Weigerung der Vorlage von Akten bei lediglich fachgesetzlichen Geheimhaltungsgründen
Leitsatz
1. Ein Richter ist nicht bereits deshalb von der Ausübung des Richteramts im Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen, weil er an einem Beweisbeschluss über die Aktenvorlage im zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren mitgewirkt hat.
2. Wird die Weigerung der Vorlage von Akten auf besondere gesetzliche Geheimhaltungsgründe im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO gestützt, so genügt es grundsätzlich nicht, dies mit Vorschriften zu begründen, die einen fachgesetzlichen Informationsanspruch ausschließen.
Gesetze: § 1 IFG, § 3 IFG, § 5 IFG, § 6 IFG, § 189 VwGO, § 54 VwGO, § 99 VwGO, § 41 Nr 6 ZPO
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 95 A 1.14 Beschlussvorgehend Az: 2 K 19.13
Gründe
I
1Der Kläger ist Journalist. Er begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren beim Verwaltungsgericht ... die Verpflichtung der Beklagten, ihm gemäß § 1 Abs. 1 IFG vollständige Einsicht in fünf Sonderprüfberichte der Zentralabteilung/Innenrevision des Deutschen Bundestages zu gewähren.
2Im Hauptsacheverfahren hat die Beklagte dem Verwaltungsgericht die streitgegenständlichen Sonderprüfberichte in teilgeschwärzter Form vorgelegt. Mit Beweisbeschlüssen vom (geändert durch Beschluss vom ) und vom hat das Verwaltungsgericht die Beklagte aufgefordert, in den Beschlussgründen im Einzelnen bezeichnete Teile und Seiten der Sonderprüfberichte ungeschwärzt vorzulegen.
3Die Beklagte hat mit Schreiben vom , (dort fehlende Anlage nachgereicht unter dem ) und Sperrerklärungen abgegeben.
4Auf den Antrag des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Verweigerung der Aktenvorlage festzustellen, hat das Verwaltungsgericht das Verfahren an den Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts ... zur Durchführung eines Zwischenverfahrens gemäß § 99 Abs. 2 VwGO abgegeben.
5Mit Beschluss vom hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Weigerung der Beklagten, die in den Beweisbeschlüssen des Verwaltungsgerichts bezeichneten Passagen der Sonderprüfberichte ungeschwärzt vorzulegen, rechtswidrig ist. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.
II
6Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
71. Der angefochtene Beschluss weist keine formalen oder Verfahrensfehler auf.
8a) Soweit sich der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts im Tenor auf "die in den Beschlüssen des Verwaltungsgerichts ... vom und jeweils unter Ziffer 3 bezeichneten Passagen" bezieht, ist unter Beiziehung der Beschlüsse des Verwaltungsgerichts eindeutig erkennbar, dass damit die jeweils unter Ziffer 3 der Gründe aufgelisteten Passagen gemeint sind.
9b) Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts war vorschriftsmäßig besetzt. Richter am Oberverwaltungsgericht H., der zuvor Mitglied der für das Hauptsacheverfahren zuständigen Kammer des Verwaltungsgerichts war und als solches an deren Beweisbeschlüssen vom und mitgewirkt hat, war nicht von der Mitwirkung an der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ausgeschlossen.
10Er hat nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 VwGO bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt. Gegenstand des Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO sind die Sperrerklärungen vom , und , mit denen die Beklagte die Vorlage der angeforderten Sonderprüfberichte verweigert hat. An der Erstellung dieser Sperrerklärungen hat Richter am Oberverwaltungsgericht H. nicht mitgewirkt.
11Richter am Oberverwaltungsgericht H. war auch nicht gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO ausgeschlossen. Weder ist die Mitwirkung an dem zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren eine Mitwirkung "in einem früheren Rechtszug" noch sind die Beweisbeschlüsse vom und die hier mit der Beschwerde "angefochtenen Entscheidungen" im Sinne dieses Ausschlussgrunds. Das zugrundeliegende Hauptsacheverfahren bildet im Verhältnis zum Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO auch insoweit kein vorinstanzliches Verfahren, als das Oberverwaltungsgericht als Vorfrage zu seiner Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Aktenvorlage ggf. zu prüfen befugt ist, ob das Gericht des Hauptsacheverfahrens bei der Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Akten von einer offensichtlich fehlerhaften Rechtsauffassung ausgegangen ist.
12Mit § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO hat der Gesetzgeber eine abschließende Regelung darüber getroffen, in welchen Fällen Richter aufgrund ihrer früheren Tätigkeit von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen sind (vgl. 5 PKH 6.09 - Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 8 Rn. 5). Auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet keine verfassungskonforme Auslegung dahin, dass ein Richter darüber hinaus in Fällen, in denen er ohne Beteiligung an der angefochtenen Entscheidung mit der Sache bereits befasst war, von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist (vgl. - NJW 2001, 3533 Rn. 10).
