Leitsatz
1. Bei der
gerichtlichen Kontrolle von Prüfungsentscheidungen ist zwischen
Fachfragen und prüfungsspezifischen Wertungen zu unterscheiden.
a) In Bezug auf Fachfragen hat das Gericht aufgrund substantiierter
Einwendungen des Prüflings darüber zu befinden, ob die von einem
Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegenteil richtig oder jedenfalls
vertretbar sei. Fachfragen sind alle Fragen, die fachwissenschaftlicher
Erörterung zugänglich sind.
b) Bei komplexen prüfungsspezifische Bewertungen im Gesamtzusammenhang
des Prüfungsverfahrens ist den Prüfern ein Bewertungsspielraum zuzubilligen
welche sich nicht ohne weiteres in einem Gerichtsverfahren einzelner
Prüflinge isoliert nachvollziehen lassen. Zu solchen prüfungsspezifischen
Bewertungen gehören insbesondere die Gewichtung verschiedener Aufgaben
untereinander, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabenstellung
und die Würdigung der Qualität der Prüfungsleistung. Dabei ist auch
die Darstellung des Lösungsweges durch den Prüfling, ihre Systematik
und Folgerichtigkeit, ihre Prägnanz und dergleichen zu berücksichtigen.
c) Die Bewertung einer Prüfungsleistung kann sich nicht
darin erschöpfen, eine bloße Gegenüberstellung von Teilen der Musterlösung
und der Aufsichtsarbeitbearbeitung vorzunehmen oder Einzelpunkte
aus der Arbeit des Prüflings herauszusuchen und diese ohne Gewichtung
und Berücksichtigung der Art und Weise der Gesamtdarstellung gleichsam
zu addieren.
2. Es ist nicht zu beanstanden,
dass die Aufsichtsarbeiten zur Steuerberaterprüfung nicht anonym,
sondern mit Namensnennung der Prüflinge geschrieben und bewertet
werden. Insbesondere gebietet der aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitete
prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit kein Kennzahlensystem
für Prüfungsarbeiten.
3. Es ist nicht zu beanstanden,
wenn den Prüfern für die Bewertung der Aufsichtsarbeiten ein Bewertungsschema
zur Verfügung gestellt wird.
4. a) Das Überdenkungsverfahren
bezüglich der Aufsichtsarbeiten ist nicht darauf ausgerichtet, eine
vollständige Neubewertung der Prüfungsleistung vorzunehmen, sondern dient
der Auseinandersetzung mit den Einwendungen des Prüflings, wobei
anders als bei der gerichtlichen Überprüfung durch die Prüfer selbst
auch prüfungsspezifische Bewertungen überprüft werden können.
b) Die Durchführung des Überdenkungsverfahrens gemäß §
29 DVStB hat nicht unter Anwendung der Verfahrensvorschriften für
die Bewertung der Aufsichtsarbeiten gemäß § 24 DVStB zu erfolgen.
c) Es ist weder zu beanstanden, wenn sich die Prüfer im
Rahmen des Überdenkungsverfahrens abstimmen und eine abgestimmte
Stellungnahme abgeben, noch wenn sich bei Abgabe einer Stellungnahme
der Erstprüfer einer Äußerung des Zweitprüfers anschließt.
d) Es besteht kein Anlass, jegliche Äußerung der Prüfer
nach Abschluss des Überdenkungsverfahrens weiterhin als Fortsetzung
des Bewertungsvorgangs und damit als Fortsetzung des Überdenkungsverfahrens
anzusehen.
e) Es ist im Rahmen des Überdenkungsverfahrens nicht geboten,
dass sich die Prüfer hinsichtlich der Vergabe einzelner Punkte festlegen,
wenn sich diese Punkte nach Einschätzung der Prüfer nicht auf die
gegebene Note auswirken können.
f) Es ist den Prüfern nicht verwehrt, bei der Auseinandersetzung
mit den Einwendungen des Prüflings nicht nur den einzelnen vom Prüfling
angesprochenen Wertungspunkt in den Blick zu nehmen, sondern umfassender
zu prüfen, ob die Ausführungen des Prüflings zu ungünstig beurteilt
worden sind; dazu gehört auch die Prüfung, ob möglicherweise anstelle
eines zusätzlich zu gebenden Punktes an anderer Stelle - insbesondere
im inhaltlichen Zusammenhang der Aufgabenlösung - ein Punkt nicht
zu geben gewesen wäre. Beanstandungen hinsichtlich der Vergabe einzelner
Punkte sind nur insoweit von Bedeutung, als sich eine Auswirkung
auf die Benotung der Aufsichtsarbeit insgesamt ergibt.