BGH Urteil v. - 3 StR 233/19

Anabolika als bedenkliche Arzneimittel

Gesetze: § 2 Abs 1 Nr 1 AMG, § 2 Abs 2 AMG, § 5 Abs 1 AMG, § 5 Abs 2 AMG, § 6a Abs 1 AMG, § 6a Abs 2 S 1 AMG, § 43 Abs 1 S 2 AMG, § 48 Abs 1 S 1 Nr 1 AMG, § 48 Abs 2 AMG, § 95 Abs 1 Nr 1 AMG, § 95 Abs 1 Nr 2a AMG

Instanzenzug: LG Lüneburg Az: 21 KLs 1/17nachgehend Az: 3 StR 233/19 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport, mit vorsätzlichem Herstellen und Inverkehrbringen von minderwertigen Arzneimitteln und Wirkstoffen sowie mit vorsätzlichem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat angeordnet, dass sieben Monate der Strafe zur Entschädigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten und Taterträge von 8.700 € sowie der Wert von Taterträgen in Höhe von 133.300 € eingezogen werden. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, die sich auf die Sachrüge stützt. Sein Rechtsmittel führt zu einer Verfolgungsbeschränkung und einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs, hat im Übrigen aber keinen Erfolg.

I.

2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3Der Angeklagte entschloss sich spätestens Mitte 2011, Anabolika in großen Mengen herzustellen und an Kraftsportler zu verkaufen, um sich eine dauernde Einnahmequelle von einigem Umfang zu schaffen. Ihm war bewusst, dass es sich um verschreibungs- und apothekenpflichtige Medikamente handelte, deren Herstellung und Vertrieb ihm nicht erlaubt waren, dass er technisch nicht in der Lage war, die Qualität der Ausgangsstoffe umfassend zu kontrollieren und die vorgeschriebenen sterilen Herstellungsbedingungen einzuhalten, und dass die von ihm vertriebenen Anabolika generell geeignet waren, den menschlichen Organismus zu schädigen. Er stellte mit in China bestellten Grundstoffen unter anderem Testosteron Enantat, Testosteron Propionat, Metandienon, Sustanon, Trenbolon Acetat, Trenbolon Enantat, Oxymetholon, Winstrol und Clomifen her. Seine Vorräte füllte er regelmäßig durch neue Bestellungen auf, so dass sie nie vollständig aufgebraucht waren. Von Mitte 2011 bis Dezember 2012 versandte er wenigstens 711 Pakete mit Arzneimitteln zu Dopingzwecken an seine Kunden und ließ sich seine Lieferungen auf verschiedene Weisen bezahlen. Insgesamt erzielte er mindestens 142.000 €. Es wurden elf Geldpakete mit 8.700 €, die Kunden an von ihm angegebene Packstationen gesendet hatten, und am vorhandene Anabolikazubereitungen sowie diverse Utensilien sichergestellt. Nach einer Auswertung des niedersächsischen Landeskriminalamtes überschritten die aufgefundenen Dopingmittel die nicht geringe Menge im Sinne der Verordnung zur Bestimmung von Dopingmitteln und zur Festlegung der nicht geringen Menge um mehr als das 34.000-Fache.

II.

4Das Rechtsmittel des Angeklagten hat weitgehend keinen Erfolg.

51. Der Senat hat den Tatbestand des Herstellens und Inverkehrbringens von minderwertigen Arzneimitteln und Wirkstoffen (§ 95 Abs. 1 Nr. 3a, § 8 Abs. 1 Nr. 1 AMG) von der Verfolgung ausgenommen und diese insofern gemäß § 154a Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO mit Zustimmung des Generalbundesanwalts aus den in dessen Antragsschrift genannten Gründen beschränkt. Die Beschränkung hat eine entsprechende Änderung des Schuldspruchs zur Folge.

62. Die Feststellungen sind vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffen worden und werden, wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend ausgeführt, durch die Beweiswürdigung belegt.

