Disziplinare Ahndung einer grob fahrlässigen Verletzung von Materialbewirtschaftungsvorschriften
Leitsatz
Verletzt ein in der Materialbewirtschaftung eingesetzter Soldat in Vorgesetztenstellung grob fahrlässig die Pflicht, das Vermögen des Dienstherrn zu schützen, erscheint eine Bezügekürzung als Regelmaßnahme angemessen.
Gesetze: § 855 BGB, § 929 BGB, § 958 Abs 2 BGB, § 959 BGB, § 7 SG, § 11 Abs 1 SG, § 23 Abs 1 SG, § 18 Abs 2 WDO 2002, § 58 Abs 1 Nr 1 WDO 2002, § 59 S 2 WDO 2002, Art 43 Abs 1 BGBEG, Art 46 BGBEG, Art 6 MRK
Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: N 6 VL 1/16 Urteil
Tatbestand
1Das Verfahren betrifft den disziplinarischen Vorwurf der vorsätzlichen Missachtung von Materialbewirtschaftungsvorschriften.
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Gründe
121. Nach Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens durch Verfügung des Kommandeurs ... vom hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom ein Dienstvergehen zur Last gelegt:
"Er handelte als verantwortlicher Stabsoffizier ... im Feldlager ... wie folgt:
a) Zwischen dem und dem übergab er zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten an den Zeugen Oberstabsfeldwebel A zur Nutzung im Rahmen der Instandsetzung einen im Eigentum des Dienstherrn stehenden Kompressor sowie die folgenden Betreuungsmittel an die jeweils angegebenen Zeugen:
- Dem Zeugen Oberstabsfeldwebel A ein
Fahrrad zur Reparatur sowie jeweils zur Nutzung,
- dem Zeugen Hauptfeldwebel B einen Kühlschrank,
- den Zeugen Oberstabsgefreiter C und
Oberstabsgefreiter D eine PlayStation 3,
vier Spiele für die PlayStation 3, einen Kühlschrank
und einen Tischkicker und
- dem Zeugen Oberstabsgefreiten E
einen Fernseher und einen Kühlschrank.
b) Ab nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten zwischen dem und dem nutzte er auf seiner Stube einen aus Betreuungsmitteln stammenden Fernseher sowie bewahrte dort die folgenden Betreuungsmittel auf:
- Eine PlayStation 3 Slim,
- eine PlayStation 3 Move-Camera,
- einen PlayStation 3 Move-Controller,
- zwei PlayStation 3 Controller,
- sieben Spiele für die PlayStation 3,
- eine Anleitung, ein USB-Kabel und ein AV-Kabel
für die PlayStation 3 sowie
- eine Digitalkamera mit Tasche, ein USB-Kabel und
eine 512 Megabyte Secure Digital Memory Card
(SD) Speicherkarte."
13Der Soldat habe durch sein Verhalten seine Pflicht zum treuen Dienen, seine Gehorsamspflicht und seine Wohlverhaltenspflicht vorsätzlich, zumindest aber fahrlässig verletzt, wobei er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein schlechtes Beispiel gegeben habe.
142. Mit Urteil vom hat das Truppendienstgericht unter Aufhebung der Disziplinarbuße gegen den Soldaten wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von 24 Monaten, verbunden mit einer Kürzung der Dienstbezüge um 1/10 für die Dauer von 24 Monaten verhängt.
15Der Soldat sei im Juni 2012 zur PATF 1 im Feldlager 1 zur Leitung des S4-Bereichs kommandiert worden. Zeitgleich sei das Feldlager 2 aufgelöst worden. Der dortige S4-Offizier F habe dabei große Bestände an Betreuungsmaterial und anderem Gerät (z. B. Fernseher, Spielekonsolen und Kühlschränke) festgestellt, die durch Beschaffungen, Schenkungen und Eigentumsaufgaben von Soldaten entstanden seien. Die Geräte seien durch die Materialtrupps der Bundeswehr in das Eigentum des Bundes übernommen worden, wenn sie als brauchbar bewertet worden seien.
16Der Soldat habe Anfang September 2012 mit dem Zeugen F in 2 vereinbart, dass ein Container mit Betreuungsmaterial nach 1 geschickt werden solle. Ihnen sei klar gewesen, dass dies wie ein "Materialausgleich Truppe-Truppe" zu handhaben gewesen sei. Der Soldat habe gewusst, dass es sich um Betreuungsmaterial, jedenfalls um dienstliches Material handeln sollte. Als der Container am im Feldlager 1 eingetroffen sei, habe er den Schlüssel an sich genommen und sei im Wesentlichen wie angeschuldigt vorgegangen:
17Zum Vorwurf a): Der Soldat habe dem Zeugen A aus dem Container einen Kompressor und ein Fahrrad zur Prüfung der Funktionsfähigkeit und Vereinnahmung im Fall der Brauchbarkeit übergeben. Dem Zeugen B habe er einen Kühlschrank überlassen, der im Zugzelt aufgestellt worden sei. Den Zeugen C und D habe er eine Playstation 3 mit vier Spielen unter Hinweis darauf überreicht, dass die Gegenstände zurückgegeben werden müssten, wenn sie für Betreuungszwecke gebraucht würden. Dem Zeugen E habe er einen Fernseher übergeben. Der Soldat habe vor der Weitergabe keine Listung oder Vereinnahmung der Geräte veranlasst. Die Weitergabe eines Kickers und eines Kühlschranks an die Zeugen C und D sowie eines Kühlschranks an den Zeugen E habe nicht bewiesen werden können.
18Zum Vorwurf b): Der Soldat habe einen Fernseher aus dem Container auf seiner Stube genutzt und dort Playstation-Geräte und Zubehörteile aufbewahrt, nicht hingegen eine Digitalkamera.
19Die Kammer glaube dem Soldaten nicht, dass er das Material für Privateigentum gehalten habe und dass er den Fernseher und die Playstation uneigennützig auf seine Stube verbracht habe. Im Übrigen habe er die Gegenstände ohne eine Übernahme in dienstliche Bestandsverzeichnisse verteilen wollen. Dabei habe er vorsätzlich gehandelt.