13Schließlich bestand gegen Richter am Oberverwaltungsgericht H. auch nicht die Besorgnis der Befangenheit (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 ZPO). Aus dem abschließenden Charakter von § 41 Nr. 6 ZPO folgt, dass der bloße Umstand einer von diesem Ausschlussgrund nicht erfassten Form der Vorbefassung eines Richters mit der Sache für sich genommen nicht geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen; vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, um in solchen Fällen die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, weil anderenfalls ein gesetzlich nicht vorgesehener Ausschließungsgrund geschaffen würde (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 5 PKH 6.09 - Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 8 Rn. 5 und vom - 8 B 58.12 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 74 Rn. 20). Verständiger Anlass zu einem aus einer Vorbefassung hergeleiteten Misstrauen eines Beteiligten gegen die Unparteilichkeit eines Richters besteht erst dann, wenn sich aufgrund dieser zusätzlichen Umstände der Eindruck einer unsachlichen, durch Voreingenommenheit oder gar Willkür geprägten Einstellung des Richters aufdrängt. Das Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom aus zutreffenden Erwägungen verneint, dass im Falle des Richters am Oberverwaltungsgericht H. solche Umstände vorliegen.
142. Der angefochtene Beschluss ist auch in der Sache nicht zu beanstanden.
15a) Das Oberverwaltungsgericht war nicht gehalten, den Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO bereits wegen Fehlern in den Beweisbeschlüssen des Verwaltungsgerichts abzulehnen.
16Aus der durch § 99 VwGO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen dem Fachsenat und dem Gericht der Hauptsache folgt, dass zunächst das zur Sachentscheidung berufene Hauptsachegericht zu prüfen und förmlich darüber zu befinden hat, ob und gegebenenfalls welche Informationen aus den Akten für eine Sachentscheidung erforderlich sind, bevor die oberste Aufsichtsbehörde über die Freigabe oder Verweigerung der in Rede stehenden Aktenteile befindet; hat das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit in einem Beschluss geprüft und bejaht, ist der Fachsenat grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden; eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236 Rn. 13 und vom - 20 F 9.13 - juris Rn. 8).
17Aus der Beschwerde ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht aufgrund einer offensichtlich fehlerhaften Rechtsauffassung Akten als entscheidungserheblich beurteilt hat. Soweit sich die Beklagte dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht bestimmte einzelne Seiten der Sonderprüfberichte nicht angefordert hat bzw. bestimmte einzelne Seiten angefordert hat, auf denen keine Schwärzungen von Firmennamen enthalten sind, stellt dies die Entscheidungserheblichkeit der hier gegenständlichen Unterlagen nicht in Frage; abgesehen davon ist nicht ersichtlich, inwiefern die Beklagte hierdurch beschwert ist. Auch soweit die Beklagte geltend macht, dass sich einzelne Schwärzungen auf angeforderten Seiten auf Namen beziehen, die sich auch auf nicht angeforderten Seiten befinden oder deren Offenlegung auf anderen Seiten nicht verlangt wird, folgt daraus für sich genommen kein Fehler in der Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit; wenn die Beklagte diese Namen für geheimhaltungsbedürftig hält, so betrifft dies die Frage, ob ein Weigerungsgrund hinsichtlich der Stellen vorliegt, auf denen das Verwaltungsgericht eine ungeschwärzte Aktenvorlage verlangt hat.
18b) Das Oberverwaltungsgericht hat zurecht das Vorliegen eines Weigerungsgrunds nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO verneint.