73. Die Feststellungen tragen den nach der Verfolgungsbeschränkung verbleibenden Schuldspruch.

8a) Bei den Produkten, die der Angeklagte herstellte und vertrieb, handelt es sich um Arzneimittel im Sinne des § 2 AMG.

9Es besteht kein Grund, in Bezug auf das für alle Tatbestandsvarianten maßgebliche Tatbestandsmerkmal des Arzneimittels nach §§ 2, 95 AMG entsprechend der in der Revisionsbegründung formulierten Anregung das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Beantwortung bestimmter Fragen zum Arzneimittelbegriff vorzulegen. Die Auslegung des Arzneimittelbegriffs im unionsrechtlichen Sinne ist durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé", vgl. allgemein etwa , BVerfGE 147, 364, 381 f.). Der Senat beabsichtigt nicht, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

10aa) Der deutsche Gesetzgeber hat in § 2 AMG die Definition des Arzneimittels nach der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in deutsches Recht überführt und dabei insbesondere für "Funktionsarzneimittel" in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG den Wortlaut von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie übernommen (s. BT-Drucks. 16/12256 S. 41).

11Der Europäische Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des "Arzneimittels" im Sinne der Richtlinie 2001/83/EG fällt, von Fall zu Fall zu treffen sei und dabei alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen seien, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen, die Modalitäten des Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen (s. , NStZ 2014, 461, 463 mwN; vgl. auch Altschwager, Der Arzneimittelbegriff im deutschen, europäischen und US-amerikanischen Recht, 2016, S. 100 ff.). In weiterer Konkretisierung dieser Grundsätze hat er entschieden, dass der Arzneimittelbegriff keine Stoffe umfasse, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein (EuGH aaO; s. auch Urteil vom - C-140/07 - Hecht-Pharma, EuGH Slg. 2009 - I - 72, 88). Bereits in vorangegangenen Urteilen hatte der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass zur Beurteilung der physiologischen Auswirkungen auf den normalen Gebrauch des fraglichen Erzeugnisses - etwa unter Berücksichtigung des Beipackzettels - abzustellen, die in einer Gebrauchsanweisung mitgeteilte Modalität des Gebrauchs aber nicht an sich ausschlaggebend sei ( - BIOS Naturprodukte, NVwZ 2009, 967, 968; vom - C-211/03 - HLH Warenvertrieb, EuGH Slg. 2005 - I - 5186, 5212).

12bb) In Anwendung der aufgezeigten Grundsätze ist die Einordnung der vom Angeklagten hergestellten und vertriebenen Produkte als Arzneimittel ohne weiteres möglich, wie sich auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 345/17, NStZ-RR 2019, 86; vom - 4 StR 283/18, wistra 2019, 248 Rn. 2 ff.; Urteile vom - 2 StR 535/12, BGHSt 59, 16 Rn. 10; vom - 1 StR 72/17, NStZ-RR 2018, 50, 51; vom - I ZR 34/01, BGHZ 151, 286, 291 ff.). Es bestehen keine grundsätzlichen Rechtsfragen, die bislang durch den Europäischen Gerichtshof nicht entschieden und für die Beurteilung maßgeblich sind. Vielmehr geht es um eine Rechtsanwendung auf den Einzelfall.

13Nach den Urteilsgründen dienten die produzierten und vertriebenen Anabolika dazu, im Zusammenhang mit Kraftsport einen Zugewinn an Muskelmasse zu fördern, mithin die physiologischen Funktionen zu beeinflussen (vgl. auch BT-Drucks. 16/5526 S. 14; zudem - mit gewissen Zweifeln im Einzelfall - Kloesel/Cyran, AMG, 135. Akt.-Lief. 2019, § 2 A 1.0 Nr. 76). Diese Beeinflussung wurde jedenfalls von den Verbrauchern, aber grundsätzlich - von den damit einhergehenden Nebenwirkungen abgesehen - auch darüber hinaus als positiv bewertet (vgl. zur Zulassung von Arzneimitteln mit der Indikation "Leistungssteigerung" etwa BT-Drucks. 13/9996 S. 13). Die Stoffe sind danach geeignet, der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein. Dass mit vorteilhaften Auswirkungen Nebenwirkungen einhergehen, die im Ergebnis einen positiven Gesamtnutzen in Frage stellen können, ist für Arzneimittel typisch und kein Grund, die Arzneimitteleigenschaft zu verneinen (s. etwa zu Nebenwirkungen Art. 1 Nr. 11 Richtlinie 2001/83/EG, § 4 Abs. 13 AMG; zum Nutzen-Risiko-Verhältnis § 4 Abs. 28 AMG).