20In beiden Fällen habe er seine Pflicht zum treuen Dienen in Form der "Vermögensbewahrungspflicht" verletzt. Auch durch die Nichtbeachtung der "Richtlinien über die Verwendung der Haushaltsmittel für die Betreuung der Soldaten in der Freizeit" habe er gegen die Treuepflicht verstoßen. Des Weiteren habe der Soldat seine Gehorsamspflicht verletzt, weil er den Befehl aus Nr. 401 der ZDv 33/4, wonach Nachweise für Material zu führen seien, nicht beachtet habe. Damit habe er zugleich seine Wohlverhaltenspflicht verletzt.
21Zwar habe das Dienstvergehen keine nachteiligen Auswirkungen auf den Dienstbetrieb gehabt. Die Verfügungsgewalt des Dienstherrn sei aber kurzzeitig gelockert gewesen. Das Maß der Schuld werde durch das vorsätzliche Handeln des Soldaten bestimmt. Seine Beweggründe seien zwiespältig. Zwar sei der angegebene Grund für sein Handeln nicht völlig zu verurteilen. Jedoch habe er allein entschieden, wer bedürftig sei. Eigennützig habe er nur hinsichtlich des Fernsehers gehandelt. Die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige Führung" fielen stark zu seinen Gunsten aus. Die unterlassenen Vereinnahmungen des Kompressors und des Fahrrads seien angesichts des Zustands gut nachvollziehbar und gering zu werten. Auch unter Einbeziehung der Lebensleistung des Soldaten wäre eine Dienstgradherabsetzung unangemessen. Deshalb sei die nächstmildere Disziplinarmaßnahme zu wählen und mit einer Kürzung der Dienstbezüge zu verbinden.
223. Der Soldat hat gegen das ihm am zugestellte Urteil am unbeschränkt Berufung eingelegt. Er begehrt einen Freispruch, hilfsweise eine Einstellung des Verfahrens. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, die Gegenstände seien kein dienstliches Material gewesen. Es habe sich um von Soldaten zurückgelassenes Privateigentum gehandelt. Jedenfalls habe er nicht gewusst, dass es dienstliches Material gewesen sei. Er habe weder mit dem Zeugen F eine Übersendung von Betreuungsmaterial vereinbart noch die Transportunterlagen eingesehen. Die "Richtlinien über die Verwendung der Haushaltsmittel über die Betreuung der Soldaten in der Freizeit" seien nicht anwendbar. Er habe als S4-Offizier keine Materialausgabelisten fertigen müssen. Im Übrigen habe er formlose Übernahmebelege erstellt. Im Einsatzland verlaufe nicht alles wie im Heimatland. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme sei die lange Verfahrensdauer zu berücksichtigen.
23Die Berufung des Soldaten ist zulässig und teilweise begründet.
24Da der Soldat die Berufung in vollem Umfang eingelegt hat, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung aufgrund eigener Tat- und Schuldfeststellungen unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Dabei erweist sich eine Kürzung der Dienstbezüge des Soldaten um 1/20 für die Dauer von 15 Monaten als tat- und schuldangemessen.
251. Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass der angeschuldigte Sachverhalt nur teilweise zutrifft.
26a) Der Soldat war von Juni 2012 bis Januar 2013 Leiter der Abteilung 4 des Stabs der PATF 1. Er besuchte vom 10. bis das Feldlager 2, das aufgelöst werden sollte. Der dortige S4-Offizier, der Zeuge F, zeigte ihm bei einem Rundgang einen Container mit Fernsehern und Kühlschränken, die von Soldaten privat angeschafft und im Feldlager 2 zurückgelassen worden waren. Der Soldat äußerte, dass solches Material in 1 benötigt werde und bat den Zeugen F, eine Lieferung mit solchem Material zusammenzustellen. Nachfolgend wurden im Feldlager 2 auf Veranlassung des Zeugen F verschiedene Gegenstände, die von Soldaten privat angeschafft und im Feldlager 2 zurückgelassen worden waren, in einen Container mit der Bezeichnung "..." gepackt. Ein einheimisches Transportunternehmen verbrachte den verschlossenen Container sodann mit einem "Transportbeleg Bundeswehr", einer Inhaltsliste und dem Containerschlüssel in das Feldlager 1. Der "Transportbeleg Bundeswehr" enthielt den Lieferbezug "NAKTMAT" (gemeint: "NKATMAT" für nicht katalogisiertes Material) und nannte als Empfänger "PATF 1 S4StOffz". Die Inhaltsliste trug die Überschrift "Container ... (Inhalt: NKAT/Empfänger: PATF 1 MatGrp S4 StOffz)". Darin waren unter 22 laufenden Nummern die im Container transportierten Gegenstände mit Artikelbezeichnungen, ihrem jeweiligen vorherigen Lagerort im Feldlager 2 sowie den Vermerken "Übermaterial Betreuung" bei zwei Gegenständen und "NKAT-Liste" bei den übrigen Gegenständen aufgeführt. Der Container traf am im Feldlager 1 ein und wurde im Bereich der Materialgruppe abgestellt. Der Materialgruppenführer, Oberfeldwebel G, heftete sämtliche dem Container beigefügten Unterlagen in seinem Büro ab, informierte sodann den Soldaten - wie von diesem zuvor erbeten - über den eingetroffenen Container und überließ ihm den Containerschlüssel. Der Soldat nahm keine Einsicht in die abgehefteten Unterlagen. Der Zeuge G informierte ihn auch nicht darüber.
27Zum Anschuldigungspunkt a) ist erwiesen, dass der Soldat zwischen dem 18. und aus dem Container ... dem Zeugen A einen Kompressor und ein Fahrrad, den Zeugen C und D eine Playstation 3 mit vier Spielen und dem Zeugen E einen Fernseher übergab. Demgegenüber steht nicht fest, dass er an diesen Tagen - wie angeschuldigt -dem Zeugen B einen Kühlschrank aus dem Container überließ. Vielmehr übergab er ihm den Kühlschrank am . Die Berufungshauptverhandlung hat auch nicht ergeben, dass der Soldat den Zeugen C und D zwischen dem 18. und einen Kühlschrank und einen Tischkicker und dem Zeugen E einen Kühlschrank übergab.
