BVerwG Beschluss v. - 2 A 6/19

Unzulässigkeit einer Anlassbeurteilung bei einem System von Regelbeurteilungen

Leitsatz

§§ 21 und 22 BBG geben für Bundesbeamte ein System von Regelbeurteilungen vor. Eine Anlassbeurteilung kommt wegen dieser Vorgabe in Betracht, wenn sich der Tätigkeitsbereich gerade des zu beurteilenden Beamten in erheblicher Weise geändert hat. Dies setzt bei einem dreijährigen Rhythmus der Regelbeurteilungen eine Änderung für die Dauer von mindestens zwei Jahren und inhaltlich die Wahrnehmung von Aufgaben eines anderen Statusamtes voraus (im Anschluss an 2 C 1.18 - ZBR 2020, 35 Rn. 39 ff.).

Gesetze: § 21 BBG, § 22 BBG, § 48 BLV

Gründe

I

1Die Klägerin wendet sich gegen eine Anlassbeurteilung.

2Die 1957 geborene Klägerin steht als Oberregierungsrätin (Besoldungsgruppe A 14 BBesO) im Dienst der Beklagten und wird seit 1989 beim Bundesnachrichtendienst (BND) - inzwischen als Sachgebietsleiterin - verwendet. Letztmals wurde die Klägerin 1994 befördert. Am wurde der Klägerin ihre jetzige Tätigkeit als Leiterin des Sachgebiets ... übertragen.

3Für den Zeitraum von Anfang April 2013 bis Ende März 2016 erhielt die Klägerin eine Regelbeurteilung mit dem Gesamturteil "8". Am schrieb der BND den mit Besoldungsgruppe A 15 BBesO bewerteten Dienstposten des Sachgebietsleiters ... förderlich aus. Mit der Begründung, dass einer der 13 Bewerber eine anders gelagerte Tätigkeit ausgeübt habe und deshalb seine Regelbeurteilung nicht mehr aktuell sei, erhielt dieser Mitbewerber eine Anlassbeurteilung. Aber auch den übrigen 12 Mitbewerbern erteilte der BND Anlassbeurteilungen. Die von der Klägerin im Gerichtsverfahren angegriffene Anlassbeurteilung vom deckt den Zeitraum vom bis zum ab und endet wiederum mit dem Gesamturteil "8". Die Auswahlentscheidung entfiel auf einen anderen Bewerber. Der BND wies den von der Klägerin gegen die Anlassbeurteilung erhobenen Widerspruch zurück.

4Die Klägerin hat ursprünglich beantragt,

die dienstliche Beurteilung vom und den Widerspruchsbescheid vom aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin für den Zeitraum vom bis zum unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu beurteilen.

5Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

II

6Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden. Dabei ist der voraussichtliche Ausgang des Verfahrens zu berücksichtigen, soweit dieser im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses überblickt werden kann.

7Es entspricht billigem Ermessen, die Verfahrenskosten der Klägerin zu 2/3 und der Beklagten zu 1/3 aufzuerlegen. Denn die Klägerin wäre nur mit ihrem Antrag auf Aufhebung der Anlassbeurteilung und des Widerspruchsbescheids - im Ergebnis - erfolgreich gewesen, nicht aber mit ihrem Antrag auf Verurteilung der Beklagten zu einer erneuten Anlassbeurteilung für den Zeitraum vom bis zum unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Dass das Urteil des Senats vom - 2 C 1.18 - (ZBR 2020, 35) zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Anlassbeurteilung noch nicht vorlag, ist für die Kostenentscheidung nicht von Bedeutung. Denn maßgeblich ist der voraussichtliche Ausgang des konkreten Verfahrens.

8Auch der Umstand, dass zwischenzeitlich zum Stichtag für die Klägerin eine weitere Regelbeurteilung zu erstellen ist, ist für die hier zu treffende Kostenentscheidung ohne Relevanz. Dieser Aspekt hätte nicht ohne Weiteres zur Erledigung des Klagebegehrens der Klägerin geführt. Wäre der Klägerin nach den nachfolgenden Grundsätzen eine Anlassbeurteilung zu erteilen gewesen und wäre die Beurteilung vom rechtswidrig gewesen, so hätte der Dienstherr eine neue Anlassbeurteilung erstellen müssen, die in die Regelbeurteilung zum Stichtag hätte einfließen müssen.

9Ob die Anlassbeurteilung, die dem Mitbewerber der Klägerin in dem Verfahren zur Vergabe des förderlichen Dienstpostens erteilt worden ist, rechtmäßig ist, ist nicht Streitgegenstand des Verfahrens und auch nicht entscheidungserheblich. Jedenfalls bestand nach den Grundsätzen des Urteils des Senats vom - 2 C 1.18 - (ZBR 2020, 35 Rn. 57 bis 63) keine Veranlassung, für die Klägerin allein aus Anlass dieser zusätzlichen Beurteilung eines Mitbewerbers ebenfalls eine Anlassbeurteilung zu erstellen. Ein Aktualisierungsbedarf bei einem Bewerber führt nicht allein schon deshalb zwangsläufig zu einem "Nachziehen" und einer Aktualisierungspflicht auch bei allen anderen Mitbewerbern ohne originären eigenen Aktualisierungsbedarf.

10Die Ausgestaltung des Systems zur Beurteilung der Beamten eines Dienstherrn hat sich an den jeweiligen normativen Vorgaben zu orientieren. Das Bundesbeamtengesetz gibt in §§ 21 und 22 das System von regelmäßigen Beurteilungen als Regel vor, von der Ausnahmen zugelassen werden können (vgl. zu denkbaren Ausnahmekonstellationen, 2 C 1.18 - ZBR 2020, 35 Rn. 42 m.w.N.). Dieses Regel-Ausnahme-Prinzip kommt auch in § 48 BLV zum Ausdruck ( 2 A 15.17 - Buchholz 232.1 § 28 BLV Nr. 2 Rn. 67 ff.).