14Die weiter einzubeziehenden Gesichtspunkte wie die Gebrauchsmodalitäten, die näheren Umstände der Abgabe an die Verbraucher und das Schädigungspotential von Anabolika stehen einer Einordnung als Arzneimittel ebenfalls nicht entgegen, sondern lassen sich dafür anführen. Im Übrigen spricht für eine solche Einordnung, dass der Angeklagte die Produkte "wie bei Arzneimitteln üblich mit Angaben zu Inhaltsstoffen und Wirkstoffgehalten versah", vorbedruckte Injektionsfläschchen ("Vials") samt Hologramm-Aufklebern verwendete und seine Produkte unter anderem unter der auf eine medizinische Verwendung hinweisenden Bezeichnung "Hanse Medical" bewarb.

15b) Der Angeklagte hat sich nach den getroffenen Feststellungen wegen Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a, § 6a Abs. 1 AMG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom (BGBl. 2012 I S. 2192, 2194) strafbar gemacht.

16aa) Gemäß § 2 Abs. 2 StGB ist diese zum Zeitpunkt der Tatbeendigung geltende Gesetzesfassung anzuwenden, da der Angeklagte die - im Wege der Bewertungseinheit als einheitlich beurteilte - Tat von Mitte 2011 bis zum beging.

17Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung nach § 2 Abs. 3 StGB die Vorschriften des AMG und nicht des nachfolgend in Kraft getretenen AntiDopG herangezogen, da sich das AMG im konkreten Fall als das mildere Gesetz darstellt (vgl. näher , NJW 2017, 2847 Rn. 5 ff.).

18bb) Der Senat ist trotz geäußerter Bedenken (s. , NStZ-RR 2019, 86) in Bezug auf den hier entscheidenden Zeitraum nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG (in Verbindung mit § 95 Abs. 1 Nr. 2a, § 6a Abs. 1 AMG in der damals geltenden Fassung) überzeugt und hat daher keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG eingeholt (im Ergebnis ebenso , wistra 2019, 248; zu den allgemeinen Anforderungen BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvL 1/16, FamRZ 2018, 1021, 1022; vom - 2 BvL 22/82, BVerfGE 68, 337, 343 f.).

19(1) § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften mit Wirkung zum - neben einer Einschränkung auf das Doping bei Menschen - dahin geändert, dass seitdem dynamisch ausdrücklich auf die jeweils geltende Fassung des Anhangs des Übereinkommens gegen Doping (Gesetz vom zu dem Übereinkommen vom gegen Doping, BGBl. 1994 II S. 334) Bezug genommen wurde. Insoweit stehen die zuvor vom Senat ausgeführten Zweifel, ob die frühere Gesetzesfassung eine statische oder eine dynamische Verweisung enthielt und die Vorschrift mit Blick darauf verfassungsmäßig sei (, NStZ-RR 2019, 86; näher dazu auch Parzeller/Prittwitz, StoffR 2009, 101 ff., 119 ff.), nicht in Rede.

20(2) Die dynamische Verweisung betreffende Bedenken, ob die Rechtsetzungshoheit des Gesetzgebers gewahrt ist, sind zumindest für den zu beurteilenden Zeitraum nicht von solchem Gewicht, dass sie zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift führen.

