses entschieden hat, dass ein ursprünglich bestehender gemeinsamer besonderer Gerichtsstand einer Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO (in der bis zum geltenden, inhaltlich nicht veränderten Fassung) auch dann entgegensteht, wenn dem Kläger die Existenz eines weiteren Streitgenossen im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt gewesen ist (Rpfl. 1978, 185).

83. Der Zulässigkeit der Vorlage steht nicht entgegen, dass die Divergenz hinsichtlich einer Rechtsfrage besteht, die eine der Voraussetzungen betrifft, nach denen eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO überhaupt zulässig ist (, NJW-RR 2019, 1181 Rn. 7). Die rechtliche Vorfrage, ob eine Zuständigkeitsbestimmung möglich ist, wenn bei einer subjektiven Klageerweiterung für den erweiterten Gegenstand des Rechtsstreits zu Beginn des Verfahrens ein gemeinsamer Gerichtsstand begründet gewesen ist, eröffnet ebenfalls das Vorlageverfahren (vgl. z.B. , NJW 2018, 2200 Rn. 8).

9III. Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

101. Die Bestimmung des Gerichtsstands nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur im Vorfeld einer Klage, sondern auch dann noch erfolgen, wenn bereits Klage erhoben worden ist (, NJW-RR 2011, 929 Rn. 6 mwN; Beschluss vom - X ARZ 101/11, NJW-RR 2011, 1137 Rn. 16; Beschluss vom - X ARZ 321/18, NJW-RR 2019, 238 Rn. 10).

112. Die Beklagten, die ihren allgemeinen Gerichtsstand bei verschiedenen Gerichten (Hamburg und Berlin) haben, werden als Streitgenossen (§§ 59, 60 ZPO) in Anspruch genommen.

12a) Für das Vorliegen einer Streitgenossenschaft nach § 60 ZPO genügt es, wenn die geltend gemachten Ansprüche in einem inneren Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (, NJW-RR 2014, 248 Rn. 9; NJW 2018, 2200 Rn. 12 mwN).

13Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. Die Klägerin nimmt die Beklagten mit einer Stufenklage gemeinsam auf Auskunft, Rechnungslegung und Zahlung der ihr nach den Verlagsverträgen zustehenden Absatzhonorare in Anspruch. Dass sich die anspruchsrelevanten Sachverhalte nicht vollständig decken, ändert nichts daran, dass die Klageforderungen einen im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalt betreffen (vgl. BGH, NJW 2018, 2200 Rn. 13). Darüber hinaus beruhen die Klageforderungen auch auf einem im Wesentlichen gleichartigen Rechtsgrund.

14b) Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts ist nicht deshalb gegenstandslos geworden, weil vor dem Landgericht Hamburg bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.

15aa) Die Klage ist schon vor dieser Verhandlung auf die Beklagte zu 2 erstreckt worden, die sich nicht rügelos eingelassen hat. Das Landgericht Hamburg ist daher nicht gemäß § 39 Satz 1 ZPO zuständig geworden.

16bb) Der Rechtsstreit ist auch noch nicht so weit fortgeschritten, dass vernünftigerweise aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit nur eine Entscheidung zu Gunsten des Landgerichts Hamburg in Betracht käme und deshalb von einer echten Bestimmung des zuständigen Gerichts keine Rede sein könnte.

17Eine entsprechende Zäsur ist etwa erreicht, wenn gegen einen oder mehrere Beklagte schon sachlich entschieden worden ist oder eine Beweisaufnahme zur Hauptsache stattgefunden hat (BGH, NJW-RR 2019, 238 Rn. 14).

18Eine solche Prozesslage ist hier nicht eingetreten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg sind im Wesentlichen Vergleichsgespräche geführt worden. Die Parteien haben noch nicht streitig zur Sache verhandelt.

193. Dass zu Beginn des Rechtsstreits für beide Beklagten ein gemeinsamer Gerichtsstand in Berlin bestanden hat, steht einer Gerichtsstandsbestimmung im Streitfall nicht entgegen.

20a) Die Klägerin hätte die Beklagte zu 1 allerdings auch in Berlin verklagen können, da dort der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts begründet war (§ 29 Abs. 1 ZPO).

21Erfüllungsort für den von der Klägerin mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf Honorarzahlung sowie der damit in Verbindung stehenden Ansprüche auf Auskunfts- und Rechnungslegung war nach § 269 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 270 Abs. 4 BGB Berlin, wo die Schuldnerin zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses ihren Sitz hatte (vgl. , NJW-RR 2007, 777 Rn. 11 bis 13). Zudem kann ein gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB gesamtschuldnerisch neben dem Veräußerer haftender Erwerber nach den zutreffenden Ausführungen des vorlegenden Gerichts an dem durch den Veräußerer begründeten Erfüllungsort - hier am Verlagssitz in Berlin - verklagt werden (vgl. z.B. BeckOK HGB/Börneke, Stand: , § 25 Rn. 53; Oetker/Vossler, HGB, 6. Aufl. 2019, § 25 Rn. 57).

22b) Dies steht einer Gerichtsstandsbestimmung aber nicht entgegen, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Klageerhebung noch keine Veranlassung hatte, ihre Forderung gegen beide Beklagten geltend zu machen.

23aa) Bei einer gegen mehrere Streitgenossen gerichteten Klage findet eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO grundsätzlich nur dann statt, wenn ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist. Ob dies auch in der im Streitfall zu beurteilenden Konstellation gilt, ist umstritten.

