BVerwG Beschluss v. - 2 B 27/19

Ungenehmigte Nebentätigkeit während Zeiten des Krankenstands und der Wiedereingliederung

Gesetze: § 67 DG NW, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 2 VwGO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 3d A 2931/18.O Urteilvorgehend Az: 13 K 6611/17.O

Gründe

1Die auf grundsätzliche Bedeutung und Divergenz (§ 67 LDG NRW und § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde der Beklagten ist unbegründet.

21. Die 1982 geborene Beklagte steht seit 2001 im Polizeidienst des klagenden Landes, seit März 2014 im Amt einer Polizeikommissarin. Im Oktober 2013 beantragte die Beklagte bei ihrem Dienstherrn die Genehmigung einer ehrenamtlichen und unentgeltlichen Nebentätigkeit als Rettungshelferin beim ... im zeitlichen Umfang von monatlich 24 Stunden. Im November 2013 bestätigte der Dienstherr ihr den Eingang der Anzeige und teilte ihr mit, dass die Tätigkeit die Voraussetzungen für eine allgemeine Genehmigung erfüllten und es daher keiner Genehmigung im Einzelfall bedürfe. Zugleich wies er die Beklagte u.a. darauf hin, dass sie Veränderungen in Art, Umfang und Vergütung der Tätigkeit oder gleichartiger Tätigkeiten unverzüglich mitzuteilen habe. Daraufhin zeigte die Beklagte dem Dienstherrn im März 2014 folgende Änderung an:

"Änderung der genehmigten Nebentätigkeit

Nebentätigkeit wird ausgeübt als Rettungshelferin bei der Firma F. ...

Bitte darum dies mit aufzunehmen."

3Der Dienstherr teilte der Beklagten mit, dass die Nebentätigkeit die Voraussetzungen der allgemeinen Genehmigung erfüllten und der Wechsel des Arbeitgebers zur Kenntnis genommen worden sei.

4In den Zeiträumen

- vom 7. bis zum ,

- vom 9. bis zum ,

- vom 6. bis zum ,

- vom bis zum ,

- vom 6. bis zum ,

- vom 20. bis zum ,

- vom 16. bis zum und

- vom 1. Juni bis zum

war die Beklagte erkrankt. Anschließend hatte sie bis zum Urlaub. Vom bis betrug ihre Dienstzeit als Polizeibeamtin entsprechend den Vorgaben des ärztlichen Wiedereingliederungsplans arbeitstäglich zunächst vier, sodann fünf und schließlich sechs Stunden, wobei sie in der Zeit bis keinen Nachtdienst leisten sollte.

5Von März 2014 bis Februar 2016 arbeitete die Beklagte nebenberuflich im monatlichen Umfang zwischen 22 und 52 Stunden bei der Firma F. ... aufgrund eines Aushilfsarbeitsvertrags für geringfügig Beschäftigte gegen Entgelt. Darüber hinaus half sie in der Zeit zwischen dem 6. Juli und bei dem A. ... ehrenamtlich in der Flüchtlingsunterkunft in M. bei der Betreuung von Flüchtlingen. Im Juli 2015 war sie dabei nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wie folgt tätig:

- 6:00 Uhr bis 16:00 Uhr

- 6:00 Uhr bis 14:00 Uhr

- 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr

- 22:00 Uhr bis ...

- 6:00 Uhr, 12:00 Uhr bis 22:00 Uhr

- 22:00 Uhr bis ...

- 6:00 Uhr

- 9:00 Uhr bis 21:00 Uhr

- 6:00 Uhr bis 14:00 Uhr

- 6:00 Uhr bis 14:00 Uhr

- 6.00 Uhr bis 22:00 Uhr

- 6.00 Uhr bis 15:00 Uhr.

6Außerdem war die Beklagte vom 28. August bis in der Flüchtlingsunterkunft M. als Sicherheitskraft der H. ... entgeltlich tätig. Zu den Aufgaben der Beklagten gehörten dabei u.a. das Führen des Wachbuches und das Kontrollieren von Türen auf Verschluss.

