BVerwG Beschluss v. - 7 VR 6/19, 7 VR 6/19 (7 A 9/19)

Ausbaustrecke Oldenburg-Wilhelmshaven; Antrag Umweltvereinigung u.a.

Gesetze: § 18e AEG, § 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 80a Abs 3 VwGO

Gründe

I

1Die Antragsteller wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom zum Ausbau der Eisenbahnstrecke 1522 Oldenburg-Wilhelmshaven von Bahn-km 0,841 bis 9,722 (PFA 1). Sie beantragen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der hiergegen erhobenen Klage.

2Der Antragsteller zu 1 ist eine anerkannte Umweltvereinigung. Der Antragsteller zu 2 ist Miteigentümer eines 973 qm großen Grundstückes an der Bahnstrecke (Flurstück a der Gemarkung Oldenburg; ca. bei Bahn-km ...), das im bahnnahen Bereich im Umfang von 226 qm zur Durchführung von Bauarbeiten vorübergehend in Anspruch genommen werden soll (Betretung für Bauarbeiten; Beseitigung von Gehölzen, Gartenschuppen u.Ä.). Die Antragsteller zu 3 und 4 sind Miteigentümer eines 600 qm großen Grundstückes nahe der Bahnstrecke (Flurstück b der Gemarkung Oldenburg; ca. bei Bahn-km ...), von dem nach dem Grunderwerbsverzeichnis (lfd. Nr. ...) im bahnnahen Bereich 25 qm dauerhaft an die Beigeladene abgegeben werden und 43 qm dauernd belastet werden sollen (dingliche Sicherung zur Aufwuchsbeschränkung von Gehölzen). Die 43 qm große Fläche darf auch zur Durchführung von Bauarbeiten vorübergehend in Anspruch genommen werden. Die Beigeladene hat erklärt, dass die Grundstücke der Antragsteller zu 2 bis 4 bis zum Ablauf des Jahres 2020 nicht in Anspruch genommen werden.

3Mit ihrer Klage (BVerwG 7 A 9.19) begehren die Antragsteller die Aufhebung, hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses, weiter hilfsweise dessen Ergänzung um Schutzauflagen.

II

41. Der Antrag ist zulässig.

51.1. Das Bundesverwaltungsgericht ist als Gericht der Hauptsache nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. lfd. Nr. 7 der Anlage 1 zu § 18e Abs. 1 AEG für die Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zuständig. Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss ist nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Für das Vorhaben ist nach § 1 des Gesetzes über den Ausbau der Schienenwege des Bundes (Bundesschienenwegeausbaugesetz - BSWAG) vom (BGBl. I S. 1874), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom (BGBl. I S. 3221), in Verbindung mit Abschnitt 1 lfd. Nr. 28 der Anlage zu § 1 BSWAG der vordringliche Bedarf festgestellt.

61.2. Die Antragsteller sind antragsbefugt. Der Antragsteller zu 1 ist als anerkannte Umweltvereinigung unabhängig von der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG), die Antragsteller zu 2 bis 4 sind als Eigentumsbetroffene antragsbefugt. Teile von deren Grundstücken sollen für das planfestgestellte Vorhaben dauerhaft bzw. zumindest vorübergehend in Anspruch genommen werden. Als Grundstückseigentümer können sie geltend machen, durch den Planfeststellungsbeschluss unmittelbar in ihren Rechten aus Art. 14 GG verletzt zu sein (vgl. nur 4 A 5.14 - BVerwGE 154, 73, Rn. 19).

72. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

82.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG sofort vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss anordnen.

9In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Ist es - wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung oder wegen der Komplexität der aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen - nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, so sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten (vgl. nur 7 VR 6.14 - NVwZ-RR 2015, 250 Rn. 8 m.w.N.).

10Bei der Gewichtung der einander gegenüberstehenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist von maßgeblicher Bedeutung, dass der Gesetzgeber ausweislich des § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG dem Vollzugsinteresse - und damit der beschleunigten Umsetzung eisenbahnrechtlicher Planungsentscheidungen - erhebliches Gewicht beimisst (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 VR 1005.04 - BVerwGE 123, 241 <244>, vom - 9 VR 1.14 - juris Rn. 7 und vom - 9 VR 1.18 - NVwZ 2018, 1653 Rn. 10). Eine längere Dauer des vorangegangenen Planfeststellungsverfahrens schmälert das Gewicht dieses Vollzugsinteresses nicht.

11Vorliegend sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten. Zum einen verträgt die Entscheidung über den Antrag keinen Aufschub. Zum anderen werden von den Antragstellern Sach- und Rechtsfragen aufgeworfen, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.

12Die Entscheidung über den Antrag ist dringlich. Neben dem Beschleunigungsgebot, dass aus der gesetzgeberischen Grundentscheidung nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit - und damit zugunsten der unverzüglichen Umsetzung - von Planfeststellungsbeschlüssen für den Bau oder die Änderung von Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes, für die - wie hier - nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz ein vordringlicher Bedarf festgestellt ist, folgt, ergibt sich diese Dringlichkeit vorliegend auch daraus, dass eine weitere Unterbrechung der bereits begonnenen Rodungsarbeiten, die aus naturschutzrechtlichen Gründen nur bis Ende Februar durchgeführt werden können, den weiteren Bauablauf nach den nachvollziehbaren Angaben der Beigeladenen um mindestens ein Jahr verzögern würde.

13Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses stellen sich zudem Sach- und Rechtsfragen, die erst im Zuge der Durchführung des Hauptsacheverfahrens geklärt werden können. Dies gilt namentlich im Hinblick auf von den Antragstellern gerügte Verfahrensfehler, etwaige Defizite der durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung, zahlreiche Einwände gegen die Tragfähigkeit der dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegten Verkehrsprognose und der schalltechnischen Untersuchung sowie Abwägungsfehler der fachplanerischen Alternativenprüfung. Die Antragsteller haben hierbei als anerkannte Umweltvereinigung bzw. als unmittelbar Eigentumsbetroffene grundsätzlich einen Anspruch auf vollständige Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses.

142.2. Das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin und der Beigeladenen überwiegen das Suspensivinteresse der Antragsteller. Ausgehend von der gesetzgeberischen Grundentscheidung nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit ist hierfür maßgeblich, dass mit einer Fortsetzung der von der Beigeladenen begonnenen Arbeiten keine irreparablen bzw. nicht rückgängig zu machenden Folgen zulasten Drittbetroffener eintreten. Vollendete Tatsachen werden nicht geschaffen. Sollten sich die bis zu einer Entscheidung des Senats in der Hauptsache durchgeführten bauvorbereitenden Maßnahmen bzw. Baumaßnahmen als rechtswidrig erweisen, ließen sich die eingetretenen Folgen im Wege des Rückbaues und der Wiederbepflanzung gerodeter Flächen beseitigen bzw. rückgängig machen.

15Dem steht nicht entgegen, dass nach einer Wiederbepflanzung gerodeter Flächen vor dem Erreichen des ursprünglichen Zustands Neuanpflanzungen zunächst noch eine Anwachsphase durchlaufen müssen (im Ergebnis wie hier auch 9 VR 2.16 - juris Rn. 33). Der Gesetzgeber setzt Ausgleich und Ersatz für Eingriffe in Natur und Landschaft (vgl. § 15 Abs. 2 BNatSchG) nicht mit einer Naturalrestitution im naturwissenschaftlichen Sinne gleich. Vielmehr nimmt er im Rahmen der Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft eine vorübergehende Verschlechterung des ökologischen Zustands hin, weil es auf der Hand liegt, dass etwa ein ausgewachsener Baum erst Jahre später gleichwertig substituiert werden kann (vgl. 9 A 17.11 - juris Rn. 149 m.w.N.; insoweit in BVerwGE 145, 40 nicht abgedruckt). Für eine Rückgängigmachung von Eingriffen in Natur und Landschaft kann nichts anderes gelten. Entsprechendes gilt auch für die Rückgängigmachung von Eingriffen in Hausgärten.

16Dass durch die im Zuge von Kampfmittelsondierungen durchzuführenden Bohrungen das an der Bahnstrecke liegende Trinkwasserschutzgebiet Alexandersfeld gefährdet wird, haben die Antragsteller nicht substantiiert dargelegt. Die Antragsgegnerin verweist insoweit nachvollziehbar darauf, dass sich der zur Trinkwassergewinnung genutzte Grundwasserkörper in 50 m Tiefe befindet und die Bohrungen für die Kampfmittelsondierungen lediglich in eine Tiefe von etwa sechs Metern reichen. Die Bohrlöcher werden sofort wieder verfüllt. Stoffe werden nach Angabe der Beigeladenen im Zuge der Sondierungsarbeiten nicht in den Boden eingebracht. Eine Gefährdung des Trinkwassers erscheint vor diesem Hintergrund als ausgeschlossen.

17Der Eintritt vollendeter Tatsachen droht auch hinsichtlich der im Eigentum der Antragsteller zu 2 bis 4 stehenden Wohngrundstücke nicht. Die Beigeladene hat dem Senat gegenüber erklärt, dass diese beiden Grundstücke bis zum Ablauf des Jahres 2020 weder im Zuge bauvorbereitender Maßnahmen noch für Baumaßnahmen in Anspruch genommen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt ist jedoch voraussichtlich mit einer Entscheidung des Senats im Hauptsacheverfahren zu rechnen, so dass es auch insoweit keiner Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bedarf. Sollte sich an den zeitlichen Abläufen der Baumaßnahmen im Bereich der Grundstücke der Antragsteller zu 2 bis 4 etwas zu deren Lasten ändern, wäre es Sache der Beigeladenen, dem Gericht hiervon rechtzeitig Mitteilung zu machen. Gegebenenfalls wäre dann ein Vorgehen nach § 80 Abs. 7 VwGO zu prüfen.

18Vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung des Senats in der Hauptsache voraussichtlich im Jahr 2020 und mithin während der laufenden Ausbaumaßnahmen erfolgen soll, ist vor der Entscheidung über die erhobene Klage auch mit keinen dem planfestgestellten Ausbau zuzurechnenden betriebsbedingten Beeinträchtigungen der Antragsteller - etwa durch Lärmimmissionen - zu rechnen. Ohne rechtliche Bedeutung ist, ob die Beigeladene die Nebenbestimmungen des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses bereits vollständig umgesetzt hat (namentlich etwa durch die Bestellung eines Baulärmbeauftragten). Sollten hier Defizite bestehen, wäre es Sache der Antragsgegnerin, auf deren Beseitigung hinzuwirken; die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses wird hierdurch nicht infrage gestellt.

19Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:191219B7VR6.19.0

Fundstelle(n):
YAAAH-40112