BFH Beschluss v. - XI B 59/19

Rückstellung für Mehrsteuern aufgrund Steuerhinterziehung

Leitsatz

1. NV: Das Bilden einer Rückstellung für die betreffenden Mehrsteuern erfordert es auch dann, wenn der Steuerpflichtige von der Verwirklichung des Tatbestands der Steuerhinterziehung Kenntnis hat, dass er am Bilanzstichtag ernsthaft mit einer quantifizierbaren Steuernachforderung rechnen muss.

2. NV: § 44 Abs. 1 FGO setzt nicht nur voraus, dass ein außergerichtlicher Rechtsbehelf erfolglos geblieben ist, sondern dass überhaupt ein außergerichtlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde. Ist dies nicht der Fall, ist die Klage unzulässig.

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 Alternative 1, Nr. 2 Alternative 2, Nr. 3; FGO § 44 Abs. 1

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Eine bei der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer GmbH i.L., durchgeführte Fahndungsprüfung (Bericht vom ) hatte ergeben, dass die Betriebseinnahmen für die Veranlagungs- bzw. Erhebungszeiträume 2006 und 2007 (Streitjahre) nicht vollständig erklärt worden waren. Am erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) für die Streitjahre entsprechende Änderungsbescheide über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag.

2 Den gegen die Körperschaftsteuerfestsetzungen erhobenen Einspruch mit dem Ziel, jeweils eine Rückstellung für die betreffende Gewerbesteuernachforderung gewinnmindernd zu berücksichtigen, wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag für die Streitjahre als unbegründet zurück.

3 Das Finanzgericht (FG) Nürnberg wies die Klage mit Urteil vom  - 1 K 908/18 ab. Die Klage wegen der Gewerbesteuermessbeträge sei unzulässig, da die Klägerin insoweit keinen Einspruch eingelegt habe; im Übrigen sei die Klage unbegründet, da eine Gewerbesteuerrückstellung erst bei drohender Tataufdeckung zu bilden sei.

4 Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision. Sie macht geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—), wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) sowie wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.

Gründe

II.

5 Die Beschwerde ist —bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit— jedenfalls unbegründet. Soweit die Klägerin Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügend dargelegt hat, liegen diese nicht vor.

6 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen.

7 a) Bei dem Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung handelt es sich um einen Unterfall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung. Beide Zulassungsgründe verlangen substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärbar und deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist; hierzu muss sich der Beschwerdeführer mit der Rechtsprechung des BFH und den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - III B 135/17, BFH/NV 2018, 705, Rz 5; vom  - XI B 71/18, BFH/NV 2019, 1329, Rz 6; jeweils m.w.N.).

8 b) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, „ob eine Rückstellung aufgrund einer Steuerhinterziehung erst im Jahr der Entdeckung oder bereits im Jahr der Begehung der Straftat zu bilden ist, wenn dem Täter die Tatsache der Begehung einer strafbaren Handlung bewusst gewesen ist“, ist nicht klärungsbedürftig.

9 aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht mit einer (vermeintlichen) Gegenläufigkeit der BFH-Rechtsprechung —einerseits die (BFHE 214, 226, BStBl II 2006, 838, unter II.4.e, Rz 94) und vom  - X R 23/10 (BFHE 238, 173, BStBl II 2013, 76, Rz 20), andererseits die (BFHE 228, 259, BStBl II 2010, 692, Rz 43) und vom  - III R 96/07 (BFHE 237, 407, BStBl II 2012, 719, Rz 16)— begründet werden.

10 bb) Nach ständiger Rechtsprechung erfordert das Bilden einer Rückstellung für die betreffenden Mehrsteuern es auch dann, wenn der Steuerpflichtige von der Verwirklichung des Tatbestands einer Steuerhinterziehung Kenntnis hat, dass er am Bilanzstichtag aufgrund eines hinreichend konkreten Sachverhalts ernsthaft mit einer quantifizierbaren Steuernachforderung rechnen muss; dies ist frühestens mit der Beanstandung einer bestimmten Sachbehandlung durch den Prüfer der Fall (vgl. z.B. , BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731, unter II.2.c bb, Rz 17, m.w.N.).