28Zum Anschuldigungspunkt b) ist erwiesen, dass der Soldat zwischen dem 18. und auf seiner Stube eine Playstation 3 Slim, eine Playstation 3 Move-Camera, einen Playstation 3 Move-Controller, zwei Playstation 3 Controller, sieben Spiele für die Playstation 3, eine Anleitung, ein USB-Kabel und ein AV-Kabel für die Playstation 3 aufbewahrte und dort zudem einen Fernseher testete. Diese Gegenstände stammten aus dem Container .... Demgegenüber bewahrte er die in der Anschuldigungsschrift bezeichnete Digitalkamera nebst Zubehör nicht - wie angeschuldigt - auf seiner Stube, sondern in seinem Dienstzimmer auf.
29b) In rechtlicher Hinsicht ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass sämtliche im Container enthaltenen Gerätschaften in das Eigentum und in den Besitz des Bundes übergegangen waren, bevor sie im Feldlager 1 eintrafen.
30Der Eigentumsübergang richtet sich im vorliegenden Fall nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Welches Recht auf einen Sachverhalt mit Auslandsbezug anwendbar ist, entscheiden die deutschen Gerichte nach deutschem internationalem Privatrecht (vgl. - juris Rn. 20 und - II ZR 287/07 - juris Rn. 20). Nach Art. 43 Abs. 1 EGBGB unterliegen zwar Rechte an einer Sache dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet, hier dem heimischen Recht. Besteht aber mit dem Recht eines Staates eine wesentlich engere Verbindung, ist nach Art. 46 EGBGB ausnahmsweise dessen Recht anzuwenden. Hier besteht eine wesentlich engere Verbindung zum deutschen Recht. Denn die genannten Gegenstände wurden von Soldaten der Bundeswehr privat angeschafft, von ihnen im deutschen Feldlager 2 genutzt und bei der Auflösung dieses Feldlagers von ihnen dort zurückgelassen. Sämtliche Personen, die über die weitere Handhabung der Gegenstände bestimmten, gehörten ebenfalls der Bundeswehr an, hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und hielten sich im Rahmen einer besonderen Auslandsverwendung - der Beteiligung am ISAF-Einsatz - nur vorübergehend im Ausland auf. Das heimische Transportunternehmen, das die Gegenstände in das Feldlager 1 überführte, handelte in Erfüllung eines von dinglichen Rechten an den Gegenständen losgelösten Transportauftrags. Diese Konstellation ist so zu behandeln wie der Anwendungsfall des Art. 46 EGBGB, dass Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, auf einer gemeinsamen Auslandsreise gruppenintern über ins Ausland mitgenommene Sachen verfügen und dabei Interessen Dritter vor Ort offenkundig nicht berührt sind (dazu Spickhoff, in: BeckOK BGB, Bamberger/Roth/Hau/Poseck, Stand: , Art. 43 Rn. 6; Wendehorst, in: MüKo BGB, 7. Aufl. 2018, Art. 46 EGBGB Rn. 45 f.).
31Der Bund hat das Eigentum an den genannten Gegenständen, wenn die Soldaten sie in 2 bei der Materialbewirtschaftungsstelle abgegeben haben, nach § 929 BGB durch Einigung und Übergabe erlangt. Wenn die Soldaten die Sachen im Lager schlicht zurückgelassen haben, hat der Bund das Eigentum durch Aneignung erworben (§ 958 Abs. 2 BGB). Die Gegenstände wurden durch ihr Zurücklassen im Feldlager 2 zunächst herrenlos. Denn die Soldaten gaben ihren Besitz erkennbar in der Absicht auf, auf das Eigentum zu verzichten (§ 959 BGB). Ob die Sachen in das Eigentum und/oder den Besitz eines anderen Soldaten oder des Bundes übergehen oder entsorgt würden, war ihnen gleichgültig. Der Bund nahm die herrenlos gewordenen Gegenstände sodann durch die Materialbewirtschaftungssoldaten als Besitzdiener (§ 855 BGB) in Eigenbesitz. So wie Soldaten Besitzdiener des Bundes hinsichtlich der ihnen dienstlich anvertrauten Sachen sind (vgl. 2 WD 16.15 - BVerwGE 155, 161 <165>), sind sie dies auch im Hinblick auf solches Material, das sie in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit einer dienstlichen Verwendung zuführen. Denn das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis eines Soldaten ist ein "ähnliches Verhältnis" i.S.d. § 855 BGB, vermöge dessen ein Soldat den Weisungen, die sich auf solches Material beziehen, Folge zu leisten hat.
32Ausgehend davon erlangte der Bund an den Gegenständen schon teilweise dadurch Eigenbesitz, dass sie in die "Bestandsliste nicht katalogisiertes Material" des PRT 2 aufgenommen wurden. Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen F in der Berufungshauptverhandlung handelte es sich bei der Bestandsliste um eine "Einvernahmeliste" in dem Sinne, dass diejenigen Gegenstände, die darauf gelistet werden, in das Eigentum des Bundes übergingen.
33An den nicht in die Liste aufgenommenen Gegenständen erwarb der Bund dadurch Eigenbesitz, dass sie im Feldlager 2 auf Anweisung des dortigen S4-Stabsoffiziers F von Angehörigen der Bundeswehr in den dienstlich bereitgestellten Container ... verpackt und verschlossen und sodann als sog. nicht katalogisiertes Material nicht etwa an den Soldaten als Privatperson, sondern an das PATF 1 zu Händen des Soldaten als S4-Stabsoffizier gesteuert wurden. So enthält der dem Container ... beigefügte Transportbeleg den entsprechenden Lieferbezug und weist als Empfänger "PATF 1 S4StOffz" aus. Die beigefügte Inhaltsliste trägt die Überschrift "Container ... (Inhalt: NKAT/Empfänger: PATF 1 MatGrp S4 StOffz)". Hierdurch haben die jeweils in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit mit der Versendung der in Rede stehenden Gegenstände im Feldlager 2 befassten Bundeswehrangehörigen zum Ausdruck gebracht, dass auch diese Gegenstände fortan als dienstliches Material beim Bund verbleiben sollten.
