BVerwG Beschluss v. - 4 BN 13/20

Bebauungsplan; Anforderungen an die Rüge nach § 215 Abs. 1 BauGB

Gesetze: § 1 Abs 3 S 1 BauGB, § 13a BauGB, § 215 Abs 1 BauGB

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 7 D 4/17.NE Urteil

Gründe

1Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2I. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

3Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4).

41. Die Beschwerde hält der Sache nach für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob ein Bebauungsplan erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist, wenn die vorhandene bauliche Nutzung festgeschrieben wird, um Freiraum zu erhalten.

5Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie ist in der Rechtsprechung des Senats beantwortet, soweit sie rechtsgrundsätzlicher Klärung zugänglich ist.

6Welche Planungsziele in der Bauleitplanung zulässig sind, bestimmt § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Danach haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit dies für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Was in diesem Sinne erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinden, diejenige Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Entwicklungs- und Ordnungsvorstellungen entspricht ( 4 CN 8.14 - BVerwGE 153, 16 Rn. 11). Nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB sind allerdings (u.a.) Pläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind ( 4 C 13.11 - BVerwGE 146, 137 Rn. 9 m.w.N.). Ungeachtet dieses Verbots einer Negativplanung darf die Gemeinde mit den Mitteln des Bauplanungsrechts städtebauliche Ziele verfolgen, die mehr auf Bewahrung als auf Veränderung der vorhandenen Situation zielen ( 4 NB 8.90 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 47 S. 44). Dies schließt die Befugnis ein, Freiräume mit Mitteln der Bauplanung zu erhalten.

72. Den Einwand, der Plan habe nicht als Bebauungsplan der Innenentwicklung im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB ergehen dürfen, hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen, weil dieser Mangel nicht in der Frist des § 215 Abs. 1 BauGB gerügt worden sei.

8a) Die Beschwerde hält insoweit für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob die Wahl des Verfahrens nach § 13a BauGB hinreichend nach § 215 Abs. 1 BauGB gerügt ist, wenn unter Verweis auf § 13a BauGB die unzulässige Verfahrensart als solche beanstandet wird und zu weiteren prüfungsrelevanten Tatbestandsvoraussetzungen vorgetragen wird.

9Die Frage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Anforderungen an eine Rüge nach § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB sind geklärt. Die Norm verlangt Substantiierung und Konkretisierung. Der Gemeinde soll durch die Darlegung die Prüfung ermöglicht werden, ob Anlass besteht, in eine Fehlerbehebung einzutreten ("Anstoßfunktion" der Rüge). Darüber hinaus wird durch die schriftliche Darlegung der Kreis der präkludierten Rügen bestimmt. Das schließt eine nur pauschale Rüge aus. Die Feststellung, ob eine Rüge im konkreten Fall diesen Anforderungen genügt, obliegt den Tatsachengerichten (BVerwG, Beschlüsse vom - 4 BN 17.19 - ZfBR 2020, 66 Rn. 6 und 8 und vom - 4 BN 13.19 - juris Rn. 5 und 7 m.w.N.). Das Vorbringen zu anderen - vermeintlichen - Mängeln des Plans genügt für eine Rüge nach § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB damit auch dann nicht, wenn bei dieser Gelegenheit die Verfahrensart erwähnt wird.

10Die Vorinstanz hat der Sache nach eine Anstoßfunktion verneint, weil die Antragstellerinnen nur zu den Voraussetzungen eines vereinfachten Verfahrens nach § 13 Abs. 1 BauGB vorgetragen hätten, aber nicht zu denjenigen des beschleunigten Verfahrens nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB (UA S. 8). Diese Sichtweise wirft auch mit Blick auf die Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte keine Frage grundsätzlicher Bedeutung auf: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat es für die Anstoßfunktion ausreichen lassen, dass ein Antragsteller die Wahl des beschleunigten Verfahrens gerügt, aber mit einem nicht durchgreifenden rechtlichen Argument begründet hatte ( 2 A 8.16 - juris Rn. 40). Die Vorinstanz hat den Antragstellerinnen dagegen entgegengehalten, überhaupt nicht zu den Voraussetzungen des beschleunigten Verfahrens vorgetragen zu haben. Das Oberverwaltungsgericht Koblenz hat es genügen lassen, dass der Mangel einer unterlassenen Umweltprüfung als Konsequenz der beanstandeten Verfahrenswahl gerügt worden ist ( - juris Rn. 27). Auch ein solcher Fall liegt nicht vor: Denn die Antragstellerinnen machen nicht geltend, das Fehlen der Umweltprüfung und damit den an sich beachtlichen Verfahrensfehler gerügt zu haben (zum Verhältnis der Verfahrenswahl und daraus folgenden Verfahrensfehlern vgl. 4 CN 4.08 - BVerwGE 134, 264 Rn. 18 und vom - 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 28). Sie haben vielmehr gegenüber der Antragsgegnerin allein vorgetragen, der Bebauungsplan verkehre die Festsetzungen eines früheren Plans in ihr Gegenteil (Schriftsatz vom S. 21). Dieses Argument lässt sich indes gegen die Wahl des beschleunigten Verfahrens nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB von vornherein nicht ins Feld führen und konnte daher auch keine Anstoßwirkung entfalten.