11 cc) Den von der Klägerin angeführten BFH-Urteilen in BFHE 228, 259, BStBl II 2010, 692 und in BFHE 237, 407, BStBl II 2012, 719 ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Sie stehen vielmehr mit der ständigen BFH-Rechtsprechung in Einklang.

12 (1) Wegen der Rechtsgrundsätze zur Rückstellungsbildung bei öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen nimmt der BFH mit seinem Urteil in BFHE 228, 259, BStBl II 2010, 692 gerade das Urteil in BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731 in Bezug und führt aus, dass für die Frage, ob die Bilanz richtig oder unrichtig ist, der Erkenntnisstand des sorgfältigen Kaufmanns bei Aufstellung der Bilanz zu berücksichtigen ist (Rz 43). Dem lag dort allerdings kein Fall der Steuerhinterziehung zugrunde.

13 (2) In dem vom BFH mit Urteil in BFHE 237, 407, BStBl II 2012, 719 entschiedenen Fall war dem Kläger ebenfalls keine Steuerhinterziehung vorzuwerfen, weshalb es —wie dort unter Rz 18 ausgeführt— nicht darauf ankam, dass eine Rückstellung für hinterzogene Steuern nicht gebildet werden darf, solange die Tat noch nicht entdeckt ist; denn eine Bilanz, die keine Rückstellungen für hinterzogene Steuern ausweist, wird nicht als fehlerhaft angesehen, wenn die Steuerhinterziehung zum Zeitpunkt des Bilanzstichtages noch nicht aufgedeckt war und auch noch nicht mit Ermittlungen begonnen wurde.

14 c) Soweit die Klägerin —die Gewerbesteuermessbeträge der Streitjahre betreffend— es ferner als klärungsbedürftig ansieht, ob die Rechtsgrundsätze des (BFH/NV 1991, 75) „auch auf den Fall zu übertragen [sind], dass ein Einspruchsverfahren vollumfänglich durchgeführt worden ist, obwohl kein Einspruch eingelegt worden ist“, ist ein Klärungsbedarf nicht dargelegt. Denn das BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 75 betrifft —wie die Ausführungen unter II.B.2.a (Rz 45) zeigen— gerade einen solchen Fall, in dem —wie im Streitfall— gegen den Kläger zwar eine Einspruchsentscheidung ergangen ist, er jedoch keinen Einspruch eingelegt hatte.

15 Ein weiterer Klärungsbedarf ist auch im Hinblick auf das (BFH/NV 2005, 553) nicht ersichtlich.

16 2. Soweit die Klägerin wegen der von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) für erforderlich hält, hat sie nicht aufgezeigt, dass das angefochtene FG-Urteil im Rechtsgrundsätzlichen von Entscheidungen anderer Gerichte abweicht (vgl. zu dieser Anforderung z.B. , BFH/NV 2018, 738, Rz 8). Eine solche Abweichung ist im Übrigen auch nicht erkennbar.

17 3. Die Revision ist schließlich nicht aufgrund von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.

18 a) Die Klägerin hat hierzu in ihrer Beschwerdebegründung unter III. nicht ausgeführt. Es kann dahinstehen, ob angesichts der übrigen Ausführungen der Klägerin im Einzelfall auf eine weitere Begründung der Beschwerde verzichtet werden kann.

19 b) Ein in Betracht kommender Verfahrensmangel dergestalt, dass über eine Klage objektiv fehlerhaft nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden und dadurch der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 119 Nr. 3 FGO) verletzt wurde (vgl. z.B. , BFH/NV 2019, 897, Rz 7, m.w.N.) —was lediglich das FG-Urteil wegen Gewerbesteuermessbeträge der Streitjahre betreffen könnte—, liegt nicht vor. Die mit der Vorentscheidung erfolgte teilweise Klageabweisung als unzulässig entspricht den in den BFH-Urteilen in BFH/NV 1991, 75 und in BFH/NV 2005, 553 dargestellten Rechtsgrundsätzen.

20 4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

21 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2020:B.120520.XIB59.19.0

Fundstelle(n):
BB 2021 S. 45 Nr. 1
BBK-Kurznachricht Nr. 15/2020 S. 706
BFH/NV 2020 S. 909 Nr. 10
DStR 2020 S. 6 Nr. 30
DStZ 2020 S. 632 Nr. 17
KoR 2020 S. 411 Nr. 9
StuB-Bilanzreport Nr. 16/2020 S. 643
ZAAAH-54029