34c) Der Senat hat die Überzeugung gewinnen können, dass der Soldat das Material des Bundes weder Dritten noch sich rechtswidrig zueignen wollte. Der Vorwurf der Unterschlagung ist zu Recht nicht angeschuldigt. Aus den erst- und zweitinstanzlichen Aussagen des Zeugen A ergibt sich, dass der Soldat ihm den Kompressor und das Fahrrad zur Prüfung zwecks Aufnahme in eine NKAT-Liste im Fall der Brauchbarkeit und zwecks Vernichtung im Fall der Nichtbrauchbarkeit übergab. Bei der Übergabe der Playstation 3 nebst Spielen an die Zeugen C und D und des Fernsehers an den Zeugen E äußerte der Soldat, dass sie die Gegenstände nur so lange behalten dürften, bis jemand anders Bedarf anmelde, bzw. Gegenstände, die woanders gebraucht würden, zurückzugeben seien.
35Ebenso wenig wollte der Soldat sich die auf seine Stube verbrachten Gegenstände zueignen. Seine Behauptung, er habe die Playstation auf dem Weg zur Unterkunft für eine Betreuungseinrichtung beim Spieß abgeben wollen, der nicht mehr da gewesen sei, und habe die Playstation deshalb vorübergehend mit auf seine Stube genommen, ist nicht zu widerlegen gewesen. Entsprechendes gilt für seine Einlassung, er habe den Fernseher nur deshalb mit auf seine Stube genommen, um ihn zu testen, damit er im Fall der Funktionsfähigkeit im noch nicht fertiggestellten Stabsgebäude, das noch keine Antennenanlage gehabt habe, hätte aufgestellt werden können, wofür eine Bedarfsanfrage vorgelegen habe. Soweit diese Einlassung zunächst Zweifeln unterlegen hat, weil der Soldat in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Verbringung des Fernsehers aus dem Container auf seine Stube seinen eigenen Fernseher an zwei Kameraden verkauft hatte, hat er diese Zweifel in der Berufungshauptverhandlung ausgeräumt. Dort hat er die Kopie einer Rechnung vom über die Bestellung eines Fernsehers vorgelegt, der seinen verkauften Fernseher ersetzen sollte. Auch ergab die Befragung des Soldaten zu der erstinstanzlichen Aussage des Zeugen H, dass die von diesem bezeugte anderweitige Deckung der Bedarfsanfrage bezüglich des Fernsehers für das neue Stabsgebäude erst erfolgte, nachdem die Feldjäger den vom Soldaten zu diesem Zweck vorgesehenen, auf seine Stube verbrachten Fernseher eingezogen hatten.
362. Der Soldat hat durch die Aufbewahrung der Playstation und des Fernsehers auf seiner Stube sowie mit der Weitergabe der Playstation 3 nebst vier Spielen an die Zeugen C und D und des Fernsehers an den Zeugen E (anders als mit der Übergabe des Kompressors und des Fahrrads an den Zeugen A) ein gemäß § 18 Abs. 2 WDO einheitlich zu ahndendes Dienstvergehen begangen. Denn er hat dadurch schuldhaft mehrere Dienstpflichten verletzt (§ 23 Abs. 1 SG).
37a) Das Truppendienstgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Soldat seine Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG schuldhaft verletzt hat. Diese gebietet dem Soldaten, seine dienstlichen Aufgaben und Pflichten gewissenhaft, sorgfältig und loyal zu erfüllen ( 2 WD 5.10 - juris Rn. 37). Sie umfasst sowohl die Pflicht zur Beachtung von Dienstvorschriften (vgl. 2 WD 40.09 - juris Rn. 24) als auch die Pflicht, das Vermögen des Dienstherrn zu schützen (vgl. 2 WD 2.18 - juris Rn. 21 m. w. N.). Der Soldat hat seine Treuepflicht in beiden Ausprägungen verletzt:
38aa) Er hat zum einen Dienstvorschriften missachtet. Nach der in den Akten enthaltenen Beschreibung des Tätigkeitsbildes eines Truppenversorgungsstabsoffiziers Streitkräfte durch die Bundeswehr hatte der Soldat als solcher u. a. die vorschriftengerechte Durchführung der Materialwirtschaft sicherzustellen, den Bestandsnachweis zu überwachen und die Nachweis- und Bestandsprüfungen im Verantwortungsbereich sicherzustellen. Dem ist er nicht nachgekommen. Denn er hat hinsichtlich der in Rede stehenden Gegenstände nicht dafür gesorgt, dass sie vorschriftsgemäß nachgewiesen wurden. Vielmehr hat er es verhindert, dass seine Materialgruppe die Gegenstände ordnungsgemäß gelistet bzw. umgebucht hat.
39Nach Nr. 401 der Zentralen Dienstvorschrift "Die Materialbewirtschaftung in der Bundeswehr" (ZDv 33/4) ist der Verbleib des entgeltlich oder unentgeltlich in den Besitz der Bundeswehr übernommenen Materials nachzuweisen. Diese Regelung wird in den Nr. 601 und 602 der "Besonderen Anweisung Logistik: Die Materialbewirtschaftung in den Streitkräften", Band 11 (BesAnLog 33/4-10-26-0019/11) modifiziert. Nach Nr. 601 BesAnLog 33/4-10-26-0019/11 sind aus privaten Mitteln beschaffte Gegenstände im Eigentum der Bundeswehr (z. B. aus Sammlungen oder Schenkungen) nicht im Bestandsnachweis nachzuweisen, sofern der Wert jedes einzelnen Artikels den geschätzten Betrag von 150 € nicht übersteigt. Damit die Übersicht über diese Gegenstände gewährleistet ist, sind sie nach Nr. 602 BesAnLog 33/4-10-26-0019/11 in einer formlosen "Liste über Gegenstände, die aus privaten Mitteln beschafft wurden", zu führen.