24(1) Nach einer Ansicht, die auch von dem vorlegenden Gericht geteilt wird, ist die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands möglich, wenn der Kläger bei Klageerhebung keine Kenntnis von der Existenz weiterer Schuldner hatte und eine solche durch gebotene Nachforschungen auch nicht hätte haben können (vgl. etwa KG, NJW-RR 2001, 62 [juris Rn. 10]; OLGR Köln 2001, 388; OLG Hamm, MDR 2012, 307 [juris Rn. 22]).

25(2) Nach anderer Auffassung ist eine Gerichtsstandsbestimmung auch in diesem Fall ausgeschlossen (OLG München, Rpfl. 1978, 185; Bey in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 11. Aufl. 2019, § 36 Rn. 6; Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 36 Rn. 17; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 36 Rn. 23; wohl auch Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2015, § 36 Rn. 63).

26(3) Des weiteren wird vertreten, bei einer subjektiven Klageerweiterung nach Rechtshängigkeit sei eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO stets unabhängig vom Vorliegen eines gemeinsamen Gerichtsstands zulässig (LAG Hamm, NZA-RR 2015, 214, 216 [juris Rn. 23]; BeckOK, ZPO/Toussaint, 35. Edition, Stand: , § 36 Rn. 19 f.).

27c) Der Senat tritt der erstgenannten Ansicht bei.

28Die Regelung in § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beruht auf Zweckmäßigkeitserwägungen, insbesondere auf der Überlegung, dass es im Interesse der Parteien liegen kann, wenn der Rechtsstreit durch ein einziges Gericht entschieden wird (BGH, NJW-RR 2019, 238 Rn. 10).

29Die grundsätzliche Unzulässigkeit einer Gerichtsstandsbestimmung bei Vorliegen eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstands geht auf die Überlegung zurück, dass eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nicht notwendig ist, wenn der Kläger von vornherein ein für alle Streitgenossen zuständiges Gericht anrufen kann. Diese Überlegung greift nur dann, wenn der Kläger das für alle Beklagten zuständige Gericht ohne wesentliche Schwierigkeiten ermitteln kann. Dementsprechend lässt der Bundesgerichtshof eine Gerichtsstandsbestimmung zu, wenn der Kläger mehrere Streitgenossen bereits im allgemeinen Gerichtsstand verklagt hat, ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand aber nicht zuverlässig feststellbar ist (BGH, NJW-RR 2011, 1137 Rn. 11; NJW-RR 2019, 238 Rn. 17).

30Für Fallgestaltungen, in denen die Klage erst nachträglich gegen einen weiteren Beklagten erweitert worden ist, kann grundsätzlich nichts anderes gelten. Hätte der Kläger im Zeitpunkt der ursprünglichen Klageerhebung bereits Anhaltspunkte dafür gehabt, dass es weitere Schuldner gibt, einen gemeinschaftlichen Gerichtsstand aber nicht zuverlässig feststellen können, so wäre ein Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung zulässig gewesen. Ein Kläger, der im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht einmal hinreichende Anhaltspunkte für das mögliche Vorhandensein weiterer Schuldner hat, darf nicht schlechter gestellt werden. In Fällen, in denen der Kläger in diesem Zeitpunkt hinreichende Informationen über alle potentielle Schuldner und einen gemeinschaftlichen Gerichtsstand hat und dennoch an einem anderen Ort Klage erhebt, darf die Zulässigkeit eines Antrags auf Gerichtsstandsbestimmung demgegenüber nicht davon abhängen, ob der Kläger zunächst nur einen oder von Anfang an alle Beklagten in Anspruch genommen hat.

31d) Im Streitfall hatte der Kläger nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts im Zeitpunkt der Klageerhebung keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorhandensein möglicher weiterer Schuldner.

32Die Beklagte zu 2 teilte der Klägerin mit Schreiben vom mit, dass sie beschlossen habe, den Verlag umzufirmieren und dieser ab sofort von der Beklagten zu 1 mit Sitz in Hamburg fortgeführt werde. Angesichts dessen konnte und musste die Klägerin nicht davon ausgehen, dass als Schuldner für ihre Honorarforderungen auch die Beklagte zu 2 in Betracht kam. Konkrete Anhaltspunkte dafür ergaben sich erst aus der Klageerwiderung der Beklagten zu 1.

334. Der Senat bestimmt das Landgericht Hamburg als zuständiges Gericht.

34Bei der Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO stehen die Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit und Prozessökonomie im Vordergrund. Im Regelfall ist ein Gericht am allgemeinen Gerichtsstand eines der beklagten Streitgenossen für zuständig zu erklären (BGH, NJW-RR 2019, 238 Rn. 30).

35Für die antragsgemäße Bestimmung des Landgerichts Hamburg, in dessen Bezirk die Beklagte zu 1 ihren Sitz hat, spricht insofern, dass vor diesem Gericht bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Dem Umstand, dass die Beklagte zu 1 ihre Geschäftsanschrift im Laufe des Verfahrens von Hamburg nach Berlin verlegt hat, kann angesichts dessen keine maßgebende Bedeutung beigemessen werden. Ein Grund, der es für die Beklagte zu 2 unzumutbar erscheinen ließe, den Rechtsstreit in Hamburg zu führen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:140720BXARZ156.20.0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 9 Nr. 37
NJW-RR 2020 S. 1070 Nr. 17
ZIP 2021 S. 268 Nr. 5
UAAAH-56553