BVerwG Beschluss v. - 2 B 25/19

Einreichung der Berufungsbegründung im Disziplinargerichtsverfahren beim Berufungsgericht; unzureichende Beschwerdebegründung bei mehrfacher selbstständig tragender Begründung des Berufungsurteils

Gesetze: § 64 Abs 1 S 2 DG NW

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 3d A 4888/18.O Urteilvorgehend Az: 13 K 7112/17.O

Gründe

11. Der ... geborene Beklagte ist Polizeihauptkommissar im Landesdienst. Er wurde im Jahr 2015 durch amtsgerichtliches Urteil wegen Zugänglichmachens kinderpornografischer Schriften und Besitzes jugendpornografischer Schriften zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Auf seine Berufung hin hob das Landgericht im Jahr 2017 die erstinstanzliche Entscheidung auf und verurteilte den Beklagten wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften in Tateinheit mit dem Besitz jugendpornografischer Schriften zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von neun Monaten. Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. In der Rechtsmittelbelehrung ist u.a. ausgeführt, dass die Berufung bei dem Verwaltungsgericht einzulegen und zu begründen ist.

2Gegen das ihm am zugestellte Urteil hat der Beklagte am beim Verwaltungsgericht Berufung eingelegt. Mit Verfügung vom hat der Senatsvorsitzende des Oberverwaltungsgerichts die Frist zur Berufungsbegründung bis zum Ablauf des verlängert; ergänzend wurde auf die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil und auf § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW aufmerksam gemacht. Am (nach Dienstschluss) ging die Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht ein.

3Das Oberverwaltungsgericht (vgl. DVBl. 2019, 1011) hat die Berufung als unzulässig verworfen. Die Berufung sei unzulässig, weil die Berufungsbegründung innerhalb der Begründungsfrist entgegen der Vorgabe in § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW nicht beim Verwaltungsgericht, sondern stattdessen beim Oberverwaltungsgericht eingegangen sei. Der Gesetzeswortlaut sei eindeutig und lasse keine Auslegung dahingehend zu, dass allein die Einlegung, nicht aber die Begründung beim Verwaltungsgericht erfolgen müsse. Eine Möglichkeit, die Berufung fristwahrend auch beim Oberverwaltungsgericht einzulegen oder zu begründen, habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Dies gelte auch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts. Die im Streitfall erfolgte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ändere hieran nichts; auch für diesen Fall sei keine Ausnahme vorgesehen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei ebenfalls nicht zu gewähren. Die Fristversäumnis sei verschuldet, zumal es keine einheitliche Rechtsprechung dahingehend gebe, dass die Berufungsbegründung im Falle einer Fristverlängerung durch den Senatsvorsitzenden des Oberverwaltungsgerichts statt beim Verwaltungsgericht beim Oberverwaltungsgericht eingelegt werden könne; vielmehr sei nach gefestigter Senatsrechtsprechung die Berufungsbegründung auch in einem solchen Fall beim Verwaltungsgericht einzureichen. Ungeachtet ihrer Unzulässigkeit sei die Berufung auch unbegründet. Das Verwaltungsgericht habe den Beklagten zu Recht wegen eines schweren Dienstvergehens aus dem Beamtenverhältnis entfernt.

42. Die allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage, ob eine fristgerechte Übersendung der Berufungsbegründung auch an das Berufungsgericht rechtswirksam möglich sei, gestützte Beschwerde ist unbegründet.

5Bei einem Berufungsurteil, das auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt ist, ist eine Zulassung der Revision nur dann möglich, wenn die Beschwerde hinsichtlich jeder der selbstständig tragenden Begründungen einen durchgreifenden Revisionszulassungsgrund vorträgt (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 1 B 92.90 - Buchholz 11 Art. 116 GG Nr. 20 S. 11 f., vom - 2 B 66.15 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 62 Rn. 6 und vom - 2 B 51.16 - Buchholz 235.1 § 64 BDG Nr. 3 Rn. 7).

6Im vorliegenden Fall hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen und sie zugleich - selbstständig tragend, nicht lediglich als ergänzenden Hinweis - als unbegründet angesehen. Deshalb hätte die Beschwerde die Ausführungen zur Begründetheit in den Blick nehmen und auch insoweit einen Revisionszulassungsgrund vortragen müssen. Dies gilt ungeachtet dessen, ob es verfahrensfehlerfrei ist, eine Klage als unzulässig und außerdem als unbegründet abzuweisen (vgl. hierzu 6 B 133.18 - NVwZ 2019, 649 Rn. 20 ff.).

7Deshalb kann die Beschwerde keinen Erfolg haben, ohne dass es einer Prüfung bedarf, ob für die Beantwortung der als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Frage die Durchführung eines Revisionsverfahrens nötig ist und wie diese Frage zu beantworten ist. Ausnahmsweise sieht sich der Senat gleichwohl zu folgenden Anmerkungen veranlasst:

8Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass auch nach einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Senatsvorsitzenden beim Oberverwaltungsgericht die Berufungsbegründung nur beim Verwaltungsgericht, nicht aber beim Berufungsgericht eingelegt werden könne. Dies ist unzutreffend; Stand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das Gegenteil (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 66.10 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 15 Rn. 7 ff. und vom - 2 B 51.16 - Buchholz 235.1 § 64 BDG Nr. 3 Rn. 13). Danach sprechen an Systematik und Normzweck der Regelungen orientierte prozessökonomische Erwägungen für die ausnahmsweise gegebene Möglichkeit der fristwahrenden Einreichung der Berufungsbegründung auch beim Oberverwaltungsgericht in dem Fall, dass der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats die Berufungsbegründungsfrist verlängert hat.

9Rechtsfehler der Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis sind hingegen nicht erkennbar.

104. Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 LDG NRW, § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben werden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:220719B2B25.19.0

Fundstelle(n):
ZAAAH-44442