40Waren Gegenstände im Feldlager 2 bereits als dienstliches Material gelistet, musste im Fall der Übergabe an das Feldlager 1 dort eine Umbuchung vorgenommen werden; bis zur Umbuchung verblieb das dienstliche Material in der Regel in der Materialgruppe. Dies ergibt sich aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Erläuterungen des Zeugen G in der Berufungshauptverhandlung.
41Hinsichtlich des dem Zeugen E übergebenen Fernsehers hat der Soldat eine solche Umbuchung vor der Verbringung des Fernsehers auf die Stube des Zeugen E nicht sichergestellt. Da der Fernseher im Feldlager 2 in der Bestandsliste als dienstliches Material aufgeführt war, wäre eine Umbuchung nach dem Eintreffen des Fernsehers im Feldlager 1 erforderlich gewesen.
42Bezüglich der den Zeugen C und D übergebenen Playstation 3 nebst vier Spielen, der auf seine Stube verbrachten Playstation 3 Slim und des auf seine Stube verbrachten Fernsehers hat der Soldat nicht dafür gesorgt, dass Nr. 401 ZDv 33/4 bzw. Nr. 602 BesAnLog 33/4-10-26-0019/11 eingehalten wurden. Da diese im Feldlager 2 nicht in die Bestandsliste aufgenommenen Gegenstände unentgeltlich in das Eigentum des Bundes und in den Besitz der Bundeswehr gelangt waren, hätten sie nach ihrem Eintreffen im Feldlager 1 von der zuständigen Person - je nach Wert des Gegenstands - entweder nachgewiesen oder in eine formlose "Liste über Gegenstände, die aus privaten Mitteln beschafft wurden" aufgenommen werden müssen. Dies hat der Soldat vor der Verbringung der Gegenstände auf die Stuben nicht sichergestellt. Die von ihm selbst gefertigten formlosen, von den darin genannten Empfängern nicht unterschriebenen Übernahmebelege stellen keinen solchen Nachweis bzw. keine solche Liste dar.
43Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass der Soldat hinsichtlich des Kompressors und des Fahrrads, die er dem Zeugen A übergab, die Einhaltung der Dienstvorschriften nicht sichergestellt hat. Denn er hat beide in einem sehr schlechten Zustand befindlichen Gegenstände dem Zeugen A dessen erst- und zweitinstanzlichen Aussagen zufolge zur Überprüfung gerade mit dem Ziel übergeben, dass sie im Fall der Brauchbarkeit im Feldlager 1 nachgewiesen würden. Wie sich aus der Aussage des Zeugen G ergibt, war eine solche Überprüfung auf die Brauchbarkeit in der Materialgruppe selbst, wo nur Sichtprüfungen durchgeführt wurden, nicht möglich. Der Zeuge A hat weiter bekundet, dass auch eine Gegenzeichnung vor einer Prüfung nicht üblich gewesen sei. Sowohl der Kompressor als auch das Fahrrad sind durchweg im dienstlichen Gewahrsam verblieben.
44bb) Entgegen der Ansicht des Truppendienstgerichts hat der Soldat nicht auch gegen die "Richtlinien über die Verwendung der Haushaltsmittel für die Betreuung der Soldaten in der Freizeit" (VMBl. 2003, 53 ff.) verstoßen. Diese betreffen - wie sich bereits aus ihrer Bezeichnung ergibt - ausschließlich solches Freizeitmaterial, welches aus Haushaltsmitteln beschafft wurde. Der Inhalt der Richtlinie lässt nicht darauf schließen, dass sie über ihren Wortlaut hinaus auch solches Freizeitmaterial erfassen soll, das - wie hier - nicht aus Haushaltsmitteln finanziert wurde.
45cc) Der Soldat hat durch die Weitergabe der Playstation an die Zeugen C und D, des Fernsehers an den Zeugen E und die Aufbewahrung der Playstation und des Fernsehers auf seiner Stube des Weiteren gegen seine Pflicht verstoßen, das Vermögen seines Dienstherrn zu schützen. Denn er hat dieses dienstliche Material vorübergehend der dienstlichen Sphäre entzogen. Dadurch, dass die Gegenstände auf die Stuben des Soldaten und seiner Kameraden verbracht wurden, waren sie mangels vorheriger Umbuchung bzw. Nachweisführung bzw. Listung einer erhöhten Gefahr ausgesetzt, abhanden zu kommen. Dies gilt wiederum nicht für den Kompressor und das Fahrrad, die sich - wie ausgeführt - durchweg in dienstlichem Gewahrsam befanden.
46dd) Der Soldat hat die festgestellten Verstöße gegen seine Pflicht zum treuen Dienen auch schuldhaft verletzt.
47Zwar ist ihm entgegen der Annahme des Truppendienstgerichts ein vorsätzliches Handeln nicht nachzuweisen. Vorsatz hat, wer mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung handelt (vgl. 2 WD 13.09 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 54). Dem Soldaten war indes nicht nachzuweisen, dass er wusste, dass die betreffenden Gegenstände bereits dienstliches Material des Bundes waren. Die Berufungshauptverhandlung hat weder ergeben, dass er mit dem Zeugen F über die Vereinnahmung des Materials geredet hatte, noch, dass er Kenntnis vom Inhalt der Transportunterlagen hatte, aus denen sich der dienstliche Verwendungszweck ergab. Vielmehr hat der Soldat gedacht, dass es sich um von Soldaten zurückgelassenes Privateigentum handelte, dass solches geblieben war. Dieser Irrtum ist so zu behandeln wie die Konstellation, dass ein Täter im Bereich des Diebstahls (§ 242 StGB) eine Sache irrtümlich für herrenlos hält. In derartigen Fällen wird davon ausgegangen, dass dem Täter infolge eines Tatbestandsirrtums der Vorsatz fehlt (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 242 Rn. 31 m.w.N.).
