Wiedereinsetzung im Strafverfahren: Irrtum über den Lauf der Revisionsbegründungsfrist bei übersetzter Rechtsmittelbelehrung
Instanzenzug: LG Hildesheim Az: 27 Js 25853/18 - 20 KLs
Gründe
1I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2Nachdem sein Verteidiger für ihn fristgerecht Revision eingelegt hatte, ist jenem das Urteil am zugestellt worden. Als bis zum eine Revisionsbegründung nicht eingegangen war, hat das Landgericht mit Beschluss von diesem Tag die Revision nach § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen. Der Beschluss ist dem Verteidiger am zugestellt und an den Angeklagten formlos übersandt worden.
3Mit beim Landgericht am eingegangenem persönlichen Schreiben vom hat der Angeklagte unter Bezugnahme auf die dem Beschluss angefügte Belehrung über das Rechtsmittel des § 346 Abs. 2 StPO darum gebeten, ihm eine Übersetzung des Urteils in die polnische Sprache zukommen und "die Frist ... (zur Revisionsbegründung erneut) starten zu lassen", wenn ihm diese Übersetzung vorliege.
4Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom , eingegangen beim Landgericht Hildesheim am selben Tag, hat der Angeklagte die Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss beantragt, "vorsorglich" um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ersucht und die Revision "kurz zusammenfassend" begründet. Zum Wiedereinsetzungsantrag ist dort ausgeführt, der Angeklagte habe keine Übersetzung des Urteils in die polnische Sprache erhalten, sodass nach dessen Auffassung die Revisionsbegründungsfrist noch nicht zu laufen begonnen habe. Aufgrund eines "sprachlichen Missverständnisses am Telefon" sei der Verteidiger davon ausgegangen, dass der Angeklagte keine Durchführung des Revisionsverfahrens gewollt habe.
5Mit weiterem, beim Landgericht am eingegangenem persönlichen Schreiben vom hat der Angeklagte erneut "die Übersetzung auf Polnisch" erbeten und behauptet, sein Verteidiger habe ihn "angelogen", indem er wahrheitswidrig erklärt habe, er habe Revision eingelegt.
6II. Die Anträge auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2 StPO) sowie auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44, 45 StPO) bleiben erfolglos. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
"1) Der rechtzeitig eingegangene Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts ist unbegründet, weil das zu Recht gemäß § 346 Abs. 1 StPO das Rechtsmittel als unzulässig verworfen hat; die Revision hätte bis spätestens begründet werden müssen. Entgegen der Auffassung des Verurteilten war die Revisionsbegründungsfrist nicht bis zur Zustellung einer Übersetzung des Urteils in die polnische Sprache gehemmt. Denn gemäß § 345 Abs. 2 StPO beginnt die einmonatige Frist zur Begründung der Revision spätestens mit der Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe. Auf den Eingang einer etwaigen Übersetzung käme es dabei selbst dann nicht an, wenn der Verurteilte einen Anspruch auf Fertigung einer solchen Übersetzung hätte. Dies ist indessen vorliegend schon nicht der Fall, weil der Verurteilte verteidigt ist (vgl. -, juris). In diesem Fall wird die effektive Verteidigung des sprachunkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet, dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt und der Angeklagte die Möglichkeit hat, das Urteil mit ihm - gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Dolmetschers - zu besprechen (BGH, aaO mwN; KK-Diemer, StPO, 8. Aufl., § 187 GVG, Rn 4).
2) Der Widereinsetzungsantrag betreffend die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision ist unzulässig.
a) Aus dem Schreiben des Verteidigers vom ergibt sich nicht, dass den Verurteilten kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft. Insoweit fehlt es an der Glaubhaftmachung der zugrundeliegenden Tatsachen; die Behauptung eines „sprachlichen Missverständnisses am Telefon“ vermag den Vortrag der maßgeblichen Geschehensabläufe nicht zu ersetzen. Es hätte näherer Darlegung bedurft, worin dieses Missverständnis bestand, insbesondere wäre mitzuteilen und glaubhaft zu machen gewesen, was der Verurteilte im Einzelnen mit seinem Verteidiger besprochen, was dieser wiederum verstanden hatte und wann und wie sich das „Missverständnis“ aufgeklärt hat.
Aufgrund der Umstände liegt ein dahingehendes Missverständnis auf Seiten des Verteidigers, er hätte das Rechtsmittel weiterverfolgen und die Revision auch innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO begründen sollen, auch nicht derart nahe, dass Vortrag hierzu entbehrlich gewesen wäre. Denn nach der im Schreiben vom dargelegten Auffassung des Verurteilten konnte die Frist zur Begründung der Revision noch gar nicht beginnen, sodass aus seiner Sicht auch nicht die Notwendigkeit bestand, seinen Verteidiger mit der binnen eines Monats zu fertigenden Begründung des Rechtsmittels zu beauftragen. Ein Irrtum des Verurteilten über den Lauf der Rechtsmittelbegründungsfrist wäre ihm aber als Verschulden anzulasten, da ihm nach der Urteilsverkündung, übersetzt in die polnische Sprache, eine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden war (vgl. Band III, Bl. 74). Das Schreiben des Verurteilten vom (Band III, Bl. 146) deutet ebenfalls nicht auf ein Missverständnis bei der Beauftragung, sondern auf einen Irrtum über den Lauf der Revisionsbegründungsfrist hin. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Darstellung des Verurteilten im weiteren Schreiben vom (Band III, Bl. 158), wonach der Verteidiger ihm gesagt habe, die Revision eingelegt zu haben, obwohl dies nicht der Wahrheit entspreche. Dies belegt allenfalls, dass der Verurteilte seinen Verteidiger mit der - später tatsächlich erfolgten - Einlegung des Rechtsmittels beauftragt hat, nicht jedoch, dass er ihn schon zum damaligen Zeitpunkt oder später mit der Begründung der Revision beauftragt hat.
b) Ob der Wiedereinsetzungsantrag auch deshalb unzulässig wäre, weil der Antragsteller nicht ausreichend Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses gemacht hat (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO), kann daher dahingestellt bleiben (vgl. zum Erfordernis entsprechenden Vortrags: Senat, Beschlüsse vom - 3 StR 92/18 -, juris; vom - 3 StR 560/18 -, juris). Insoweit könnten die Abläufe und das Schreiben des Verurteilten vom den Schluss darauf zulassen, dass er erst mit Zugang des Beschlusses vom von der Nichtweiterverfolgung seines Rechtsmittels Kenntnis erlangt hat."
7Dem schließt sich der Senat an.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:040619B3STR183.19.0
Fundstelle(n):
QAAAH-35804