21(a) Art. 103 Abs. 2 GG enthält - gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (s. , BVerfGE 143, 38 Rn. 38 mwN). Dabei muss der Gesetzgeber den Tatbestand nicht stets vollständig im förmlichen Gesetz umschreiben, sondern darf auf andere Vorschriften, auch anderer Normgeber, verweisen. Verweist ein Gesetzgeber dabei auf andere Vorschriften in ihrer jeweils geltenden Fassung (dynamische Verweisung), kann dies dazu führen, dass er den Inhalt seiner Vorschriften nicht mehr in eigener Verantwortung bestimmt und damit der Entscheidung Dritter überlässt. Damit sind dynamische Verweisungen zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, aber nur in dem Rahmen zulässig, den die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Bundesstaatlichkeit ziehen; grundrechtliche Gesetzesvorbehalte können diesen Rahmen zusätzlich einengen (BVerfG aaO S. 55 f.).

22Eine allgemeine Aussage, welchen Grad an gesetzlicher Bestimmtheit der einzelne Straftatbestand haben muss, lässt sich nicht treffen. Vielmehr ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung möglicher Regelungsalternativen zu entscheiden, ob der Gesetzgeber seinen Verpflichtungen aus Art. 103 Abs. 2 GG im Einzelfall nachgekommen ist. Zu prüfen sind die Besonderheiten des jeweiligen Straftatbestands einschließlich der Umstände, die zu der gesetzlichen Regelung führen, wobei der Gesetzgeber die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso genauer festlegen und präziser bestimmen muss, je schwerer die von ihm angedrohte Strafe ist. Auch der Kreis der Normadressaten ist von Bedeutung ( u.a., BVerfGE 126, 170, 196 mwN).

23(b) Nach diesen Maßstäben ist eine Verfassungswidrigkeit des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG und der damit in Zusammenhang stehenden § 95 Abs. 1 Nr. 2a, § 6a Abs. 1 AMG in dem maßgeblichen Zeitraum nicht anzunehmen.

24Der Gesetzgeber hat in § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG die Strafbarkeit und die Rechtsfolgen für den Fall selbst geregelt, dass jemand entgegen § 6a Abs. 1 AMG Arzneimittel zu Dopingzwecken im Sport in den Verkehr bringt, verschreibt oder bei anderen anwendet. Die Verweisung auf die Verbotsvorschrift in § 6a Abs. 1 desselben Gesetzes ist gesetzestechnisch unproblematisch. Durch diese Norm hat der Gesetzgeber selbst grundlegend bestimmt, dass es verboten ist, Arzneimittel nach Abs. 2 Satz 1 zu Dopingzwecken im Sport in den Verkehr zu bringen, zu verschreiben oder bei anderen anzuwenden, sofern ein Doping bei Menschen erfolgt oder erfolgen soll. Damit hat er aufgezeigt, was strafbar sein soll, und Art und Maß der Freiheitsstrafe festgelegt (vgl. , wistra 2019, 248; Kügel/Müller/Hofmann/Nickel, AMG, 2. Aufl., § 6a Rn. 19). Aufgrund des Gesetzes lassen sich mithin die möglichen Fälle der Strafbarkeit prinzipiell voraussehen. So verweist der Gesetzgeber, der als entscheidend für das Verbot den konkreten Bestimmungszweck, d. h. die Verwendung zu Dopingzwecken, angesehen hat (s. BT-Drucks. 13/9996 S. 13), in § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG lediglich auf § 6a Abs. 1 AMG.

25Die Bezugnahme in § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG auf den Anhang des Übereinkommens gegen Doping führt demgegenüber letztlich zu einer einschränkenden Konkretisierung der Verbotsnorm des Absatzes 1. Das Verbot und eine entsprechende Strafbarkeit greifen nur dann ein, wenn neben den dort genannten Tatbestandsmerkmalen das Arzneimittel Stoffe der in der jeweils geltenden Fassung des Anhangs des Übereinkommens gegen Doping aufgeführten Gruppen von verbotenen Wirkstoffen oder Stoffe enthält, die zur Verwendung bei den dort aufgeführten verbotenen Methoden bestimmt sind. Die Verweisung auf die Bezugsliste ermöglicht eine regelmäßige Anpassung an den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse (vgl. BT-Drucks. 16/5526 S. 14 Fn. 1; Kügel/Müller/Hofmann/Nickel, AMG, 2. Aufl., § 6a Rn. 19; zur Unumgänglichkeit wechselnder Einzelregelungen bei ständigem Wandel allgemein , NJW 1992, 2624).

