BGH Urteil v. - 5 StR 299/19

Mord: Heimtückisches Ausnutzungsbewusstsein

Gesetze: § 211 Abs 2 StGB

Instanzenzug: LG Görlitz Az: 400 Js 14400/18 - 1 Ks

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die zur Aufhebung des Strafausspruchs führt. Die - vom Generalbundesanwalt vertretene und ebenfalls mit der Sachrüge begründete - Revision der Staatsanwaltschaft hat zu Lasten des Angeklagten die überwiegende Aufhebung des Urteils zur Folge.

I.

21. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:

3Der Angeklagte ist seit vielen Jahren alkoholabhängig und hat bereits mehrere Therapiemaßnahmen erfolglos durchlaufen. Seit 1985 musste er zahlreiche Haftstrafen u.a. wegen Nötigung, Diebstahls, räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer, gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung und räuberischer Erpressung verbüßen. Zuletzt wurde im März 2018 eine sechsmonatige Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung und anderer Delikte gegen ihn verhängt.

4In einer betreuten Wohneinrichtung für suchtkranke Menschen hatte er 2014 das spätere Tatopfer kennengelernt, die 18 Jahre jüngere      K.   ; auch sie war dem Alkohol verfallen und litt zudem an einer Borderline-Störung. Beide waren seitdem liiert, stritten sich aber immer wieder. Ein im Februar 2017 geborenes gemeinsames Kind wurde Anfang 2018 auf Drängen des Jugendamtes dauerhaft in eine Pflegefamilie gegeben. Der Angeklagte machte hierfür insbesondere seine Partnerin verantwortlich, weil diese durch ihre zahlreichen Alkoholrückfälle auch ihn wieder zu eigenem Alkoholkonsum verführt hätte. Er entwickelte schließlich, zumindest wenn er Alkohol getrunken hatte, Hassgefühle gegen sie.

5Nach einem Gerichtstermin gab es erneut erheblichen Streit zwischen beiden. Die Gedanken des Angeklagten kreisten darum, dass er sich von seiner Partnerin ausgenutzt fühle, sie sein Leben zerstöre, sich an diesem Tag „unmöglich“ benommen habe und er sich eigentlich von ihr trennen wolle. In einer Grünanlage unmittelbar vor dem Polizeirevier    gab es nach einer vorübergehenden räumlichen Trennung ein letztes Gespräch, bei dem der Angeklagte zunächst noch wünschte, hieraus die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft wiedererlangen zu können. Das Gespräch verlief aber in eine andere Richtung. Während der Angeklagte seiner Lebensgefährtin vorwarf, dass sie ihn nur „verarsche“ und benutze, brachte sie ihm gegenüber ihre Verachtung zum Ausdruck.

6Der gekränkte und enttäuschte Angeklagte beschloss nunmehr unvermittelt, dass         K.     für das, was sie ihm angetan hatte, sterben müsse. Er führte im Hosenbund ein Küchenmesser mit 20 cm langer Klinge bei sich. Ohne dass sie zu einer Abwehrreaktion fähig war, stach er mit Tötungsabsicht zweimal in Richtung ihres Körpers. Dabei sagte er: „Jetzt bekommst du, was du verdienst!“. Er traf sie jedoch lediglich am linken Oberschenkel. Sie sprang schreiend auf und lief davon, wurde aber nach wenigen Metern vom Angeklagten eingeholt, der ihr unmittelbar nachgesetzt hatte. Er stach ihr - wiederum mit Tötungsabsicht - mit voller Wucht das Messer von hinten im Bereich der rechten Schulter in den Rücken. An der hierdurch verursachten schweren Verletzung starb         K.    kurze Zeit später. Der Angeklagte rief die Polizei und stellte sich, wobei er die Tat sogleich zugab.

72. Nach Auffassung des Landgerichts hat der alkoholisierte, jedoch voll schuldfähige Angeklagte (maximal 2,1 Promille Blutalkoholkonzentration) zwar objektiv heimtückisch gehandelt. Es hat sich aber nicht davon zu überzeugen vermocht, dass er sich bei seinem Angriff auf das Leben seines Opfers des Umstandes bewusst war, dass er es überraschte und seine Überraschung zur Überwindung der Gegenwehr ausnutzte.

II.

8Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Revision zu Recht die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke.

91. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung bei Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist dabei, dass der Täter das sich keines erheblichen Angriffs versehende, mithin arglose Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und es dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Auch ein offen feindseliger Angriff kann heimtückisch sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verbleibt (st. Rspr., vgl. nur , NStZ-RR 2018, 45 mwN).

10Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff auf Leib und Leben schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. nur , NStZ 2019, 520). Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter zur Tatzeit auf der Hand liegt (vgl. , NStZ 2019, 26). Das gilt in objektiv klaren Fällen selbst dann, wenn der Täter die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. aaO mwN). Bei erhaltener Fähigkeit zur Unrechtseinsicht ist auch die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, aaO mwN). Anders kann es zwar bei heftigen Gemütsbewegungen liegen, jedoch sprechen auch eine Spontaneität des Tatentschlusses sowie eine affektive Erregung des Angeklagten nicht zwingend gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Maßgeblich sind die in der Tatsituation bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen Zustands des Täters auf seine Erkenntnisfähigkeit (BGH, aaO mwN). Bei der Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Frage (vgl. BGH, aaO mwN).

112. Auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabes erweist sich die Ablehnung des Ausnutzungsbewusstseins als rechtsfehlerhaft. Die zugrundeliegende Würdigung weist Lücken auf und wird deshalb dem genannten Maßstab nur teilweise gerecht.

12a) Das Landgericht hat folgende Gründe zur Ablehnung des Ausnutzungsbewusstseins angeführt: Der zu affektivem Verhalten neigende und nur eingeschränkt zur Impulskontrolle fähige Angeklagte sei emotional aufgewühlt und aufs Äußerste frustriert sowie alkoholisiert gewesen. Er habe sich Beleidigungen und Vorhalten des Tatopfers ausgesetzt gesehen. Unter Alkoholeinfluss baue er ein starkes Aggressionspotential auf und sei dann zu vernünftigen Problemlösungen nicht mehr in der Lage. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass der stets fahrige Angeklagte sich des Umstandes, sein Opfer durch einen Angriff mit dem Messer zu überraschen und seine Abwehr dadurch zu beeinträchtigen, nicht bewusst gewesen sei. Tatgrund sei allein ein von ihm bilanziertes, rein subjektives „Jetzt reicht es“ und kein objektives „Die Gelegenheit passt“ gewesen. Die Tatsituation sei auch nicht so eindeutig, dass die Annahme des Ausnutzungsbewusstseins „zwingend“ erscheine. Zudem sei der Angeklagte ohne Tötungsgedanken in das Gespräch gegangen.

13b) Damit hat die Strafkammer ganz wesentlich auf Punkte abgestellt, die das Hemmungsvermögen des Angeklagten betreffen, ohne darzulegen, weshalb diese unmittelbare Auswirkungen auf seine Fähigkeit gehabt haben sollen, die Tatsituation realistisch einzuschätzen. Dies versteht sich bei einem einfach gelagerten Geschehen wie dem vorliegenden auch nicht von allein. Nicht einmal der Angeklagte selbst hat angegeben, er sei sich nicht bewusst gewesen, sein Opfer mit dem Messerangriff zu überraschen, obwohl er ansonsten die Tatumstände detailliert und umfassend dargelegt hat. Die Ausführungen des Sachverständigen zu etwaigen psychischen Einschränkungen des Angeklagten bei der Tatbegehung enthalten auch keine Hinweise auf tat-relevante Defizite bei der Wahrnehmung oder Einschätzung der Tatsituation. Vor diesem Hintergrund hätte die Strafkammer näher darlegen müssen, weshalb trotz erhaltener Unrechtseinsicht ausnahmsweise die Fähigkeit des Angeklagten beeinträchtigt war, die übersichtliche Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für sein Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen.

143. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils einschließlich der Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum objektiven Tatgeschehen, die rechtsfehlerfrei getroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).

III.

15Die Revision des Angeklagten führt zu seinen Gunsten zur Aufhebung des Strafausspruchs und ist im Übrigen unbegründet.

16Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass er sein Ziel energisch verfolgt habe, indem er nach den ersten beiden Stichen seinem Opfer nachgerannt sei und ihm den tödlichen dritten Stich versetzt habe. Damit lastet die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten entgegen § 46 Abs. 3 StGB an, dass er die Tat überhaupt vollendet hat und nicht vom Tötungsversuch zurückgetreten ist (vgl. , mwN). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten bei der Strafzumessung ausgewirkt hat.

17Soweit im angefochtenen Urteil nicht mitgeteilt wird, ob und gegebenenfalls wann die Verurteilung vom (Bewährungsstrafe von sechs Monaten) rechtskräftig geworden ist, wird dies in der neuen Entscheidung nachzuholen sein.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:091019U5STR299.19.0

Fundstelle(n):
TAAAH-50629