Online-Nachricht - Donnerstag, 20.08.2020

Kindergeld | Behinderte Kinder - keine Berücksichtigung des Kindergelds als kindeseigene Mittel (BFH)

Für die Frage, ob ein volljähriges behindertes Kind i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG unfähig ist, sich selbst zu unterhalten, sind die dem Kind zur Verfügung stehenden Mittel auch dann nicht um das (fiktive) Kindergeld zu kürzen, wenn das Kindergeld im Falle seiner Festsetzung an das Kind weitergeleitet werden würde und ohne die Weiterleitung die Voraussetzungen einer Abzweigung des Kindergelds an das Kind vorlägen (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach § 62 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 32 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht ein Kindergeldanspruch für ein erwachsenes Kinds u.a. dann, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.

Sachverhalt: Streitig ist der Kindergeldanspruch für ein behindertes Kind (T) für den Zeitraum Oktober 2015 bis Juni 2016 und dabei insbesondere die Frage, inwieweit Sozialleistungen bei den kindeseigenen Mitteln anzurechnen sind:

Der Kläger gewährte T Eingliederungshilfeleistungen nach §§ 53 ff. SGB XII. Diese bestanden aus der Übernahme der vom Träger der Wohneinrichtung in Rechnung gestellten Betreuungskosten. Ein Kostenbeitrag wurde bei T gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII nicht erhoben. Ferner gewährte der Kläger T Hilfe zum Lebensunterhalt. Daneben erhielt T eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der Kläger beantragte als Dritter mit berechtigtem Interesse die Festsetzung von Kindergeld für T und die Abzweigung desselben an sich selbst sowie bei nachträglicher Festsetzung dessen Erstattung. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab. Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg ( (Kg)).

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab:

  • Die kindergeldrechtliche Berücksichtigung eines volljährigen behinderten Kindes setzt nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG u.a. voraus, dass es außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Ob dies der Fall ist, muss anhand einer monatsweise durchzuführenden Vergleichsrechnung ermittelt werden (, Rz 15).

  • Hierbei sind zwei Bezugsgrößen gegenüberzustellen: Einerseits der gesamte existenzielle Lebensbedarf des behinderten Kindes, welcher sich typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammensetzt. Andererseits die finanziellen Mittel des Kindes, zu welchen nicht nur dessen Einkünfte und Bezüge als verfügbares Einkommen, sondern auch Leistungen Dritter gehören. Voraussetzung für die Berücksichtigungsfähigkeit der Mittel ist, dass sie zur Bestreitung des Lebensunterhalts des Kindes bestimmt oder geeignet sind (, BStBl II 2016, 648, Rz 17).

  • Danach sind im Streitfall auf der Bedarfsseite folgende Positionen anzusetzen: Der anteilige Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG sowie der behinderungsbedingte Mehrbedarf des Kindes (hier in Höhe der Eingliederungshilfeleistungen nach §§ 53 ff. SGB XII).

  • Auf der Seite der dem Kind zur Verfügung stehenden Mittel sind folgende Leistungen zu berücksichtigen: Die Erwerbsminderungsrente, gekürzt um den anteiligen Werbungskostenpauschbetrag nach § 9a Satz 1 Nr. 3 EStG, die Eingliederungshilfeleistungen sowie die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Summe der danach anzusetzenden Bezüge ist um die anteilige Kostenpauschale in Höhe von 15 € pro Monat zu mindern (, Rz 22).

  • Zu Unrecht hat das FG die der T zur Verfügung stehenden Mittel um das Kindergeld gekürzt. Insofern ist zwischen den kindergeldrechtlichen und den sozialhilferechtlichen Folgen der Weiterleitung des Kindergelds zu unterscheiden.

  • Entgegen der Ansicht des FG kann nicht einerseits die im Streitfall mangels Kindergeldfestsetzung tatsächlich nicht erfolgte Weiterleitung des Kindergelds als bestehend unterstellt und daraus ein entsprechendes Einkommen des Kindes abgeleitet, dieses Kindergeld dann aber auf der Einnahmenseite nicht als zugeflossen, jedoch als abgeflossen behandelt werden.

  • Die Nachrangigkeit der Sozialhilfe gegenüber anderen Sozialleistungen bewirkt für sich noch nicht, dass die Sozialhilfe insoweit bei den kindeseigenen Bezügen nicht berücksichtigt werden darf. Nur soweit der Sozialleistungsträger die Eltern in Regress nimmt, kommt eine Minderung der Bezüge in Betracht.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
NWB OAAAH-56299