26Ähnlich wie in einem Fall, in welchem dem nationalen Verordnungsgeber die Konkretisierung des Straftatbestandes eingeräumt wird, kann auch auf das Unionsrecht verwiesen werden (, BVerfGE 143, 38 Rn. 47 mwN). Dass es sich abweichend davon bei der jeweils aktualisierten Liste nicht um nationale oder unionsrechtliche Normsetzung handelt, sondern um den Anhang eines völkerrechtlichen Übereinkommens, führt nicht ohne Weiteres zur Unzulässigkeit der Verweisung. Abgesehen davon, dass das Grundgesetz "völkerrechtsfreundlich" angelegt ist (vgl. , NJW 2019, 1201, 1206 mwN), ist eine Verweisung auf Regelungen außerstaatlicher Stellen nicht vollständig ausgeschlossen (vgl. etwa , BVerfGE 64, 208, 214 f.; , BGHSt 59, 11, 15 f.). Wenn deren Inhalt im Wesentlichen feststeht, liegt kein unzulässiger Verzicht des Gesetzgebers auf seine Rechtsetzungsbefugnis vor und ist den sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaat- sowie dem Demokratieprinzip ergebenden Anforderungen Genüge getan (vgl. , BVerfGE 78, 32, 36).

27Insofern enthält das Übereinkommen gegen Doping verfahrensrechtliche Vorgaben für die Aufstellung der Liste und umreißt diese zugleich inhaltlich nach seinem Regelungsgefüge. Hinzu kommt, dass hier der Zeitraum unmittelbar nach Inkrafttreten der damals neuen Gesetzesfassung des § 6a AMG zu beurteilen ist. Zu diesem Zeitpunkt galt die bereits am veröffentlichte (BGBl. 2012 II S. 118 ff.) Neufassung des Anhangs zu dem Übereinkommen. Diese Fassung war mithin schon im Gesetzgebungsverfahren zum Zweiten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften bekannt. Daher steht außer Frage, dass der Gesetzgeber jedenfalls den zum damaligen Zeitpunkt geltenden Anhang als Konkretisierung der Verbots- und Strafnorm legitimiert hat und diese Fassung zudem aufgrund der Veröffentlichung den Normadressaten zugänglich war (vgl. entsprechend , BGHSt 59, 11 Rn. 14 zu einer früheren Gesetzesänderung des § 6a Abs. 2 AMG).

28Überdies war nach dem - auch in § 143 Abs. 2 Satz 1 AMG aF zum Ausdruck kommenden - Willen des Gesetzgebers die Bekanntmachung des jeweils geänderten Anhangs zu dem Übereinkommen im Bundesgesetzblatt vorgesehen (s. BT-Drucks. 17/9341 S. 48), so dass ungeachtet etwaiger anderer Veröffentlichungen der jeweiligen Listen diese dadurch dem Normadressaten zugänglich gemacht wurden und der Grundsatz der Publizität bedacht wurde (s. dazu allgemein , BVerfGK 17, 273, 287). Für jemanden, der Arzneimittel zu Dopingzwecken im Sport in den Verkehr bringt, ist es zumutbar, sich über den jeweiligen Fassungsstand zu informieren.

29Danach ist ferner nicht entscheidend, dass in dem seinerzeit aktuellen Anhang des Übereinkommens gegen Doping - wie bereits schon in den Vorjahren - nicht mehr der im Gesetz genutzte Begriff der "Gruppen von verbotenen Wirkstoffen" verwendet wird, sondern Stoffe unter bestimmten "Klassen" zusammengefasst sind. Wie auch die Regelungssystematik nahelegt, ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die Gruppen bestimmter Stoffe nunmehr unter den Überschriften der Klassen (etwa als "S1", "S2") ausgewiesen sind (vgl. BT-Drucks. 16/5526 S. 14). Im Übrigen war in den englisch- und französischsprachigen Fassungen des Übereinkommens gegen Doping sowie in den folgenden Änderungen stets von "classes" die Rede.