11b) Die Beschwerde möchte in diesem Zusammenhang klären lassen,

ob Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012 L 26 S. 1) - UVP-Richtlinie (UVP-RL) - so auszulegen ist, dass die Vorschrift einer nationalen Regelung entgegensteht, die einen Rechtsverstoß bei der Beteiligung der Öffentlichkeit im Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans durch eine gemeindliche Satzung für unbeachtlich erklärt, wenn dieser Verstoß trotz entsprechender Belehrung nicht binnen eines Jahres nach der Bekanntgabe des Plans gegenüber der Gemeinde gerügt worden ist und für den Bebauungsplan die Bestimmungen der UVP-Richtlinie über die Beteiligung der Öffentlichkeit gelten.

12Diese, dem Senatsbeschluss vom - 4 CN 3.16 - (Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 20) entnommene Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil die Beschwerde ihre Entscheidungserheblichkeit nicht darlegt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass für den Bebauungsplan die Bestimmungen der UVP-Richtlinie über die Beteiligung der Öffentlichkeit gelten. Nach der hier maßgeblichen, bis zum geltenden Fassung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG a.F.) waren nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG a.F. Entscheidungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG a.F. u.a. Beschlüsse nach § 10 BauGB über die Aufstellung von Bebauungsplänen, durch die die Zulässigkeit von bestimmten Vorhaben im Sinne der Anlage 1 zum UVPG a.F. begründet werden sollte. Daran fehlt es. Der Bebauungsplan war insbesondere nicht darauf gerichtet, die Zulässigkeit eines Hotelkomplexes (Anlage 1 zum UVPG a.F. Nr. 18.1, Anhang II Nr. 12 Buchst. c Alt. 2 UVP-RL) zu begründen, sondern schloss diese Nutzung vielmehr aus.

133. Die Beschwerde sieht weiter grundsätzlichen Klärungsbedarf,

ob die Festsetzung einer privaten Grünfläche entsprechend § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB aus einem Flächennutzungsplan mit der Darstellung "Fußball- und Tennisplätze sowie Nebengebäuden" entwickelt ist.

14Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung nicht darlegt. Sie kleidet allein ihre Kritik an der vorinstanzlichen Entscheidung in eine Frage.

154. Der Sache nach möchte die Beschwerde klären lassen,

ob die Festsetzung einer bestehenden und bestandskräftigen Nutzungsmöglichkeit eines Teilbereichs des Plangebiets als abwägungsvorteilhaft zugunsten eines Antragstellers in einem Normenkontrollverfahren im Rahmen des § 1 Abs. 7 BauGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 GG berücksichtigt werden darf.

16Rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde damit nicht auf. Die Vorinstanz hat im Rahmen der Abwägungskontrolle berücksichtigt, dass der Bebauungsplan die Errichtung von drei, im Jahr 2013 genehmigten Mehrfamilienhäusern planungsrechtlich absichert, indem er ein allgemeines Wohngebiet in einem Teilbereich festsetzt (UA S. 12). Dies hält die Beschwerde für rechtsfehlerhaft. Ihre Kritik geht jedoch daran vorbei, dass die Gemeinde bei der Überplanung eines Bestandes die vorhandene Bebauung auch "auf den Bestandsschutz setzen" kann ( 4 NB 5.95 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 81 S. 17). Einen Planungsgrundsatz, nach dem die vorhandene Bebauung eines Gebiets nach Art und Maß bei einer Überplanung weiterhin zugelassen werden muss, gibt es nicht ( 4 CN 6.99 - BVerwGE 112, 41 <48> und Beschluss vom - 4 BN 31.15 - ZfBR 2016, 157 Rn. 5). Es kann daher zur Ausgewogenheit eines Abwägungsergebnisses beitragen, wenn die Gemeinde genehmigte oder ausgeübte Nutzungen bauplanungsrechtlich festsetzt.

17II. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

18Die Antragstellerinnen beanstanden, das Oberverwaltungsgericht sei weiterem Vorbringen zu Abwägungsfehlern nicht nachgegangen und habe dadurch den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verletzt und gegen die Pflicht zur Amtsermittlung aus § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen. Die Beschwerde genügt insoweit nicht den Darlegungsanforderungen. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird ( 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Wird etwa eine Gehörsrüge darauf gestützt, dass das Tatsachengericht relevantes Vorbringen übergangen habe, bedarf es daher der Darlegung, welches Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat und unter welchem denkbaren Gesichtspunkt das nicht zur Kenntnis genommene oder nicht erwogene Vorbringen für die Entscheidung hätte von Bedeutung sein können (stRspr, 4 C 35.13 - juris Rn. 42, insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 442.42 § 27a LuftVO Nr. 8). Es genügt nicht, pauschal auf Urkunden, Auszüge aus der lokalen Presse, die Verwaltungsakte und den prozessualen Sachvortrag zu verweisen.

19Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:070520B4BN13.20.0

Fundstelle(n):
ZAAAH-52221