BGH Beschluss v. - 2 StR 155/19

Nebenklage im Strafverfahren: Wirksamkeit der Anschlusserklärung eines Betreuers zur Wahrnehmung der höchstpersönlichen Rechte des Betreuten als Verletzter der Straftat

Gesetze: § 395 Abs 1 Nr 4 StPO, § 396 Abs 1 S 1 StPO, § 396 Abs 2 StPO, § 1986 Abs 1 S 1 BGB, § 1986 Abs 2 S 1 BGB, § 1902 BGB, Art 101 Abs 1 GG, § 239a StGB

Instanzenzug: LG Gießen Az: 2 KLs Ss 86/19

Gründe

1Der Angeklagte ist durch vom Vorwurf des erpresserischen Menschenraubes zum Nachteil von     W.   aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Das dagegen von Rechtsanwältin L.        als Nebenklägervertreterin eingelegte Rechtsmittel ist unzulässig. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:

„Der entführte         W.   ist durch die verfahrensgegenständliche, rechtswidrige Tat nach § 239a Abs. 1 StGB verletzt und deshalb gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO dazu befugt, sich der öffentlichen Klage mit der Nebenklage anzuschließen. Die für ihn von Rechtsanwältin L.        am schriftlich bei dem Landgericht eingereichte Anschlusserklärung war indes wegen fehlender Vertretungsmacht unwirksam. Denn Rechtsanwältin L.       handelte dabei im Auftrag und mit Vollmacht seiner Mutter, C.    W.   (vgl. Bl. 1394 ff., 1410 ff. d.A. Bd. V). Diese ist zwar ausweislich des Beschlusses des Amtsgerichts – Betreuungsgericht – Alsfeld vom zur Betreuerin ihres am geborenen (vgl. Bl. 11 UA), mithin volljährigen Sohnes bestellt (vgl. auch Bl. 12 UA). Ihr Aufgabenkreis, innerhalb dessen sie gesetzlich zu seiner gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung berechtigt ist (§ 1902 BGB), umfasst aber lediglich die Bereiche Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge sowie die Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung (vgl. Bl. 1396 f., 1412 f. d.A. Bd. V). Die Wahrnehmung seiner höchstpersönlichen Rechte als Verletzter einer Straftat in einem Strafverfahren fällt unter keinen dieser Aufgabenbereiche, sondern bedarf grundsätzlich einer gesonderten Übertragung durch das Betreuungsgericht (vgl. zur Strafantragsbefugnis des Betreuers –, juris, Rn. 16 ff.; –, juris, Rn. 10 ff.; OLG Celle, Beschluss vom – 32 Ss 8/12 –, juris, Rn. 3 ff.; –, juris, Rn. 7 ff.; offen gelassen von –, juris, Rn. 9 [= BGHSt 59, 278]). Etwas anderes kann beispielsweise dann gelten, wenn der Betreuer anlässlich der Aufdeckung einer bestimmten, zum Nachteil des Betreuten begangenen Straftat eigens bestellt und mit umfassenden vermögensrechtlichen und persönlichen Befugnissen ausgestattet wird und das Betreuungsgericht hiermit erkennbar bezweckt, ihm die Durchsetzung der dem Betreuten aus der Straftat erwachsenen Schadensersatzansprüche gerade auch mit den Mitteln des Strafverfahrensrechts zu ermöglichen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 9 f., 13 f.). Denn der das Betreuungsrecht beherrschende Grundsatz, dass ein Betreuer nur für solche Aufgabenbereiche bestellt werden darf, in denen die Betreuung – zur Überzeugung des zur Prüfung und Entscheidung berufenen Betreuungsgerichts – erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 BGB), gebietet bei einer solchen Fallgestaltung ausnahmsweise nicht die ausdrückliche Übertragung (auch) des Aufgabenbereichs „Vertretung in Strafverfahren“ (vgl. BGH, a.a.O.). Für einen derartigen Ausnahmefall ist hier allerdings nichts ersichtlich. Nach den Urteilsfeststellungen ist C.   W.   vielmehr bereits „seit vielen Jahren als gesetzliche Betreuerin eingesetzt“ (vgl. Bl. 12 UA). Durch den bei den Akten befindlichen Beschluss des Amtsgerichts Alsfeld vom wurde die bestehende Betreuung lediglich „verlängert“, ohne dass dabei der bisherige Aufgabenkreis in irgendeiner Form modifiziert worden wäre (vgl. Bl. 1396 f., 1412 f. d.A. Bd. V). Aus dem Beschluss ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der etwa vier Monate zuvor zum Nachteil des Betreuten verübte erpresserische Menschenraub dem Betreuungsgericht bei seiner Entscheidung bekannt war. Bei dieser Sachlage kann nicht angenommen werden, dass das Betreuungsgericht die bestehende Betreuung erweitern und der Betreuerin (trotz unveränderter Beschreibung des Aufgabenkreises) nunmehr auch die Wahrnehmung der höchstpersönlichen Rechte des Betreuten in Strafverfahren übertragen wollte. Dass          W.    aufgrund seiner intellektuellen Einschränkungen zweifelsfrei nicht dazu in der Lage ist, diese Rechte selbst wahrzunehmen (vgl. Bl. 12, 67 UA), weshalb eine entsprechende Erweiterung des Aufgabenkreises ohne Weiteres zulässig und geboten wäre, macht die nach dem Gesetz notwendige Entscheidung hierüber durch das zuständige Betreuungsgericht nicht entbehrlich; die Strafgerichte sind nicht – auch nicht in Evidenzfällen – dazu befugt, an dessen Stelle über den Umfang der Betreuung zu entscheiden (Art. 101 Abs. 1 GG).

Dass das Landgericht die Nebenklage ungeachtet der unwirksamen Anschlusserklärung mit Beschluss vom zugelassen hat (vgl. Bl. 1414 d.A. Bd. V), kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Ebenso wie die Anschlussbefugnis des revidierenden Nebenklägers ist auch die Wirksamkeit der gemäß § 396 Abs. 1 Satz 1 StPO schriftlich einzureichenden Anschlusserklärung eine im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Die vorausgehende Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts über die Berechtigung zum Anschluss als Nebenkläger gemäß § 396 Abs. 2 Satz 1 StPO hat lediglich deklaratorische Bedeutung und bindet das Revisionsgericht nicht (vgl. –, juris, Rn. 5 [= BGHSt 41, 288]; Beschluss vom – 4 StR 301/08 –, juris, Rn. 5, 8; Beschluss vom – 4 StR 423/13 –, juris, Rn. 1).“

2Dem schließt sich der Senat an und weist darauf hin, dass die Revision – ihre Zulässigkeit unterstellt – auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte.

3Eine Kostenentscheidung ist hier nicht veranlasst. Der Senat sieht davon ab, die Kosten des Rechtsmittels Rechtsanwältin L.     aufzuerlegen. Zwar können dem vollmachtlosen Vertreter, der ein Rechtsmittel einlegt, die hierdurch entstandenen Kosten auferlegt werden. Hier durfte Rechtsanwältin L.       jedoch auf Grund der Zulassung des       W.   als Nebenkläger, und der ihr als dessen Vertreterin gestatteten Teilnahme an der Hauptverhandlung darauf vertrauen, zur Einlegung des Rechtsmittels befugt zu sein ().

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:031219B2STR155.19.1

Fundstelle(n):
TAAAH-43699