30Schließlich hat der Gesetzgeber zwar in dem § 6a AMG ersetzenden § 2 AntiDopG vom (BGBl. 2015 I S. 2210) eine andere Regelungstechnik gewählt, die nunmehr auf einen in der Anlage I des Internationalen Übereinkommens vom gegen Doping im Sport (BGBl. 2007 II S. 354, 355) in der vom Bundesministerium des Innern jeweils im Bundesgesetzblatt Teil II bekannt gemachten Fassung (Internationales Übereinkommen gegen Doping) aufgeführten Stoff abstellt. Insofern können die näheren Ausführungen in der Gesetzesbegründung zu dem speziellen Gesetzesvorbehalt und dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG (BT-Drucks. 18/4898 S. 24 f.) als Reaktion auf Bedenken an der vorangegangenen Gesetzeslage (vgl. etwa , BGHSt 59, 11 Rn. 14 mwN) verstanden werden. Aus einem etwaigen Anliegen im Rahmen der ohnehin vorgenommenen Neuordnung durch die Schaffung des Gesetzes gegen Doping im Sport, Vorschriften klarer und bestimmter zu fassen, folgt aber nicht der Schluss, die vorangegangene Rechtslage sei verfassungswidrig gewesen oder der Gesetzgeber sei zumindest von einer Verfassungswidrigkeit ausgegangen.

31Bei einer Gesamtwürdigung der erörterten Gesichtspunkte führen die an der Regelungssystematik fortbestehenden Bedenken letztlich nicht zu der Überzeugung des Senats von der Verfassungswidrigkeit des Normengefüges.

32cc) Der Angeklagte brachte entgegen § 6a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AMG Arzneimittel, die Stoffe der in der damals geltenden Fassung des Anhangs des Übereinkommens gegen Doping aufgeführten Gruppen von verbotenen Wirkstoffen enthielten, zu Dopingzwecken im Sport in den Verkehr.

33Die von der Strafkammer im einzelnen aufgezählten Produkte beinhalteten verbotene anabole Stoffe (Metandienon, Oxymetholon, Stanozolol ["Winstrol"], Testosteron) sowie Hormone oder Stoffwechsel-Modulatoren (Clomifen). Unter einem Inverkehrbringen im Sinne des § 6a Abs. 1 AMG ist nach § 4 Abs. 17 AMG das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere zu verstehen. Der Angeklagte hielt die von ihm produzierten Mittel jedenfalls zum Verkauf vorrätig und gab sie in einer Vielzahl von Fällen an andere ab.

34dd) Eine vom Generalbundesanwalt beantragte Beschränkung der Verfolgung nach § 154a Abs. 2 StPO hinsichtlich dieses Straftatbestandes hält der Senat unter den gegebenen Umständen des Einzelfalles nicht für zweckmäßig.

35c) Der Angeklagte brachte zugleich bedenkliche Arzneimittel in Verkehr (§ 95 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 AMG).

36Bei den zum Verkauf vorrätig gehaltenen und abgegebenen Mitteln bestand im Sinne des § 5 Abs. 2 AMG nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Der bestimmungsgemäße Gebrauch richtet sich bei für Dopingzwecke im Sport hergestellten Präparaten nach dem üblichen Gebrauch der Konsumenten und nicht, soweit Präparate mit zugelassenen Arzneimitteln chemisch artverwandt oder wirkstoffidentisch sind, nach der für das verwandte Erzeugnis maßgeblichen Zwecksetzung (s. , NStZ-RR 2018, 50, 51; vom - 5 StR 72/98, BGHR AMG § 95 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittel 2; Kügel/Müller/Hofmann/Raum, AMG, 2. Aufl., § 95 Rn. 15).