19Danach kann die Vorlage von Urkunden oder Akten verweigert werden, wenn die Vorgänge nach einem Gesetz geheim gehalten werden müssen. Nach der Rechtsprechung des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. insb. Beschluss vom - 20 F 21.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 64 Rn. 12 m.w.N.; ferner Troßbach, Öffentlichkeit und Geheimhaltung im Verwaltungsprozess, 2019, S. 93 ff., 145 f.) ist der Tatbestand der Geheimhaltung "nach einem Gesetz" nicht bereits dann gegeben, wenn eine gesetzlich angeordnete Pflicht zur Verschwiegenheit besteht. Der Begriff ist vielmehr eng auszulegen und betrifft nur wenige besondere Fälle. Ob ein besonderes gesetzlich geschütztes Geheimnis im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO vorliegt, orientiert sich nicht daran, ob nach den einschlägigen fachgesetzlichen Vorgaben zwischen allgemeinen und besonderen, bereichsspezifischen Verschwiegenheitspflichten unterschieden wird. Es genügt nicht, dass der Gesetzgeber über die allgemeine Verschwiegenheitspflicht hinaus nach materiell-rechtlichen Kriterien die Geheimhaltungsbedürftigkeit bestimmter Informationen normiert hat. Auch aus dem Umstand der Strafbewehrung gemäß § 203 StGB folgt kein Geheimhaltungsgrund im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO. Maßgeblich ist vielmehr der besondere Schutzzweck der Norm. Gesetzliche Geheimhaltungsgründe im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO dienen dem Schutz besonders sensibler Grundrechtsbereiche. Die Abgrenzung zur Tatbestandsalternative der wesensmäßigen Geheimhaltungsbedürftigkeit erhellt, dass es indes nicht genügt, dass eine Fallkonstellation grundrechtlicher Drittbetroffenheit vorliegt. Vielmehr muss es sich wie im Fall des Post- und Fernmelde-, des Sozial- oder des Steuergeheimnisses um grundrechtlich geschützte Lebensbereiche von hoher Bedeutung handeln, für die gilt, dass Einschränkungen an qualifizierte Anforderungen geknüpft sind und nicht weiter gehen dürfen als es zum Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Herausragende Bedeutung als institutionell verankerte Verschwiegenheitspflicht hat auch das einfachgesetzlich normierte Beratungsgeheimnis, das auf der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Unabhängigkeit der Richter in Art. 97 Abs. 1 GG beruht.
20Die Beklagte hat die Sperrerklärungen vom , und dezidiert auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO gestützt und mit den fachgesetzlichen Ausschlusstatbeständen des Informationsfreiheitsgesetzes, zum Teil in Verbindung mit Vorschriften des Datenschutz- und des Vergaberechts, begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass damit kein Geheimhaltungsgrund im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO dargelegt ist und die Regelungen in § 3 Nr. 2, 4 und 6, § 5 Abs. 1 und 2 sowie § 6 Satz 2 IFG weder in grundrechtlicher noch in verfassungsrechtlich-institutioneller Hinsicht den oben genannten besonders qualifizierten Fallgruppen vergleichbar sind. Die Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO rechtfertigen können, sind nach dem Gesagten von denjenigen Gründen zu unterscheiden, die im Verfahren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden, soweit die Aktenvorlage - wie hier - auch Gegenstand des Rechtsstreits selbst ist; da die Sperrerklärung als Erklärung des Prozessrechts auf die Prozesslage abgestimmt sein muss, in der sie abgegeben wird, genügt es grundsätzlich nicht, in ihr lediglich auf die die Sachentscheidung tragenden Gründe des - je nach Fachgesetz im Einzelnen normierten - Geheimnisschutzes zu verweisen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236 Rn. 19 und vom - 20 F 23.07 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 52 Rn. 8).
21c) Entgegen der Auffassung der Beklagten war der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts nicht verpflichtet, den Inhalt der Sperrerklärungen von Amts wegen als sinngemäße Geltendmachung des Weigerungsgrunds nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO (Vorgänge, die ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen) zu würdigen und auf diese Weise die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärungen soweit als möglich aufrechtzuerhalten.
22Der Fachsenat überprüft im Zwischenverfahren die Rechtmäßigkeit der Vorlageverweigerung anhand der Sperrerklärung in der Form, in der sie von der obersten Aufsichtsbehörde abgegeben worden ist. Die Beklagte hat sich im vorliegenden Fall unmissverständlich auf den Weigerungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO gestützt und diesen - ohne Erfolg - mit den fachgesetzlichen Ausschlusstatbeständen des Informationsfreiheitsgesetzes zu untermauern versucht. Die Abgabe der Sperrerklärung liegt in der Verantwortung der obersten Aufsichtsbehörde. Der Fachsenat kann deren Einschätzung und Ermessensausübung, nicht zuletzt aus Gründen der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative, nur kontrollieren, nicht aber ersetzen. Dies gilt auch für die Behebung von Mängeln der Sperrerklärung (vgl. 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 32).
23Der angefochtene Beschluss stellt auch keine das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 VwGO) verletzende Überraschungsentscheidung dar. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat sich bei seiner Entscheidung auf die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten Grundsätze in der Auslegung und Anwendung von § 99 Abs. 1 VwGO gestützt und keine Gesichtspunkte eingeführt, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht rechnen musste. Zutreffend hat es die Beklagte vielmehr auf die Möglichkeiten hingewiesen, dass ihren Schutzansprüchen über § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO und dem grundrechtlich fundierten Schutz von personenbezogenen Daten und Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen über § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO Rechnung getragen werden kann. Ebenso zutreffend ist der abschließende Hinweis des Oberverwaltungsgerichts, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärungen die Beklagte nicht hindert, eine neue Sperrerklärung abzugeben (stRspr, vgl. zuletzt 20 F 7.19 - juris Rn. 12 m.w.N.).
243. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:170320B20F3.18.0
Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 10 Nr. 21
NAAAH-48263