BGH Urteil v. - X ZR 10/19

Einheitlicher Gerichtsstand für Ansprüche aus der Fluggastrechte-Verordnung

Leitsatz

1. Eine Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia-VO ergibt sich nicht schon daraus, dass eine Niederlassung ein vorgerichtliches Anspruchsschreiben des späteren Klägers entgegennimmt und zuständigkeitshalber an eine Organisationseinheit an einem anderen Ort weiterleitet.

2. Art. 7 Nr. 1 Buchst. b Brüssel-Ia-VO begründet einen einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Klagen aus dem Dienstleistungsvertrag. Bei einem Vertrag, der einen Hinflug zu einem bestimmten Endziel und einen Rückflug zu einem vom ersten Abflugort verschiedenen Ankunftsort vorsieht, ist deshalb an allen drei Orten der Gerichtsstand des Erfüllungsorts für alle nach dem Vertrag geschuldeten Leistungen begründet.

Gesetze: Art 7 Nr 1 Buchst a EUV 1215/2012, Art 7 Nr 1 Buchst b Ss 2 EUV 1215/2012, Art 7 Nr 5 EUV 1215/2012, Art 7 Abs 1 S 1 EGV 201/2004, Art 7 Abs 1 S 1 EGV 261/2004

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 85/18vorgehend AG Frankfurt Az: 31 C 1993/17 (39)

Tatbestand

1Der Lebensgefährte der Mutter des Klägers buchte über ein Reiseunternehmen bei der Beklagten für sich, seine Lebensgefährtin und den Kläger Flüge von Frankfurt über London nach Boston und von New York über London nach Wien.

2Der Flug von New York nach London fand statt. Der Weiterflug nach Wien konnte nicht wie vorgesehen starten. Der Kläger und seine Begleiter entschieden sich für eine Umbuchung auf einen Flug nach Frankfurt am Main am nächsten Tag.

3Der Kläger begehrt aus eigenem und abgetretenem Recht für alle drei Reisende Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 FluggastrechteVO, Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

4Das Amtsgericht hat die Klage wegen fehlender internationaler und örtlicher Zuständigkeit abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte ist im Revisionsverfahren nicht durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt vertreten.

Gründe

5Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

6I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

7Die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts ergebe sich nicht aus der Verordnung Brüssel Ia.

8Die Voraussetzungen von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a und b Gedankenstrich 2 Brüssel-Ia-VO seien nicht gegeben, da Hin- und Rückflug getrennt betrachtet werden müssten und Frankfurt am Main weder Abflug- noch Ankunftsort des Rückfluges gewesen sei.

9Die internationale Zuständigkeit folge auch nicht aus Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia-VO, weil es an der Betriebsbezogenheit der Streitigkeit fehle. Die Niederlassung der Beklagten in Frankfurt am Main sei weder an der Anbahnung noch an der Durchführung des Beförderungsvertrages beteiligt gewesen. Eine Betriebsbezogenheit sei auch nicht dadurch entstanden, dass sich diese Niederlassung der Geltendmachung der Ansprüche durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin angenommen habe. Denn dessen Schreiben sei nicht von dieser, sondern von einer anderen Abteilung der Beklagten in Bremen beantwortet worden.

10II. Da die Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Inhaltlich beruht das Urteil auf einer Sachprüfung (vgl. , BGHZ 37, 79, 81).

11III. Das Urteil des Berufungsgerichts hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

121. Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass der Gerichtsstand der Niederlassung nicht gegeben ist.

13a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union setzt die Zuständigkeit nach Art. 7 Abs. 5 Brüssel-Ia-VO zweierlei voraus:

14Eine Zweigniederlassung im Sinne dieser Vorschrift erfordert einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt. Dieser Mittelpunkt muss eine Geschäftsführung haben und sachlich so ausgestattet sein, dass er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese sich nicht unmittelbar an das Stammhaus zu wenden brauchen.

15Eine Streitigkeit aus dem Betrieb einer solchen Zweigniederlassung liegt vor, wenn sie Handlungen betrifft, die sich auf den Betrieb der Zweigniederlassung beziehen, oder Verpflichtungen, die diese im Namen des Stammhauses eingegangen ist, wenn die Verpflichtungen in dem Staat zu erfüllen sind, in dem sich die Zweigniederlassung befindet (, NZA 2012, 935 Rn. 48 - Mahamdia; Urteil vom - C-27/17, NZKart 2018, 357 Rn. 59 - flyLAL-Lithuanian Airlines; Urteil vom - C-464/18, RRa 2019, 164 Rn. 33 - Ryanair DAC).

16b) Im Streitfall fehlt es jedenfalls an der zweiten Voraussetzung.

17Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war die Zweigniederlassung der Beklagten in Frankfurt am Main an Anbahnung, Abschluss und Durchführung des Beförderungsvertrags nicht beteiligt.

18Eine relevante Beteiligung ergibt sich im Streitfall auch nicht aus einer Mitwirkung an der Korrespondenz mit dem Kläger im Zusammenhang mit der Geltendmachung der Klageansprüche.

19aa) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Mitwirkung bei der Regulierung eines geltend gemachten Anspruchs zur Bejahung der Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia-VO führen kann. Die bloße Entgegennahme und Weiterleitung eines Schreibens an eine zuständige Niederlassung an einem anderen Ort reichen hierfür jedenfalls nicht aus.

20Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Zweigniederlassung der Beklagten in Frankfurt am Main ein Forderungsschreiben des späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers lediglich entgegengenommen; beantwortet hat dieses Schreiben eine in Bremen ansässige Abteilung. Damit hat die Niederlassung in Frankfurt nicht in relevanter Weise an der Bearbeitung der Angelegenheit mitgewirkt.

21bb) Aus dem von der Revision aufgezeigten weiteren Vortrag des Klägers ergibt sich keine abweichende Beurteilung.

22Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe ihn darauf verwiesen, seine Ansprüche in der Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen. Ob eine solche Mitteilung zu einem Gerichtsstand am Sitz der für die Bearbeitung zuständigen Stelle führen kann, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Im Streitfall lässt sich dem Vorbringen des Klägers jedenfalls nicht entnehmen, dass die von der Beklagten benannte Stelle ihren Sitz in Frankfurt am Main hat.

232. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das Amtsgericht indes unter dem Gesichtspunkt des Erfüllungsorts international zuständig.

24a) Nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. a Brüssel-Ia-VO können Ansprüche aus einem Vertrag an dem Ort geltend gemacht werden, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Nach Buchst. b Gedankenstrich 2 dieser Regelung ist der Erfüllungsort einer Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem die Leistungen nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen.

25Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO ist ein Anspruch aus einem Vertrag über eine Dienstleistung im Sinne dieser Vorschriften ( u.a., RRa 2018, 173 Rn. 64 - flightright; , NJW-RR 2018, 1448 Rn. 8).

26b) Im Streitfall ist Frankfurt am Main als Erfüllungsort für alle Ansprüche aus dem Vertrag anzusehen, weil an diesem Ort der Hinflug begonnen hat.

27aa) Art. 7 Nr. 1 Buchst. b Brüssel-Ia-VO begründet einen einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Klagen aus dem Dienstleistungsvertrag.

28Grundsätzlich soll nur ein Gericht für alle Klagen aus dem Vertrag zuständig sein (, RRa 2009, 234 Rn. 34 - Rehder; , NJW 2006, 1806 Rn. 14 ff.).

29Maßgeblich ist grundsätzlich der Ort, an dem die engste Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zuständigen Gericht besteht. Gibt es mehrere Orte, die eine gleich enge Verknüpfung aufweisen, so stehen dem Kläger alle diese Orte zur Auswahl (, RRa 2009, 234 Rn. 35 - Rehder). Bei einem Vertrag über eine Luftbeförderung gehören zu diesen Orten jedenfalls der Abflug- und der Ankunftsort (, RRa 2009, 234 Rn. 41 - Rehder). Dies gilt bei Flügen, die mehrere Teilstrecken umfassen, jedenfalls für den Abflugort der ersten und den Ankunftsort der letzten Teilstrecke, und zwar selbst dann, wenn die Beförderung auf den einzelnen Teilstrecken von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird ( u.a., RRa 2018, 173 Rn. 71 ff. - flightright).

30bb) Im Streitfall hat sich die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts (Berufungsurteil S. 4 unten und Blatt 43 ff. der Akten) in dem Vertrag, auf den die Klage gestützt ist, sowohl zur Beförderung von Frankfurt nach Boston als auch zur Beförderung von New York nach Wien verpflichtet.

31Nach der aufgezeigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind deshalb alle drei Orte als Erfüllungsort anzusehen, und zwar für alle aus dem Vertrag abgeleiteten Ansprüche.

32Dem steht nicht entgegen, dass ein Flug im Sinne der Fluggastrechteverordnung grundsätzlich nur die Teilstrecken zwischen dem Ort des ersten Abflugs und dem Endziel umfasst (zu letzterem , RRa 2013, 78 Rn. 34 f. - Folkerts; Urteil vom - C-559/16, RRa 2017, 229 Rn. 24 ff. - Bossen; Urteil vom - C-537/17, RRa 2018, 179 Rn. 18 - Wegener). Dieser Grundsatz hat zwar zur Folge, dass die Frage, ob ein Ausgleichsanspruch besteht, für Hin- und Rückflug gesondert zu beurteilen ist. Entsprechendes dürfte auch dann gelten, wenn der Abflugort der ersten und der Ankunftsort der letzten vom Vertrag umfassten Teilstrecke nicht identisch sind, aufgrund eines Richtungswechsels oder sonstiger Umstände aber dennoch erkennbar ist, dass der Ankunftsort der letzten Teilstrecke nicht das Endziel im Sinne der Fluggastrechteverordnung ist. Im Zusammenhang mit Art. 7 Nr. 1 Buchst. b Brüssel-Ia-VO kommt dem aber keine Bedeutung zu, weil diese Vorschrift einen einheitlichen Erfüllungsort für alle vertraglichen Pflichten vorsieht.

33IV. Nach allem ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

34Der Senat verweist die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO an das Amtsgericht zurück, weil dieses bislang nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden hat und es angemessen erscheint, dass auch die Begründetheit zunächst in erster Instanz beurteilt wird. Den gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlichen Verweisungsantrag hat der Kläger ausweislich des angefochtenen Urteils gestellt.

Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe von einem an diesem Gericht zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:120520UXZR10.19.0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 9 Nr. 33
RIW 2020 S. 701 Nr. 11
DAAAH-54207