37Die schädlichen Wirkungen der vertriebenen Anabolika auf den menschlichen Körper hat das Landgericht festgestellt. Hierzu und zur Überschreitung des wissenschaftlich vertretbaren Maßes bedurfte es mit Blick auf die konkreten, ohne medizinische Indikation zur Leistungssteigerung in Verkehr gebrachten Stoffe keiner weitergehenden Ausführungen (vgl. zu anabolen Steroiden , NStZ-RR 2018, 50, 51; s. auch BT-Drucks. 16/5937 S. 16). Dass der Angeklagte die tatsächlichen Umstände kannte, die für die Abwägung des Verhältnisses zwischen dem bekannten Risiko und dem Nutzen von Relevanz sind (vgl. , NJW 2019, 3392 Rn. 31), ist den Urteilsgründen ebenfalls zu entnehmen.

38d) Zudem verwirklichte der Angeklagte den Tatbestand des Handeltreibens mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, außerhalb von Apotheken (§ 95 Abs. 1 Nr. 5, § 43 Abs. 1 Satz 2 AMG).

39Mit Ausnahme von Trenbolon handelte es sich jeweils um den Apotheken vorbehaltene Arzneimittel, die gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 AMG, § 1 Nr. 1, Anlage 1 AMVV nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen. Dass Trenbolon nicht erfasst ist, ist in Bezug auf die anderen Stoffe für den Schuldspruch unerheblich.

40e) Da die Staatsanwaltschaft Lüneburg die Verfolgung mit Anklageerhebung auf die in der Anklageschrift genannten Gesetzesverletzungen gemäß § 154a Abs. 1 StPO beschränkt hat, hat das Landgericht eine Verurteilung des Angeklagten wegen Besitzes von Arzneimitteln und Grundstoffen in nicht geringer Menge zu Dopingzwecken im Sport (§ 95 Abs. 1 Nr. 2b, § 6 Abs. 2a Satz 1 AMG aF) nicht näher zu prüfen gehabt. Im Übrigen ist der Angeklagte durch einen insoweit unterbliebenen Schuldspruch nicht beschwert.

41f) Die konkurrenzrechtliche Bewertung des Landgerichts, dass der Angeklagte wegen einer einzigen Tat zu verurteilen ist, ist ohne einen diesen belastenden Rechtsfehler getroffen (s. , juris Rn. 7 ff. mwN).

42Die im Schuldspruch genannten Tatbestandsvarianten des § 95 Abs. 1 AMG stehen hier in Tateinheit zueinander, da bei der Annahme von Gesetzeseinheit der Unrechtsgehalt nicht vollständig erfasst würde (vgl. Weber, BtMG, 5. Aufl., § 95 AMG Rn. 21; im Ergebnis ebenso BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 516/15, juris; vom - 4 StR 283/18, wistra 2019, 248; Urteil vom - 1 StR 72/17, NStZ-RR 2018, 50, 51).

434. Die Überprüfung des Urteils hat hinsichtlich der Rechtsfolgen ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

44Die in der Revisionsbegründung gegen den Strafausspruch vorgebrachten Beanstandungen greifen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführten Gründen nicht durch.

45Der Strafausspruch wird durch die Änderung des Schuldspruchs nicht berührt. Es ist auszuschließen, dass das Tatgericht ohne den nunmehr fortgefallenen Schuldspruch wegen Herstellens und Inverkehrbringens von minderwertigen Arzneimitteln und Wirkstoffen eine niedrigere Freiheitsstrafe verhängt hätte. Der anzuwendende Strafrahmen hat sich nicht geändert. Der vom Landgericht neben diversen anderen Gesichtspunkten strafschärfend herangezogene Umstand, dass der Angeklagte tateinheitlich mehrere Varianten des § 95 Abs. 1 AMG verwirklichte, trifft nach der Verfolgungsbeschränkung weiterhin zu.

465. In der Beschränkung der Strafverfolgung und der damit einhergehenden Änderung des Schuldspruchs liegt kein solcher Erfolg des Rechtsmittels, der es unbillig erscheinen ließe, den Angeklagten mit den gesamten Gebühren und Auslagen des Verfahrens zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:271119U3STR233.19.0

Fundstelle(n):
WAAAH-42875