BGH Beschluss v. - 3 StR 567/19

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung aus Freiheits- und Geldstrafen: Erledigung einer Geldstrafe durch "Niederschlagung" eines offenen Strafrests

Gesetze: § 55 Abs 1 StGB, § 459 StPO, § 459c Abs 2 StPO, § 459e Abs 3 StPO, § 1 Abs 1 Nr 1 Alt 1 JBeitrO

Instanzenzug: LG Verden Az: 2 KLs 3/18

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betruges in 17 Fällen und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen und die Angeklagte von weiteren Tatvorwürfen freigesprochen. Die Angeklagte wendet sich mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen ihre Verurteilung. Das Rechtsmittel hat lediglich in Bezug auf die Gesamtstrafenbildung Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Strafkammer hat aus den Einzelstrafen für die 18 festgestellten Straftaten, welche die Angeklagte zwischen dem und dem beging, eine Gesamtstrafe gebildet. Einem hat sie keine zäsurbildende Wirkung beigemessen und von der Festsetzung zweier Gesamtstrafen abgesehen. Zur Begründung hat sie darauf abgestellt, dass die Angeklagte zwar einen Rest der Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Leipzig in Höhe von 20 € noch nicht gezahlt habe. Allerdings habe die Staatsanwaltschaft Leipzig diesen noch offenen Strafrest "niedergeschlagen", da er unter dem ausgeurteilten Tagessatz von 30 € liege und daher nicht vollstreckbar sei; ein Schreiben der Staatsanwaltschaft weise als "offene Forderung ... 0,00 € aus".

32. Die Begründung, mit der das Landgericht die vom Amtsgericht verhängte Strafe im Ergebnis als vollständig vollstreckt bewertet und auf die Bildung zweier Gesamtfreiheitsstrafen verzichtet hat, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

4Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB ist die durch das Amtsgericht ausgesprochene Strafe für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung von Bedeutung, soweit sie nicht vollstreckt, verjährt oder erlassen ist. Eine derartige Erledigung ist durch die "Niederschlagung" der Reststrafe nicht eingetreten. Die Strafe ist insbesondere nach den Urteilsfeststellungen bislang nicht vollständig vollstreckt worden.

5a) Eine abschließende Vollstreckung ist nicht darin zu sehen, dass die Vollstreckung des noch offenen Strafrests im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe gemäß § 459e Abs. 3 StPO ausgeschlossen ist. Dies lässt nämlich die Möglichkeit einer weiteren Beitreibung nach § 459 StPO, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 JBeitrG unberührt (vgl. § 50 Abs. 2 Satz 2 StVollstrO; Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO, 9. Aufl., § 50 Rn. 6).

6b) Unterbleibt eine Vollstreckung in das Vermögen wegen zu erwartender Erfolglosigkeit im Sinne des § 459c Abs. 2 StPO, steht dies einer weiteren Beitreibung der Strafe bis zum Eintritt der Vollstreckungsverjährung ebenfalls nicht entgegen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 459c Rn. 6). Ein solches - teils als Niederschlagung bezeichnetes (vgl. entsprechend zu § 95 Abs. 2 OWiG KK/Mitsch, OWiG, 5. Aufl., § 95 Rn. 12) - Vorgehen hat mithin keine Auswirkung auf Bestand und Vollstreckbarkeit der Strafe.

7Dies gilt auch, soweit die Staatsanwaltschaft Leipzig von keiner offenen Forderung mehr ausgeht. Mangels einer gesetzlichen Grundlage dafür, durch eine Niederschlagung die Vollstreckbarkeit einer rechtskräftigen Geldstrafe aufzuheben, handelt es sich hierbei lediglich um einen verwaltungsinternen Vorgang, nach dem ersichtlich von weiteren Vollstreckungsbemühungen abgesehen werden soll und eine Wiedervorlage der Akten zur weiteren Vollstreckung unterbleibt (vgl. VwV-SäHO Nr. 2.1, 2.4, 2.5, 6.3 zu § 59; s. auch § 11 Abs. 1 EBAO; BeckOK KostR/Berendt, 28. Ed., EBAO § 11 Rn. 1 f.; zum Kostenanspruch , juris Rn. 9 mwN).

8c) Ist aus den dargelegten Gründen die Geldstrafe noch nicht vollständig vollstreckt - und im Übrigen nicht verjährt oder erlassen -, besteht kein Anlass, sie im Rahmen des § 55 StGB wie eine insgesamt erledigte Strafe zu behandeln.

9Die vom Landgericht herangezogene Erwägung, ein Verurteilter könnte sich durch nicht vollständige Zahlung einer Geldstrafe bewusst die Möglichkeit einer gespaltenen Gesamtstrafenbildung offenhalten, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen ist die Vollstreckungsbehörde, wie dargelegt, weiter in der Lage, die Vollstreckung in das Vermögen zu betreiben. Zum anderen hängt es jeweils von den - im Vorhinein kaum absehbaren - Besonderheiten der Strafenbildung im Einzelfall ab, ob aus Sicht des Betroffenen eine einzige Gesamtstrafe oder mehrere Gesamtstrafen vorzugswürdig erscheinen. Im Übrigen handelt es sich um die Konsequenzen der Gesetzeslage.

103. Die rechtsfehlerhafte Entscheidung über den Gesamtstrafenausspruch hat dessen Aufhebung zur Folge. Es ist nach den konkreten Umständen nicht auszuschließen, dass die Angeklagte durch die Festsetzung lediglich einer Gesamtfreiheitsstrafe beschwert ist. Da das Landgericht auf mehrere Einzelfreiheitsstrafen von neun Monaten und einem Jahr sowie in einem Fall von einem Jahr und sechs Monaten erkannt hat, kommt in Betracht, dass bei zwei Gesamtfreiheitsstrafen deren Dauer jeweils zwei Jahre nicht überstiege und mithin eine Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) zu prüfen wäre.

11Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO), weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

124. Bei der neuerlichen Gesamtstrafenbildung wird die Strafkammer zu beachten haben, dass hinsichtlich der Vorverurteilung der Vollstreckungsstand zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils () maßgebend ist und eine Zäsurwirkung des amtsgerichtlichen Urteils durch eine mögliche Entscheidung nach § 53 Abs. 2 Satz 2, § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht entfiele (s. , StV 2018, 489, 490 mwN). Zudem führt das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) dazu, dass die Summe mehrerer neu gebildeter Gesamtstrafen die bisher verhängte Gesamtstrafe zuzüglich der einzubeziehenden Strafe nicht übersteigen darf.

135. Ergänzend bemerkt der Senat, dass die Strafkammer die Anklage insoweit nicht erschöpft hat, als sie bei Fall 18 der Anklage lediglich über die betrügerisch erlangte Zahlung von 850 € entschieden hat. Ihrer Kognitionspflicht unterlag jedoch auch die weitere in der Anklage genannte Zahlung von 1.800 € unabhängig davon, dass diese laut Anklageschrift "zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im November 2016", nach Überzeugung des Landgerichts indes "gegen Ende Oktober 2016" geleistet wurde. Eine Veränderung des Tatzeitpunkts hebt die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht ohne Weiteres auf. Eine solche Identität besteht hier trotz veränderter zeitlicher Einordnung, da die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der genauen Tatzeit nach anderen Merkmalen - Höhe des Geldbetrags, Person des Geschädigten, Mitteilung über Geldbedarf für eine neue Wohnung - individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist (vgl. , juris Rn. 13 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:210120B3STR567.19.0

Fundstelle(n):
XAAAH-52829