BGH Beschluss v. - 4 StR 253/23

Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 1 Ks 24/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

3Die seit 1992 bestehende Ehe zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau     H.    , dem späteren Tatopfer, geriet mit Beginn der Corona-Pandemie in eine (erneute) Krise. Im Jahr 2022 kam es zwischen den Eheleuten zu mehreren gewalttätigen Auseinandersetzungen, die Polizeieinsätze nach sich zogen.     H.    fühlte sich nach dem Auszug der gemeinsamen Kinder einsam, begann mit dem Konsum erheblicher Mengen Alkohol und nahm schließlich eine intime Beziehung zu einem Nachbarn auf. Wenige Tage vor der Tat erlangte der Angeklagte Kenntnis von dieser Beziehung und reagierte eifersüchtig und gekränkt; am „schubste“ er seine Ehefrau und drohte, sie zu töten. Diese Drohung nahm seine Ehefrau nicht ernst; nach einer erneuten Auseinandersetzung flüchtete sie jedoch zu ihrem Freund und hielt sich in den Folgetagen dort auf.

4Am Tattag, dem , rief der bereits erheblich alkoholisierte Angeklagte um kurz vor neun Uhr den Nachbarn an und wollte seine Ehefrau sprechen. Der Inhalt des kurzen fernmündlichen Gesprächs zwischen dem Angeklagten und     H.     konnte nicht geklärt werden. Jedenfalls kündigte     H.     dem Angeklagten ihr Kommen an.

5„Spätestens nach dem Telefonat“ entschloss sich der über die außereheliche Beziehung verärgerte und „stark gekränkte“ Angeklagte, seine Ehefrau zu töten. In Umsetzung dieses Tatentschlusses lauerte er ihr mit einem Küchenmesser in der Hand im Eingangsbereich des Wohnhauses hinter der Haustür auf.

6    H.   , die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls erheblich alkoholisiert war, betrat etwa zehn Minuten nach dem Telefonat das Haus. Trotz vorangegangener körperlicher Auseinandersetzungen rechnete sie dabei nicht mit einem erheblichen Angriff auf ihre körperliche Unversehrtheit oder ihr Leben. Dies nutzte der Angeklagte bewusst zur Tatbegehung aus und stach unvermittelt mit einem Küchenmesser mit längerer Klinge auf sie ein. Dabei fügte er ihr „schon zu diesem Zeitpunkt […] mit dem Leben unvereinbare Verletzungen zumindest an der Hals- und Rumpfrückseite zu“.     H.     wehrte sich vergeblich und fiel zu Boden. „Nach etwa zwei Minuten“ unterbrach der Angeklagte seinen Angriff, verließ das Wohnhaus über den Hintereingang mit dem Tatmesser und versteckte es. Kurze Zeit später kehrte er zurück, begab sich in die Küche, ergriff dort ein Fleischermesser mit einer rund 18 Zentimeter langen Klinge und stach weiter auf das am Boden liegende Tatopfer ein. Abschließend stieß er     H.     das Messer in die Brust und ließ es dort stecken. Insgesamt fügte er ihr 36 Schnitt- und Stichverletzungen zu, an denen sie „binnen kürzester Zeit am Tatort durch Verbluten und Bluteinatmung“ verstarb. Anschließend verständigte er die Polizei.

7Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte „aus einem Hinterhalt“ auf sein Tatopfer einstach und es daher heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB tötete.

II.

8Der Schuldspruch wegen Heimtückemordes hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

91. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, das bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 10 ff.; Urteil vom – 4 StR 337/20 Rn. 12 mwN). Handelt es sich um ein mehraktiges Tatgeschehen, bei welchem dem Tatopfer die todesursächliche Verletzungsfolge nicht mit dem ersten Angriff, sondern durch einen späteren Teilakt beigebracht wird, kommt es grundsätzlich darauf an, ob das Gesamtgeschehen als eine natürliche Handlungseinheit zu bewerten ist und deshalb eine Tat im Rechtssinne vorliegt. Dies ist der Fall, wenn zwischen einer Mehrheit gleichgearteter, strafrechtlich erheblicher Betätigungen ein derart unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind (vgl. ‒ 4 StR 100/21 Rn. 9; Beschluss vom ‒ 5 StR 480/18 Rn. 5; Urteil vom ‒ 4 StR 326/04 Rn. 11). Unabhängig hiervon kann ein Heimtückemord gleichwohl ausscheiden, wenn der Täter im ersten Handlungskomplex bereits zurückgetreten war (vgl. ‒ 3 StR 402/16 Rn. 5 ff.).

102. Gemessen hieran tragen die tatgerichtlichen Feststellungen die Annahme eines Heimtückemordes weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht.

11a) Die tatgerichtliche Annahme, der Angeklagte habe seine Ehefrau schon im ersten Handlungsabschnitt tödlich verletzt, wird durch die Feststellungen und die angeführten Beweiserwägungen nicht belegt.