48Der Soldat hat seine Pflicht zum treuen Dienen aber grob fahrlässig verletzt. Als ausgebildeter und erfahrener S4-Offizier hätte ihm bei Anstellung der einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen einleuchten müssen, dass es sich bei den auf Kosten des Bundes verpackten, versicherten und versandten Gegenständen in dem Container bereits um dienstliches Material handelte. Denn der Zeuge I hat in der Berufungshauptverhandlung glaubhaft versichert, er habe den Soldaten mindestens drei Mal nach einer Liste gefragt und sich bei ihm erkundigt, ob das Material vereinnahmt werden solle. Dies hätte der Soldat zum Anlass nehmen müssen, sich Gewissheit über die Eigentumsverhältnisse an den Gegenständen zu verschaffen. Er hätte z. B. ohne Weiteres nochmals Rücksprache mit dem PRT 2 nehmen und sich beim Materialgruppenführer G nach den Transportunterlagen erkundigen und an deren Inhalt erkennen können, dass es sich um für den Dienstgebrauch bereit gestelltes Material handelte.
49b) Der Soldat hat durch die Aufbewahrung der Playstation und des Fernsehers auf seiner Stube sowie mit der Weitergabe der Playstation 3 nebst vier Spielen an die Zeugen C und D und des Fernsehers an den Zeugen E des Weiteren seine Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG schuldhaft verletzt. Danach muss das Verhalten eines Soldaten dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Dienst als Soldat erfordert. Im vorliegenden Fall ist eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit dadurch eingetreten, dass der Soldat das dienstliche Material nach Gutdünken an einzelne Untergebene verteilt bzw. auf seine eigene Stube verbracht hat. Dieses Verhalten war geeignet, Zweifel an seiner Redlichkeit und Zuverlässigkeit als Soldat und Vorgesetztem zu wecken. Dabei hat der Soldat ebenfalls grob fahrlässig gehandelt. Insoweit gelten die obigen Erwägungen entsprechend.
50c) Entgegen der Annahme des Truppendienstgerichts hat der Soldat nicht auch seine Gehorsamspflicht verletzt. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SG muss der Soldat seinen Vorgesetzten gehorchen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 SG hat er ihre Befehle nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen. Es kann dahinstehen, ob - wie das Truppendienstgericht meint - Nr. 401 der ZDv 33/4 einen Befehl enthält. Offenbleiben kann auch, ob Nr. 601 und 602 der BesAnLog 33/4-10-26-0019/11 Befehlscharakter haben. Denn gegen einen etwaigen sich aus diesen Vorschriften ergebenden Befehl hat der Soldat nicht verstoßen. Er selbst hatte als S4-Stabsoffizier weder den Verbleib des Materials im Feldlager 1 nachzuweisen noch die formlose "Liste über Gegenstände, die aus privaten Mitteln beschafft wurden" zu führen. Vielmehr bestand seine Aufgabe - wie ausgeführt - darin, die vorschriftengerechte Durchführung der Materialwirtschaft sicherzustellen, den Bestandsnachweis zu überwachen und die Nachweis- und Bestandsprüfungen im Verantwortungsbereich sicherzustellen. Dadurch, dass er diesen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, hat er nicht selbst gegen Nr. 401 ZDv 33/4 und/oder Nr. 601 und 602 BesAnLog 33/4-10-26-0019/11 verstoßen.
513. Bei Art und Maß der wegen des Dienstvergehens zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Dabei erweist sich eine Kürzung der Dienstbezüge des Soldaten um 1/20 für die Dauer von 15 Monaten als tat- und schuldangemessen.
52a) Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungsschema aus. Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen". Auf der zweiten Stufe prüft er, ob im Einzelfall im Hinblick auf die vorstehend genannten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, welche die Möglichkeit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht hinsichtlich des Disziplinarmaßes einen Spielraum eröffnet (vgl. 2 WD 15.17 - juris Rn. 49 und vom - 2 WD 19.18 - juris Rn. 29 f.).
53b) Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist hier eine Kürzung der Dienstbezüge im mittleren Bereich. Hierfür sind folgende Erwägungen maßgebend:
54Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei einem Soldaten in einer Vorgesetztenstellung, der sich vorsätzlich an Eigentum oder Vermögen seines Dienstherrn vergreift, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen regelmäßig eine Dienstgradherabsetzung. Erfolgt der vorsätzliche Zugriff im Bereich der dienstlichen Kernpflichten eines Soldaten, wenn etwa auf anvertrautes Gut zugegriffen wird, ist die Entfernung aus dem Dienst Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen (vgl. 2 WD 16.15 - BVerwGE 155, 161 <168> m.w.N.). In der Rechtsprechung des Senats ist ferner geklärt, dass fahrlässige Pflichtverletzungen grundsätzlich milder zu ahnden sind als vorsätzliche Pflichtverletzungen (vgl. 2 WD 2.18 - juris Rn. 28). Dies gilt auch für grob fahrlässige Pflichtverletzungen (vgl. 2 WD 16.97 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 19). Denn die Rechtsordnung bewertet den Unrechtsgehalt zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Handeln regelmäßig unterschiedlich (vgl. 2 WD 7.10 - NZWehrr 2012, 35).
55Der Soldat hat sich zwar in einer Vorgesetztenstellung am Eigentum und Vermögen seines Dienstherrn vergriffen. Mangels (Dritt-)Zueignungsabsicht hat er aber kein strafbares Zugriffsdelikt in Form eines Diebstahls oder einer Unterschlagung begangen, sondern eine straflose Gebrauchsanmaßung (furtum usus). Die betreffenden Gegenstände waren dem Soldaten auch nicht anvertraut. Ein Soldat greift nur dann auf einen ihm anvertrauten Gegenstand zu, wenn dieser sich bei gewöhnlichem Ablauf regulär in seinem Arbeitsbereich befindet und sich der Soldat auch faktisch gewöhnlich mit der Verwahrung und Verwaltung von derartigen Gegenständen befasst (vgl. 2 WD 16.12 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 43). Die bloße Möglichkeit des Zugriffs auf Gegenstände begründet kein Anvertrautsein (vgl. 2 WD 20.09 - juris Rn. 23). Der Soldat war nicht regulär mit der Entgegennahme von Materiallieferungen und der Weitergabe von angeliefertem Material betraut. Dass er den Container LC09 an sich als S4-Stabsoffizier steuern und sich vom Materialgruppenführer im Feldlager 1 den Containerschlüssel aushändigen ließ, verschaffte ihm nur die Möglichkeit des Zugriffs auf die Gegenstände im Container. Gleichwohl ist darin ein besonderer Bezug des Dienstvergehens zu dem ihm übertragenen Aufgabenkreis zu sehen. Denn nur in seiner Funktion als S4-Stabsoffizier, der die Materialflüsse zu koordinieren und Material anzufordern und abzusteuern hatte, war es dem Soldaten möglich, sich diese Zugriffsmöglichkeit zu verschaffen. Wie ausgeführt hat der Soldat dabei grob fahrlässig gehandelt.