11Regelbeurteilungen beziehen sich auf einen grundsätzlich identischen Beurteilungszeitraum, haben einen gemeinsamen Stichtag und sind nicht durch ein besonderes Ereignis - insbesondere die Ausschreibung eines höherwertigen Statusamtes oder eines förderlich zu besetzenden Dienstpostens - veranlasst. Diese Einheitlichkeit gewährleistet, dass die dienstliche Beurteilung für sämtliche Beamte die zu beurteilenden Merkmale nicht nur punktuell, sondern gleichmäßig erfasst und sie auch in ihrer zeitlichen Entwicklung unabhängig von einer konkreten Auswahlentscheidung bewertet ( 2 C 54.82 - Buchholz 238.5 § 26 DRiG Nr. 2 S. 13, vom - 2 A 2.10 - NVwZ-RR 2013, 54 Rn. 10 und vom - 2 C 1.18 - ZBR 2020, 35 Rn. 41). Demgegenüber begegnen Anlassbeurteilungen grundsätzlich Bedenken, weil sie gerade im Hinblick auf eine anstehende Auswahlentscheidung erstellt werden und damit der Verdacht entstehen kann, sie dienten - zielgerichtet - lediglich der Durchsetzung von vorgefassten, Art. 33 Abs. 2 GG nicht genügenden Personalentscheidungen. Ohnehin ist die Aussagekraft einer ausnahmsweise zulässigen Anlassbeurteilung begrenzt. Da sie einen deutlich kürzeren Zeitraum als die Regelbeurteilung abbildet, muss die Anlassbeurteilung aus der Regelbeurteilung entwickelt werden und darf diese lediglich fortentwickeln. Je kürzer der betrachtete Zeitraum seit der letzten Regelbeurteilung und je größer der einem Bewerber nunmehr attestierte Bewertungsunterschied ausfällt, desto mehr trifft den Beurteiler die Pflicht, einen solchen Leistungssprung oder -abfall zu begründen und ggf. zu plausibilisieren (vgl. 2 VR 5.12 - BVerwGE 145, 112 Rn. 30 und Urteil vom - 2 C 1.18 - ZBR 2020, 35 Rn. 41).

12Die Entscheidung des Bundesgesetzgebers für das System von Regelbeurteilungen darf von der Verwaltung nicht dadurch unterlaufen werden, dass sie im Rahmen eines Auswahlverfahrens trotz des Vorliegens einer hinreichend aktuellen Regelbeurteilung ohne ausreichenden Grund Anlassbeurteilungen erstellt. Eine solche Anlassbeurteilung kommt für den betroffenen Beamten dann in Betracht, wenn dieser nach dem Stichtag der letzten Regelbeurteilung während eines erheblichen Zeitraums wesentlich andere Aufgaben wahrgenommen hat. Beurteilt der Verwaltungsbereich, wie hier, die Beamten entsprechend § 22 Abs. 1 Satz 2 BBG alle drei Jahre, so führt eine anderweitige Tätigkeit nur dann zu einer zusätzlichen Beurteilung, wenn sie während einer Dauer von mindestens zwei Jahren ausgeübt worden ist. Die anderweitige Tätigkeit ist nur von Bedeutung, wenn der Beamte Aufgaben wahrnimmt, die einem anderen - höherwertigen oder einer anderen Laufbahn zugehörigen - Statusamt zuzuordnen sind. Muss für einen Bewerber eines Auswahlverfahrens nach diesen Grundsätzen wegen einer veränderten Tätigkeit während eines erheblichen Zeitraums eine Anlassbeurteilung erstellt werden, so hat dies nicht zur Folge, dass für Mitbewerber, bei denen keine relevante Veränderung eingetreten ist, ebenfalls Anlassbeurteilungen zu erstellen sind ( 2 C 1.18 - ZBR 2020, 35 Rn. 57 ff.).

13An diesen Grundsätzen haben sich auch die hier noch geltenden Beurteilungsbestimmungen-BND vom i.d.F. vom zu orientieren. Die Beurteilungsbestimmungen schreiben für Beamte und Beschäftigte im BND entsprechend der gesetzlichen Vorgabe die Erstellung von Regelbeurteilungen alle drei Jahre zum 1. April vor. Mit den normativen Vorgaben nicht zu vereinbaren ist allerdings Nr. 3.5 der Beurteilungsbestimmungen-BND, auf die der BND die angegriffene Anlassbeurteilung der Klägerin gestützt hat. Denn danach setzt die Erstellung einer Anlassbeurteilung lediglich die Anordnung des Arbeitsgruppenleiters voraus, dass für eine anstehende Personalentscheidung oder aus Gründen der Personalplanung und -führung eine zusätzliche Beurteilung erforderlich ist.

14Gemessen an den vorstehend dargestellten Grundsätzen bestand für die streitgegenständliche Beurteilung kein Anlass. Die letzte Regelbeurteilung der Klägerin war noch hinreichend aktuell. Zudem ist der Klägerin der ihrem Statusamt entsprechende Dienstposten einer Sachgebietsleiterin Anfang Mai 2015 übertragen worden. Dementsprechend hätte die Klägerin lediglich - aus anderen Gründen - die Aufhebung der Anlassbeurteilung erreichen können, nicht aber ihre inhaltliche Verbesserung.

15Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:020720B2A6.19.0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 10 Nr. 34
RAAAH-54545