BGH Beschluss v. - AnwZ (Brfg) 10/20

Verleihungsvoraussetzungen für eine Fachanwaltsbezeichnung: Verlängerung des Bearbeitungszeitraums für einschlägige Fälle für Fachanwaltsanwärter

Gesetze: § 2 Abs 1 FAO, § 5 Abs 3 S 1 Buchst c FAO, § 5 Abs 3 S 2 FAO

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Hamm Az: 1 AGH 27/19 Urteil

Gründe

I.

1Der Kläger wurde am im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Am beantragte er, ihm zu gestatten, den Titel eines Fachanwalts für Arbeitsrecht zu führen. Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger die erforderlichen Fallzahlen nicht nachgewiesen habe. Die Klage des Klägers gegen diesen Bescheid ist erfolglos geblieben. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

II.

2Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.

31. Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.

4a) Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird ( AnwZ (Brfg) 36/16, juris Rn. 3; vom - AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 3). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen ( NotZ (Brfg) 7/14, WM 2015, 898 Rn. 8; vgl. auch BVerfGE 134, 106 Rn. 40).

5b) Die Begründung des Zulassungsantrags vermag die Richtigkeit des Urteils des Anwaltsgerichtshofs nicht in Zweifel zu ziehen.

6aa) Für die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung hat der Antragsteller gemäß § 2 Abs. 1 FAO besondere theoretische Kenntnisse und besondere praktische Erfahrungen nachzuweisen. Besondere theoretische Kenntnisse und besondere praktische Erfahrungen liegen gemäß § 2 Abs. 2 FAO dann vor, wenn sie auf dem betreffenden Fachgebiet erheblich das Maß dessen übersteigen, das üblicherweise durch die berufliche Ausbildung und die praktische Erfahrung im Beruf vermittelt wird. Der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts setzt voraus, dass der Antragsteller innerhalb der letzten drei Jahre vor der Antragstellung 100 Fälle als Rechtsanwalt persönlich und weisungsfrei bearbeitet hat (§ 5 Abs. 1 lit. c FAO). Der Kläger hat in der Zeit vom bis zum keine 100 arbeitsrechtlichen Fälle bearbeitet.

7bb) Die Voraussetzungen einer Verlängerung der Bearbeitungsfrist gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 lit. c FAO um die vom Kläger beantragten 36 Monate hat der Anwaltsgerichtshof zutreffend verneint.

8(1) Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 lit. c Satz 1 FAO verlängert sich der Zeitraum von drei Jahren, in welchem die 100 Fälle auf dem Gebiet des Arbeitsrechts bearbeitet worden sein müssen, um Zeiten, in denen der Antragsteller wegen besonderer Härte in seiner anwaltlichen Tätigkeit eingeschränkt war. Längerfristige schwere Erkrankungen sind nach Vorstellung der Satzungsversammlung ein typischer Fall einer besonderen Härte (vgl. AnwZ (Brfg) 9/11, AnwBl. 2012, 89 Rn. 12 mwN; Scharmer in Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 6. Aufl., § 5 FAO Rn. 381; Quaas in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 5 FAO Rn. 91).

9(2) Den gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 lit. c Satz 2 FAO ihm obliegenden Beweis krankheitsbedingter Ausfallzeiten, die eine Verlängerung um 36 Monate rechtfertigen würden, hat der Kläger jedoch nicht geführt. Im Verwaltungsverfahren hat der Kläger fünf ambulante Behandlungen nachgewiesen sowie zwei stationäre Behandlungen von siebentägiger und fünftägiger Dauer. Im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof hat der Kläger ärztliche Bescheinigungen über weitere 73 ambulante ärztliche Behandlungen, darunter vier Operationen, vorgelegt. Der Anwaltsgerichtshof hat wegen der aus den Bescheinigungen ersichtlichen Grunderkrankung des an Diabetes und einem neuropathischen Fußsyndrom leidenden Klägers und wegen der Vielzahl der ärztlichen Behandlungen die Voraussetzungen eines Härtefalls dem Grunde nach für gegeben erachtet, hat allerdings angenommen, dass die aus den nachgewiesenen Krankheits- und Behandlungszeiten folgende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit des Klägers keine Verlängerung des Referenzzeitraums um volle drei Jahre erlaubt. Diese Schlussfolgerung ist im Ergebnis insbesondere deshalb nicht zu beanstanden, weil der Kläger - auch unter Berücksichtigung seines Vortrags in der Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung - keine Einzelheiten dazu vorgetragen hat, in welchem Umfang er tatsächlich arbeiten konnte und gearbeitet hat.

