BFH Beschluss v. - IX B 42/19

Nichtzulassungsbeschwerde: Verfahrensfehler

Leitsatz

NV: Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) ist nicht dadurch verletzt, dass sich das FG —ohne vorangegangenen ausdrücklichen Hinweis— Feststellungen des Strafgerichts zu eigen macht, wenn die Beteiligten das strafgerichtliche Urteil ebenfalls umfassend in Bezug genommen haben.

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3;

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht gegeben. Es fehlt an der gerügten Verletzung des Anspruchs des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) auf rechtliches Gehör.

3 a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 96 Abs. 2 und § 119 Nr. 3 FGO verpflichtet das Gericht u.a., die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen. Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der tatsächlichen Würdigung oder der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl. , Deutsches Verwaltungsblatt 2008, 1056; , BFH/NV 2011, 1523). Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom  - IX S 10/14, BFH/NV 2015, 47, und vom  - IX B 22/16, BFH/NV 2016, 1013).

4 Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und —gegebenenfalls— Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Finanzgericht (FG) sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird (z.B. Senatsbeschluss vom  - IX B 2/17, juris, Rz 15, m.w.N.).

5 b) In Anwendung dieser Grundsätze ist ein Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht festzustellen. Entgegen der Nichtzulassungsbeschwerde kann ein derartiger Verstoß nicht darin gesehen werden, dass es das FG versäumt habe, die Beteiligten über die Beiziehung der Strafakten bzw. die Inbezugnahme der strafgerichtlichen Entscheidung zu informieren. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hat in diesem Zusammenhang zunächst zutreffend darauf hingewiesen, dass vorliegend keine Beiziehung der Strafakten erfolgt ist, so dass es keines entsprechenden Hinweises an die Beteiligten (§ 79 Abs. 2, § 155 FGO i.V.m. § 273 Abs. 4 der Zivilprozessordnung; dazu , BFH/NV 2012, 1643, Rz 3) bedurfte. Was die Verweise auf das Urteil des Strafgerichts angeht, hat das FA ferner zu Recht geltend gemacht, dass die Beteiligten sowohl in der Einspruchsentscheidung vom als auch in der Klagebegründung vom und in der Klageerwiderung vom umfassend auf die —zur Steuerakte genommene— strafgerichtliche Entscheidung Bezug genommen hatten. Dementsprechend konnte die —grundsätzlich zulässige (s. BFH-Beschlüsse vom  - XI B 75/12, BFH/NV 2014, 164, Rz 13; vom  - VII B 148/15, BFH/NV 2016, 762, Rz 6)— Bezugnahme auf die Feststellungen des Landgerichts . im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen des angefochtenen FG-Urteils den Kläger nicht überraschen. Das strafgerichtliche Urteil war bereits in das Einspruchsverfahren bzw. in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführt worden und wurde nicht vom FG erstmals in seiner Entscheidung aufgegriffen.

6 2. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

7 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2019:B.231019.IXB42.19.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2020 S. 217 Nr. 3
YAAAH-39345