BGH Beschluss v. - I ZR 35/19

Grundsatz der Subsidiarität im Zivilprozess

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 32 UrhG, § 397 ZPO, § 402 ZPO, § 411 Abs 3 S 2 ZPO, § 543 Abs 2 S 1 ZPO

Instanzenzug: Az: I-20 U 166/17vorgehend Az: 12 O 210/14

Gründe

1I. Die Klägerin hat für zwei Kochbücher der Beklagten Fotoaufnahmen gefertigt und für drei ganztägige Fototermine jeweils ein Pauschalhonorar erhalten. Sie verlangt mit ihrer Klage eine Vertragsanpassung nach § 32 UrhG. Das Landgericht hat die Beklagte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens unter anderem zur Einwilligung in eine Vertragsanpassung verurteilt, nach welcher der Klägerin eine laufende Beteiligung in Höhe von 1% des Nettoverkaufspreises der beiden Kochbücher ab dem jeweils 10.001 Exemplar zu zahlen ist. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Mit der angestrebten Revision möchte die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgen.

2II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig (§ 544 Abs. 1 und 2 ZPO). Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen nicht durchgreifen und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

31. Die Zulassung der Revision ist nicht wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG oder des Anspruchs auf ein rechtsstaatliches Verfahren veranlasst. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt ohne Erfolg, das Berufungsurteil beruhe auf einer Verletzung dieser Verfahrensgrundrechte, weil das Berufungsgericht sein Urteil auf ein Sachverständigengutachten gestützt habe, obwohl der Sachverständige seine Befundtatsachen nicht angegeben habe.

4a) Zwar trifft es zu, dass beide Tatgerichte den Sachverständigen hätten dazu anhalten müssen, seine Rechercheergebnisse zu der Vergütungspraxis bei derartigen Buchprojekten darzulegen, damit diese insbesondere im Hinblick auf ihre Vergleichbarkeit mit den streitgegenständlichen Kochbüchern hätten überprüft werden können. Ein Sachverständiger muss die Befundtatsachen jedenfalls insoweit offenlegen, als er seine sachverständige Beurteilung hierauf stützt, damit diese von den Verfahrensbeteiligten nachvollzogen und hinterfragt werden kann (vgl. , juris Rn. 22; , BGHZ 116, 47, 58 [juris Rn. 32] - Amtsanzeiger; Beschluss vom - V ZB 128/11, NJW-RR 2011, 1459 Rn. 18; BeckOK.ZPO/Scheuch, 34. Edition [Stand: ], § 404a Rn. 10). Der Zugang der Parteien zu den Befundtatsachen, auf deren Feststellung ein Sachverständiger sein Gutachten gestützt hat, gehört zu den elementaren Verfahrensregeln, die das Rechtsstaatsprinzip in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gewährleistet (vgl. BVerfGE 91, 176, juris Rn. 18; [juris Rn. 3]; Beschluss vom - 1 BvR 776/14 [juris Rn. 22]). Im Streitfall hat der Sachverständige zu seinen bei Verlagen und Fotografen durchgeführten Befragungen keine näheren Angaben gemacht, so dass diese Befundtatsachen nicht überprüfbar waren. Damit hätte das Sachverständigengutachten als Urteilsgrundlage nicht herangezogen werden dürfen.

5b) Allerdings steht der Zulassung der Revision der Grundsatz der Subsidiarität entgegen, der nicht nur für die Verfassungsbeschwerde, sondern auch für die Nichtzulassungsbeschwerde gilt. Danach muss ein Beteiligter im Instanzenzug alle prozessual zulässigen und nicht offensichtlich aussichtslosen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Grundrechtsverletzung zu verhindern oder ihre Korrektur zu bewirken (vgl. , juris Rn. 7). Dies entspricht auch § 295 ZPO, wonach eine Partei einen Verfahrensverstoß nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Rüge nicht genutzt hat (, NJW-RR 2015, 1150 Rn. 7; Beschluss vom - VI ZR 81/17, NJW-RR 2018, 404 Rn. 8).

6Die Beklagte hätte hier zur Aufklärung der Befundtatsachen des Gutachtens die persönliche Anhörung des Sachverständigen gemäß §§ 402, 397 ZPO oder zumindest die weitere schriftliche Ergänzung des Gutachtens gemäß § 411 Abs. 3 Satz 2 ZPO beantragen können. Unabhängig von prozessualer Präklusion oder Verspätung darf das Berufungsgericht einen Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht zurückweisen, wenn die Anhörung bei pflichtgemäßer Ermessensausübung von Amts wegen durchzuführen ist (vgl. , VersR 1989, 378 [juris Rn. 7]; Urteil vom - VI ZR 234/90, VersR 1992, 722 [juris Rn. 11]; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl., § 411 Rn. 9a). Die Beklagte hat stattdessen nur den Umstand der fehlenden Offenbarung der befragten Verlage und Fotografen gerügt. Nachdem das Landgericht sich für seine Bemessung der angemessenen Vergütung maßgeblich auf die Beurteilung des Sachverständigen bezogen hatte, hätte die Beklagte spätestens in der Berufungsinstanz die mündliche Befragung des Sachverständigen zu seinen Beurteilungsgrundlagen beantragen können, um einen Grundrechtsverstoß durch das Berufungsgericht zu vermeiden. Bei der Beantragung der persönlichen Vernehmung des Sachverständigen handelt es sich um ein prozessual übliches Vorgehen derjenigen Partei, die dessen schriftliches Gutachten für ganz oder teilweise unrichtig oder unzureichend hält. Ein solches Vorgehen war auch nicht aussichtslos. Der Sachverständige hatte die Auskunft über die Befundtatsachen nicht verweigert, sondern diese Rüge lediglich übergangen.

7Der Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes steht nicht die aus § 411 Abs. 3 ZPO folgende Verpflichtung des Tatgerichts entgegen, den Sachverständigen bei Unklarheiten oder Zweifeln an seiner schriftlichen Begutachtung von Amts wegen zur mündlichen Erläuterung des Gutachtens zu laden (vgl. dazu: BGH, VersR 1992, 722; , NJW-RR 1998, 1527, 1528 [juris Rn. 8]; Huber in Musielak/Voit aaO § 411 Rn. 9a). Das Fragerecht der Parteien und die Verpflichtung des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts stehen nebeneinander (, NJW-RR 2011, 704 Rn. 9; Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 411 Rn. 16). Nach dem Grundsatz der Subsidiarität ist die betroffene Partei trotz der Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Gerichts zur Ergreifung aller prozessualen Möglichkeiten zur Vermeidung des Grundrechtsverstoßes gehalten. Eine Partei muss deshalb ihre Angriffe gegen das gerichtliche Vorgehen im Berufungsverfahren bereits so vortragen, dass ihre Prüfung in diesem Verfahren unabhängig davon gewährleistet ist, ob das Verfahren der Parteimaxime oder dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegt (vgl. [zu finanz- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren] BVerfGE 79, 174, 189 [juris Rn. 52]; BVerfG, BB 2016, 1186 Rn. 8). Dies ist im Streitfall unterblieben.

82. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

9III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:281119BIZR35.19.0

Fundstelle(n):
BAAAH-46929