102. Dem Anwaltsgerichtshof ist kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem das angefochtene Urteil beruhen könnte (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Der Kläger verweist darauf, dass der Anwaltsgerichtshof im Zusammenhang mit vier ambulanten Operationen längere Krankheitszeiten für möglich gehalten habe. Er rügt, dass ihm insoweit kein rechtlicher Hinweis erteilt worden sei. Im Falle eines rechtzeitigen Hinweises hätte er den ihn behandelnden Arzt zum Beweise dessen benannt, dass er vom bis zum nicht oder nur eingeschränkt arbeitsfähig gewesen sei. Der Sache nach rügt der Kläger damit, der Sachverhalt sei nicht hinreichend aufgeklärt worden. Die Aufklärungsrüge ist jedoch unberechtigt.

11a) Wird die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 86 Abs. 1 VwGO gerügt, muss der Antragsteller substantiiert darlegen, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig waren, welche Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese Feststellungen nach der maßgeblichen Rechtsauffassung der Vorinstanz zu einer für ihn günstigeren Entscheidung hätten führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterlassen nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen ( AnwZ (Brfg) 65/19, juris Rn. 14 mwN).

12b) Der Kläger hat nicht dargelegt, warum er nicht von sich aus ergänzend zu seiner Arbeitsfähigkeit vorgetragen und Beweis durch das sachverständige Zeugnis der ihn behandelnden Ärzte angetreten hat. Er konnte die erforderlichen Fallzahlen nur bei einer Verdoppelung des Referenzzeitraums erreichen. Dazu musste er die tatsächlichen Voraussetzungen eines Härtefalls gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 lit. c FAO darlegen und beweisen. Das war ihm schon aus dem Verwaltungsverfahren vor der Beklagten bekannt. Entsprechend hat er seinen Vortrag im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof ergänzt und durch entsprechende Bescheinigungen belegt. Damit, dass der Kläger noch darüberhinausgehenden weiteren Vortrag halten konnte und über weitere Beweismittel verfügte, brauchte der Anwaltsgerichtshof nicht zu rechnen.

133. Das angefochtene Urteil weicht schließlich nicht in entscheidungserheblicher Weise von Entscheidungen des erkennenden Senates ab (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).

14a) Eine Divergenz liegt vor, wenn die anzufechtende Entscheidung von der Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung in diesem Sinne setzt voraus, dass die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diesen tragenden Rechtssatz nicht deckt ( AnwZ (Brfg) 5/18, NJW 2018, 2645 Rn. 18 mwN).

15b) Der Kläger verweist auf das Senatsurteil vom (AnwZ (Brfg) 9/11, AnwBl. 2012, 89 ff.).

16aa) Nach diesem Urteil erfasst § 5 Abs. 3 Satz 1 lit. c FAO auch andauernde Beeinträchtigungen der Arbeitskraft, nicht nur solche während eines zeitlich begrenzten Zeitraums. Dies wird vom angefochtenen Urteil nicht in Zweifel gezogen. Der Anwaltsgerichtshof hat keinen gegenteiligen Rechtssatz aufgestellt.

17bb) Der Kläger meint weiter, der Senat habe in dem genannten Urteil einen Härtefall auch dann für möglich gehalten, wenn der Antragsteller zeitlich nur noch im Umfang einer Halbtagskraft tätig sein könne. Das angefochtene Urteil halte demgegenüber einen Härtefall schon dann für ausgeschlossen, wenn der Antragsteller im fraglichen Zeitraum überhaupt anwaltlich tätig sei.

18Dies trifft nicht zu. Der Anwaltsgerichtshof hat keinen allgemeinen Rechtssatz des vom Kläger behaupteten Inhalts aufgestellt. Er hat lediglich die besonderen Umstände des Einzelfalls gewürdigt, nämlich aus der Anzahl der im Referenzzeitraum bearbeiteten Fällen geschlossen, dass der Kläger nicht in einem Umfang arbeitsunfähig war, der eine Verlängerung des Referenzzeitraums um die höchstzulässigen 36 Monate rechtfertigt (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 2 FAO).

III.

19Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:280520BANWZ.BRFG.10.20.0

Fundstelle(n):
AAAAH-55741