56Bei einer solchen grob fahrlässigen, schwerpunktmäßigen Verletzung der Pflicht, das Vermögen des Dienstherrn zu schützen, durch eine mehrfache straflose Gebrauchsanmaßung an dienstlichem Material seitens eines in der Materialbewirtschaftung eingesetzten Soldaten in einer Vorgesetztenstellung, dem das dienstliche Material nicht anvertraut ist, erscheint als Regelmaßnahme eine Kürzung der Dienstbezüge im mittleren Bereich angemessen. Nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 59 Satz 1 WDO besteht die Bezügekürzung in der bruchteilsmäßigen Verminderung der Dienstbezüge um mindestens 1/20 und höchstens 1/5 für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Eine Bezügekürzung im mittleren Bereich ist dementsprechend mit einer Kürzung um 1/10 für die Dauer von 30 Monaten anzusetzen.
57c) Davon ausgehend liegt bei einer Gesamtwürdigung aller den Soldaten be- und entlastenden Umstände im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO ein weniger schwerer Fall vor.
58aa) Das Maß der Schuld des uneingeschränkt schuldfähigen Soldaten wird allerdings nicht durch Umstände in der Tat gemildert. Dies wäre der Fall, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet gewesen wäre, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden könnte. Dazu hat der Senat verschiedene - nicht abschließende - Fallgruppen entwickelt, insbesondere ein Handeln unter schockartig ausgelöstem psychischem Zwang oder unter Umständen, die es als unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten erscheinen lassen, sowie ein Handeln in einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation (vgl. 2 WD 3.17 - juris Rn. 62).
59Eine von derart außergewöhnlichen Besonderheiten geprägte Situation lag hier nicht vor. Zwar war im Feldlager 1 der Dienstposten des Truppenversorgungsbearbeiters - der "rechten Hand" des S4-Stabsoffiziers - seit Beginn des dortigen Einsatzes des Soldaten am unbesetzt. Auch hatte der Soldat bereits am ohne Erfolg eine Besetzung dieser Stelle beantragt, da die Vakanz auf dieser Schlüsselposition "absolut nicht hinnehmbar" sei und es andernfalls "zwangsläufig im Verlauf des Kontingentes zu Einschränkungen bei der Auftragserfüllung kommen" werde. Zudem zog die gesamte Abteilung des Soldaten in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Dienstvergehen von einem Zeltarbeitsplatz in ein neues Stabsgebäude. Des Weiteren war die Situation im Einsatzland ... als solche belastend, zumal nach den Angaben des Soldaten alle "unter Strom gestanden hätten", weil das Feldlager 2 schnellstmöglich geräumt werden sollte, wobei der Soldat einen Sicherheitsauftrag hatte. Diese für den Soldaten schwierige Gesamtsituation stellt aber keine so außergewöhnliche Belastungssituation dar, dass von ihm eine Sicherstellung der vorschriftengerechten Durchführung der Materialwirtschaft, die ihm aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung geläufig war und auf die er zudem mehrfach vom Zeugen I hingewiesen worden war, nicht mehr hätte erwartet werden können. Mit Blick auf das sich über zwei Tage erstreckende Tatgeschehen, die wiederholten Gebrauchsanmaßungen und das Festhalten am Vorgehen trotz der Hinweise des Zeugen I liegt auch keine persönlichkeitsfremde Augenblickstat vor.
60bb) Die Beweggründe des Soldaten wirken sich ebenfalls nicht maßnahmemildernd aus. Das Truppendienstgericht hat sie zu Recht als "zwiespältig" bewertet. Zwar ist dem Soldaten - auch hinsichtlich der auf seine Stube verbrachten Gegenstände - kein eigennütziges Handeln vorzuwerfen. Auch ist sein Ansinnen, die im Feldlager 2 nicht mehr benötigten Gegenstände im Feldlager 1 einer sinnvollen Nutzung zuzuführen, positiv zu sehen. Negativ zu werten ist, dass er die für dienstliches Material geltenden Vorschriften außer Acht gelassen hat. Der Soldat hat als Vorgesetzter die betreffenden Gegenstände nach Gutdünken an einzelne ihm unterstellte Soldaten verteilt und sich damit selbst die Entscheidung darüber vorbehalten, wen er für bedürftig hielt.
61cc) Zu Lasten des Soldaten ist zu berücksichtigen, dass sein Dienstvergehen nachteilige Auswirkungen auf den Dienstbetrieb hatte. Zwar ist dem Bund durch den vorübergehenden Entzug des dienstlichen Materials kein nennenswerter wirtschaftlicher Schaden entstanden. Auch dienten die betreffenden Gegenstände als Freizeitmaterial nicht (wie etwa Ausrüstungsgegenstände) der Dienstverrichtung im engeren Sinne. Jedoch hat das Verteilen des Materials nach Gutdünken im Kameradenkreis zu großem Aufsehen und Aufruhr geführt, weil einige Kameraden mit Gegenständen aus dem Container bedacht wurden, andere hingegen nicht. Zudem erschwerte die verfahrensbedingte Aberkennung des Sicherheitsstatus die vollumfängliche Aufgabenerfüllung als Abteilungsleiter.