7Auf die Disziplinarklage des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Beklagte aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die Beklagte habe sich eines schweren einheitlichen Dienstvergehens schuldig gemacht. Zum einen habe sie es unterlassen, eine mehrmonatige ehrenamtliche Tätigkeit sowie nachfolgend andere entgeltliche Tätigkeiten dem Dienstherrn anzuzeigen oder vollständig anzuzeigen. Zum anderen habe sie diese Tätigkeiten in Krankheits- und Wiedereingliederungszeiten ausgeübt, sodass der Genesungsprozess beeinträchtigt worden sei. Dabei habe die Beklagte vorsätzlich gehandelt. Aus ihrer Kenntnis als langjährige erfahrene Polizeibeamtin habe sie gewusst, dass sie ihre Nebenbeschäftigungen in Zeiten der Dienstunfähigkeit nicht und in Zeiten der Wiedereingliederung nicht in dem in Rede stehenden Umfang hätte ausüben dürfen.

82. Die Sache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 67 Satz 1 LDG NRW, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

9Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

10Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,

"Ist die angenommene langjährige Dienstzeit allein ein tragfähiger Grund, um auf eine vorsätzliche Dienstpflichtverletzung aufgrund von Kenntnissen des Nebentätigkeitsrechts zu schließen?"

rechtfertigt es nicht, ein Revisionsverfahren durchzuführen. Denn die Frage lässt sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Form beantworten.

11In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass für die disziplinare Ahndung ungenehmigter Nebentätigkeiten wegen der Vielfalt der möglichen Pflichtverstöße grundsätzlich der gesamte disziplinarrechtliche Maßnahmenkatalog zur Verfügung steht. Es kommt auf Dauer, Häufigkeit und Umfang der Nebentätigkeiten an. Weiterhin muss berücksichtigt werden, ob der Ausübung der Nebentätigkeiten gesetzliche Versagungsgründe entgegenstanden, d.h. ob die Betätigungen auch materiell rechtswidrig waren und ob sich das Verhalten des Beamten nachteilig auf die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben ausgewirkt hat. Erschwerend wirkt sich aus, wenn ein Beamter ungenehmigte Nebentätigkeiten in Zeiten der Krankschreibung wahrgenommen hat ( 1 D 63.89 - BVerwGE 86, 370 <376 ff.>, vom - 1 D 49.97 - BVerwGE 113, 337 <338> und vom - 1 D 16.05 - juris Rn. 59; Beschlüsse vom - 2 B 27.12 - DokBer 2014, 39 Rn. 7 und vom - 2 B 4.18 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 59 Rn. 20).

12Darüber hinaus ist geklärt, dass der Beamte, der während der Krankschreibung Nebentätigkeiten ausübt, gegen die Pflicht zum vollen beruflichen Einsatz verstößt, wenn die Nebentätigkeit nach Art und Umfang generell geeignet ist, die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit zumindest zu verzögern. Eines konkreten medizinischen Nachweises bedarf es nicht (stRspr, 1 D 2.91 -, vom - 1 D 49.97 - BVerwGE 113, 337 <338> und vom - 1 D 60.00 - sowie Beschluss vom - 2 B 27.12 - DokBer 2014, 27 Rn. 8, jeweils m.w.N.). Ob und wann eine Dienstpflichtverletzung infolge der Ausübung unvollständig angezeigter und ungenehmigter Nebenbeschäftigungen vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden ist, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls. Sie entzieht sich einer grundsätzlichen Klärung in verallgemeinerungsfähiger Form.

13Soweit die Beschwerde der Sache nach die Würdigung des Berufungsgerichts rügt, dass die Beklagte bei ihren unvollständigen Angaben zu Umfang und Entgeltlichkeit der im Einzelnen verrichteten Nebentätigkeiten - auch während Zeiten ihrer Dienstunfähigkeit und Wiedereingliederung - vorsätzlich gehandelt hat, kann sie auch damit nicht durchdringen. Ein Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist - wenn er denn vorläge - revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen (BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f., vom - 8 B 98.96 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 270 S. 31, vom - 8 B 94.11 - juris Rn. 2 f., vom - 2 B 123.11 - juris Rn. 18 und vom - 2 B 15.12 - juris Rn. 7). Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist aufgrund des § 137 Abs. 2 VwGO revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob Beweiswürdigungsgrundsätze wie etwa Auslegungsregeln, Denkgesetze und allgemein Erfahrungssätze verletzt sind (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 122.07 - ZBR 2008, 257 <260>, vom - 9 B 88.11 - juris Rn. 3 und vom - 2 B 15.12 - juris Rn. 7).

14Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das angefochtene Urteil derartige Mängel aufweist. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nur vor, wenn eine Schlussfolgerung aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Beklagte als langjährig erfahrene Polizeibeamtin wusste, dass sie ihre Nebenbeschäftigungen in Zeiten der Dienstunfähigkeit und der Wiedereingliederung nicht oder nicht in dem konkret stattgehabten Umfang hätte ausüben dürfen, trägt in diesem Sinne seine Schlussfolgerung, dass die Beklagte vorsätzlich gehandelt hat. Diese Annahme widerspricht weder der Logik noch einem gemachten allgemeinen Erfahrungssatz. Sie wird auch nicht durch die Ausführungen der Beschwerde zum Attest des Internisten F. vom (Bl. 63 VG-Akte) entkräftet, wonach eine sitzende Tätigkeit der Beklagten in einer Flüchtlingsunterkunft zur Wahrnehmung des Telefondienstes für den Heilungsprozess nicht kontraproduktiv gewesen sei. Denn dem Arzt sind bei Abfassung dieses Attestes nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme des Berufungsgerichts (Bl. 124 f. OVG-Akte) die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten der Beklagten in der Flüchtlingsunterkunft - u.a. zwölfstündige Nachtdienste, Wachdienste, Schließdienste - nicht bekannt gewesen.

153. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 67 Satz 1 LDG NRW, § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

16Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht oder ein anderes divergenzfähiges Gericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom - 2 B 133.11 - NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 5). Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder ein anderes divergenzfähiges Gericht aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht. Die Entscheidungen müssen dasselbe Gesetz und dieselbe Fassung des Gesetzes zum Gegenstand haben (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55 und vom - 2 B 107.13 - NVwZ 2014, 1174 Rn. 3 ff. m.w.N.).

17Eine Divergenz in diesem Sinne ist von der Beschwerde nicht dargetan. Das Berufungsurteil weicht - entgegen den Ausführungen der Beschwerde - nicht von dem - (NVwZ 2003, 1504) zur Verletzung des Schuldprinzips durch Aberkennung des Ruhegehalts wegen ungenehmigter Nebentätigkeit ab. Dass das dort angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen aufgrund der Verfassungsbeschwerde aufgehoben wurde, beruhte - vom vorliegenden Sachverhalt abweichend - darauf, dass eine Ausübung der Nebentätigkeit während krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit von der Tatsacheninstanz gerade nicht festgestellt worden war. Beanstandet worden ist damit nicht der grundsätzliche Rechtssatz, dass es eines konkreten Nachweises der Beeinträchtigung des Gesundungsprozesses nicht bedürfe. Fehlerhaft war nur die Annahme des Gerichts, dass von einem hierzu erforderlichen Verstoß gegen die Gesunderhaltungspflicht ausgegangen werden könne. Die insoweit vom Oberverwaltungsgericht ergänzend getroffenen Tatsachenfeststellungen konnten wegen der Beschränkung des Rechtsmittelverfahrens auf das Disziplinarmaß nicht berücksichtigt werden ( - NVwZ 2003, 1504, <1505>).

18Im Fall der Beklagten liegt der die Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme rechtfertigende Umstand gerade darin, dass sie bewusst und gewollt während der vom Berufungsgericht festgestellten Zeiten ihrer Dienstunfähigkeit und Wiedereingliederung monatlich jeweils in zeitlich erheblichem Umfang entgeltlichen und ehrenamtlichen Nebenbeschäftigungen nachgegangen ist, die dem Dienstherrn zudem teilweise unbekannt gewesen sind. Dadurch hat sie - auch bezogen auf den allein seit konkret in Rede stehenden Zeitraum von mehr als vier Monaten - in ihrer beamtenrechtlichen Kernpflicht zur Gesunderhaltung schwerwiegend versagt (vgl. 1 D 49.97 - BVerwGE 113, 337 <338>, vom - 1 D 60.00 - juris Rn. 19 f., 27 und vom - 2 A 2.12 - BVerwGE 147, 127 Rn. 17 f. sowie Beschluss vom - 2 B 30.08 - juris Rn. 7).

194. Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 LDG NRW, § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben werden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:290120B2B27.19.0

Fundstelle(n):
RAAAH-44180