12aa) Die Feststellungen sind auf die Wiedergabe der tatgerichtlichen Wertung beschränkt, der Angeklagte habe seiner Ehefrau bereits zu diesem Zeitpunkt „mit dem Leben unvereinbare Verletzungen“ im Hals- und Rumpfbereich zugefügt. Auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden, welche konkreten Verletzungen der Angeklagte seiner Ehefrau in diesem ersten Handlungsabschnitt mit dem Tatwerkzeug ‒ einem Küchenmesser unbekannter Klingenlänge ‒ zugefügt hat. Sie sind vielmehr auf den zusammenfassenden Hinweis beschränkt, dass der Angeklagte seiner Ehefrau im Rahmen des festgestellten zweiaktigen Tatgeschehens insgesamt „36 Schnitt-/Stichverletzungen“ zugefügt hat. Tragfähige Hinweise auf das konkrete Verletzungsbild der dem Tatopfer im ersten Handlungsabschnitt zugefügten Verletzungen sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.

13bb) Ferner ist die tatgerichtliche Wertung, der Angeklagte habe seine Ehefrau bereits in diesem ersten Handlungsabschnitt tödlich verletzt, auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs beweiswürdigend nicht tragfähig unterlegt. Beweiserwägungen zu den Verletzungsfolgen oder zur Lage der dem Tatopfer im Einzelnen zugefügten Verletzungen fehlen. Zur Frage der Reihenfolge der Stichbeibringung verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Hinweise zum Obduktionsergebnis fehlen gänzlich. Das objektive Spurenbild findet nur im Hinblick auf die Auffindesituation des Tatopfers in der Nähe des Hauseingangs Erwähnung, aus der das Tatgericht den Schluss zieht, der Angeklagte habe es überrascht und unmittelbar angegriffen. Bei dieser Sachlage lässt sich schon nicht prüfen, ob es sich dabei um einen möglichen Schluss handelt. Weiterhin fehlt es an Beweiserwägungen zu – von der festgestellten Gegenwehr des Opfers nahegelegten – möglichen Abwehrverletzungen und ggf. zur Frage von deren Entstehungszeitpunkt im Rahmen des nur wenige Minuten dauernden, aber zweiaktigen Geschehens. Eine Beweiswürdigung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung eingeräumt hat, auf seine Ehefrau eingestochen zu haben. Nach der in die Urteilsgründe wörtlich und ‒ soweit ersichtlich ‒ vollständig aufgenommenen schriftlichen Verteidigererklärung, die das Schwurgericht hinsichtlich der Vorgeschichte (Streit um eine Bankkarte) und des unmittelbaren Tatvorgeschehens (Eskalation eines verbalen Streits) als unwahre Schutzbehauptung angesehen hat, hat sich der Angeklagte zu der oben genannten Beweisfrage nicht geäußert.

14cc) Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil auf den Feststellungs- und Darlegungsmängeln beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Hätte der Angeklagte seinem Opfer erst im zweiten Handlungsabschnitt ‒ nach Verlassen des Hauses und Verstecken des zuerst verwendeten Tatmessers, seiner Rückkehr und nach dem Ergreifen des zweiten Messers ‒ die zum Tod führenden Verletzungen beigebracht, wäre die Annahme einer Tat des vollendeten Heimtückemordes wie ausgeführt nur gerechtfertigt, wenn die beiden strafrechtlich relevanten Einzelakte bei wertender Betrachtung als natürliche Handlungseinheit anzusehen wären (vgl. ‒ 4 StR 100/21 Rn. 9 mwN) und der Angeklagte im ersten Handlungskomplex nicht zurückgetreten wäre (vgl. ‒ 3 StR 402/16 Rn. 5 ff.). Letzteres ist nach den lückenhaften Feststellungen auch zur subjektiven Tatseite und zum Vorstellungsbild des Angeklagten insbesondere im Zeitpunkt der Beendigung des ersten Angriffs auf seine Ehefrau ungeachtet des engen zeitlichen Zusammenhangs beider Angriffe nicht ausgeschlossen. Die Urteilsgründe verhalten sich nicht dazu, aus welchen Gründen der Angeklagte seinen Angriff unterbrochen, das Haus verlassen und das verwendete Tatmesser in der Umgebung des Hauses versteckt hat. Nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe bleibt offen, ob der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt die Vorstellung hegte, seine Ehefrau bereits tödlich verletzt zu haben; denn das Tatgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass der Angeklagte mit dem zweiten Angriff sichergehen wollte, den Todeserfolg herbeizuführen. Bei dieser Sachlage erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte seinen ursprünglichen Tatentschluss – zunächst – aufgegeben und von seinem noch unbeendeten Tötungsversuch Abstand genommen haben könnte. In einem solchen Fall könnte die Annahme eines vollendeten Heimtückemordes rücktrittsbedingt durchgreifend in Frage stehen; vielmehr kämen auch eine – ggf. in Tateinheit stehende – gefährliche Körperverletzung und ein Totschlag zum Nachteil des nicht mehr arg- und wehrlosen Opfers in Betracht (vgl. ‒ 3 StR 402/16 Rn. 5 ff.; s. auch zum fehlgeschlagenen Versuch ‒ 5 StR 480/18 Rn. 6; Urteil vom ‒ 4 StR 326/04 Rn. 11 ff.).