62dd) Zu Gunsten des Soldaten sprechen demgegenüber die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige Führung". Der Soldat ist disziplinar- und strafrechtlich nicht vorbelastet. Dies hat allerdings noch kein milderndes Gewicht, weil der Soldat insoweit nur den Mindesterwartungen an einen Soldaten gerecht wird. Auch der Milderungsgrund einer Nachbewährung (vgl. 2 WD 10.12 - juris Rn. 48 und vom - 2 WD 18.18 - juris Rn. 31) liegt nicht vor, weil eine deutliche Leistungssteigerung während des Disziplinarverfahrens angesichts der vorliegenden Beurteilungen und Stellungnahmen der Leumundszeugen nicht festzustellen ist. Jedoch spricht mit besonderem Gewicht für den Soldaten, dass er sich in sechs Auslandseinsätzen bewährt hat (vgl. 2 WD 2.18 - juris Rn. 30). Ihm wurden vier Einsatzmedaillen verliehen. Ferner trägt er das Leistungsabzeichen "Stufe III (Gold)" und hat mehrere förmliche Anerkennungen erhalten. Darüber hinaus ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er sich seit vielen Jahren in großem Umfang ehrenamtlich engagiert, derzeit als Ortsbeiratsvorsitzender, als Schöffe beim Landgericht und als Revisor beim Bundeswehrverband. Aufgrund der für den Soldaten sprechenden Umstände wäre es geboten, die Dauer der Bezügekürzung von 30 Monaten auf 15 Monate zu halbieren.
63d) Die hinzutretende unangemessen lange Verfahrensdauer rechtfertigt es, zudem den Kürzungsanteil von 1/10 auf 1/20 zu halbieren.
64Bei pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahmen wie einer Bezügekürzung stellt ein gegen Art. 6 EMRK und rechtsstaatliche Grundsätze des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verstoßendes überlanges Disziplinarverfahren einen Milderungsgrund dar (vgl. 2 WD 2.18 - juris Rn. 38). Denn das Verfahren als solches wirkt bereits belastend und ist deshalb mit pflichtenmahnenden Nachteilen verbunden, die nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Sanktionsbedürfnis mindern können (vgl. 2 WD 1.17 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 55). Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist nach den Umständen des Falls unter Berücksichtigung seiner Schwierigkeit, des Verhaltens des Betroffenen und der zuständigen Behörden und Gerichte sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen zu beurteilen. Dies erfordert eine Einzelfallprüfung ohne feste Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungs- und Anhaltswerte (vgl. 2 WD 2.18 - juris Rn. 38 m.w.N.). Bei der Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer ist nicht nur die Dauer des gerichtlichen Verfahrens, sondern auch die Zeit vor Einleitung des Disziplinarverfahrens zu berücksichtigen ( 2 WD 19.18 - juris Rn. 45).
65Danach weist das Verfahren hier eine nicht zu rechtfertigende Überlänge von insgesamt mindestens dreieinhalb Jahren auf.
66Zwischen der Verhängung der einfachen Disziplinarmaßnahme am und der Zustellung der Einleitungsverfügung am liegt ein Zeitraum von etwa zwei Jahren und viereinhalb Monaten. Da es nach Verhängung der Disziplinarbuße keiner weiteren Sachverhaltsermittlungen bedurfte, hätte das gerichtliche Disziplinarverfahren nach Durchführung der noch erforderlichen Anhörungen viereinhalb Monate nach der Verhängung der einfachen Disziplinarmaßnahme eingeleitet werden können. Dass es stattdessen u. a. wegen eines Wechsels der Zuständigkeit von der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der 13. auf diejenige für den Bereich der 1. Panzergrenadierdivision zwei Jahre nicht nennenswert gefördert wurde, darf als ein in der Verantwortung des Staates liegender Umstand dem Soldaten nicht zur Last fallen. Das Einleitungsverfahren hat daher zwei Jahre zu lang gedauert.
67Darüber hinaus weist das erstinstanzliche Verfahren eine nicht zu rechtfertigende Überlänge von etwa eineinhalb Jahren auf. Das Truppendienstgericht hat über die am eingegangene Anschuldigung erst nach etwa zweieinhalb Jahren am entschieden. Das Verfahren hatte im Hinblick darauf, dass eine vorsätzliche Pflichtverletzung angeschuldigt war und eine Degradierung im Raum stand, erhebliche Bedeutung. Gründe für die mangelnde Förderung des Verfahrens sind der Akte über lange Zeiträume nicht zu entnehmen. Angesichts dessen, dass es sich um einen Fall mittlerer Schwierigkeit handelte und das Prozessverhalten des Soldaten und der Wehrdisziplinaranwaltschaft nicht zu Verzögerungen führte, wäre zu erwarten gewesen, dass das erstinstanzliche Verfahren binnen eines Jahres abgeschlossen wird. Dass dies wegen der allgemein bekannten Überlastung der Truppendienstgerichte nicht möglich gewesen ist, kann als ein ebenfalls in der Verantwortung des Staates liegender Umstand die Länge des Verfahrens nicht rechtfertigen.
68Zwar wurde durch das damit um insgesamt mindestens dreieinhalb Jahre zu lange Verfahren keine Beförderung des Soldaten „blockiert“. Denn der Soldat war - wie ausgeführt - kurz nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der einfachen Disziplinarmaßnahme zum Oberstleutnant befördert worden und konnte nicht mit einer weiteren Beförderung rechnen. Gleichwohl hat ihn die erhebliche Überlänge des Verfahrens deutlich über Gebühr belastet, was eine Kompensation in Form der Halbierung des Kürzungsanteils als angemessen erscheinen lässt.
693. Gründe für die hilfsweise beantragte Einstellung des Verfahrens liegen nicht vor.
704. Wegen der nachträglichen Verhängung der gerichtlichen Disziplinarmaßnahme verbleibt es nach § 96 Abs. 2 Satz 1 WDO bei der Aufhebung der einfachen Disziplinarmaßnahme durch das Truppendienstgericht. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 139 Abs. 3 und § 140 Abs. 5 Satz 1 WDO. Die erstinstanzliche Kostenentscheidung bleibt unberührt.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:280819U2WD28.18.0
Fundstelle(n):
CAAAH-35985