15b) Ferner ist das für das Mordmerkmal der Heimtücke erforderliche Ausnutzungsbewusstsein beweiswürdigend nicht tragfähig belegt.

16aa) In subjektiver Hinsicht setzt das Mordmerkmal der Heimtücke gemäß § 211 Abs. 2 StGB voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. Rn. 5 mwN; Urteil vom – 4 StR 403/20 Rn. 26). Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Tatgeschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (vgl. Rn. 14; Urteil vom – 5 StR 580/17 Rn. 24). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. Rn. 10; Urteil vom ‒ 4 StR 147/14 Rn. 7). An einem Ausnutzungsbewusstsein kann es aber bei affektiven Durchbrüchen oder heftigen Gemütsbewegungen ebenso fehlen wie bei einem zur Tatzeit erheblich alkoholisierten Täter (vgl. Rn. 8 mwN).

17bb) Gemessen hieran ist das heimtückespezifische Ausnutzungsbewusstsein nicht tragfähig belegt. Es fehlt an der erforderlichen Erörterung der für und gegen das Ausnutzungsbewusstsein sprechenden Beweisanzeichen. Es lag unter den gegebenen Umständen auch nicht ohne Weiteres auf der Hand. Denn der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 2,7 Promille erheblich alkoholisiert. Trotz festgestellter Trinkgewöhnung und des Umstands, dass er von einer leicht verwaschenen Sprache und einem unsicheren Gangbild abgesehen keine Ausfallerscheinungen zeigte, hätte dies angesichts des nach den Feststellungen womöglich spontan gefassten Tatentschlusses näherer Erörterung bedurft.

18Weiterhin hätte die psychische Verfassung des Angeklagten zur Tatzeit in den Blick genommen werden müssen. Die im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung niedergelegte tatgerichtliche Wertung, es fehle gänzlich an affektiven Auffälligkeiten, ist beweiswürdigend nicht belegt und versteht sich unter Berücksichtigung der Feststellungen zur Tatvorgeschichte nicht von selbst. Danach war das Verhältnis des Angeklagten zu seiner Ehefrau seit geraumer Zeit ambivalent, von Affektanspannungen begleitet und hatte sich durch die tatzeitnah bekannt gewordene außereheliche Beziehung weiter verschlechtert. Auch die Art der Tatausführung („Übertötung“), die im Rahmen der Schuldschwereprüfung schulderhöhend berücksichtigt worden ist, hätte zu einer näheren Erörterung der Frage des Ausnutzungsbewusstseins drängen müssen. Hieran fehlt es.

193. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

III.

20Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch die Schuldfähigkeitsfrage einer erneuten sorgfältigen Prüfung und eingehenden Begründung in den schriftlichen Urteilsgründen bedarf. Der im angegriffenen Urteil enthaltene Hinweis auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, demzufolge die Steuerungsfähigkeit des nüchtern nicht zu Gewalttätigkeiten neigenden Angeklagten „bestimmt ein bisschen“, aber nicht deutlich eingeschränkt gewesen sei, genügt den insoweit bestehenden Darlegungsanforderungen nicht. In Fällen, in denen sich das Tatgericht den Ausführungen des Sachverständigen anschließt, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Ausführungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur ‒ 4 StR 463/16 Rn. 13 mwN). Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird die festgestellten tat- und täterbezogenen Umstände („Übertötung“) einschließlich der Hinweise auf eine mögliche affektive Erregung umfassend in seine Gesamtwürdigung einzustellen haben; kommen mehrere Eingangsmerkmale in Betracht, dürfen sie auch nicht nur isoliert abgehandelt werden (vgl. Rn. 11; Beschluss vom – 4 StR 42/13 Rn. 12). Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird daher auch das Zusammenwirken von alkoholischer Beeinflussung und einer möglicherweise erheblichen affektiven Erregung des Angeklagten in den Blick zu nehmen haben.

21Ferner weist der Senat darauf hin, dass zu Lasten des Angeklagten herangezogene Indiztatsachen als solche zweifelsfrei feststehen müssen (vgl. Rn. 71; Sander in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 261 Rn. 78; jeweils mwN). Im Hinblick auf die Sonnenbrille des Opfers, die es laut dem angefochtenen Urteil – als Indiz für einen sofortigen Angriff nach dem Betreten des Hauses – bei der Tat „weiterhin auf dem Gesicht“ getragen habe, wird sich das neue Tatgericht daher auch mit der von der Revision aufgezeigten Möglichkeit auseinandersetzen zu haben, dass     H.    im Inneren des Hauses die Brille bereits in ihr Haar gesteckt haben und diese durch das Tatgeschehen in die vorgefundene (verrutschte) Position geraten sein könnte.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:180124B4STR253.23.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-59201