BGH Beschluss v. - 4 StR 34/19

Feststellung eines Hangs bei vorbehaltener Sicherungsverwahrung

Gesetze: § 66a Abs 2 Nr 1 StGB, § 66a Abs 2 Nr 3 StGB

Instanzenzug: LG Frankenthal Az: 5120 Js 3189/18 1a Ks

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung vorbehalten.

2Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg und führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet; Schuld- und Strafausspruch sowie die Einziehungsentscheidung halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte am Tattag zur Filiale seiner Bank, weil es ihm am Vortag trotz Guthabens nicht gelungen war, an einem Geldautomaten Bargeld für einen Lebensmitteleinkauf abzuheben. Dabei führte er in seinem Rucksack ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 13 Zentimetern mit sich, mit dem er dafür Sorge tragen wollte, dass man „ihn in jedem Fall ernst“ nehme. Nachdem eine Mitarbeiterin festgestellt hatte, dass die gewünschte Abhebung infolge einer durch die Staatsanwaltschaft veranlassten Kontopfändung nicht möglich sei, beschwerte der Angeklagte sich lautstark und forderte wiederholt die sofortige Auszahlung von Bargeld. Er fühlte sich infolge des Verhaltens der Mitarbeiterin nicht ernst genommen, wurde zunehmend aggressiv, fluchte laut und stieß Drohungen aus. Die von der Angestellten unternommenen Versuche, den Angeklagten zu beruhigen, blieben ebenso erfolglos wie die Versuche des von ihr hinzugerufenen Filialleiters, die Situation zu befrieden. Die schließlich vom Filialleiter ausgesprochene Aufforderung, die Bankfiliale zu verlassen, da anderenfalls die Polizei gerufen werde, steigerte die Verärgerung des Angeklagten. Er holte schließlich das mitgeführte Küchenmesser aus seinem Rucksack hervor, hob dieses mit dem Griff nach oben drohend in die Höhe und erklärte, er werden den ersten Polizisten, der die Filiale betrete „abstechen“. Das Verlassen des Gebäudes durch den Filialleiter deutete der Angeklagte dahin, dass dieser Kunden und Angestellte in der Filiale zurücklassen und sich selbst in Sicherheit bringen wolle, und er entschloss sich, „ein Zeichen zu setzen“. Der Angeklagte verließ die Filiale und lief - das Messer nunmehr am Griff in der rechten Hand haltend - auf den Filialleiter zu, um ihm damit in den Kopf- bzw. Halsbereich zu stechen. In Umsetzung dieses Tatentschlusses stach der Angeklagte aus dem Lauf heraus mit dem Messer in Richtung des Kopfes bzw. Halses des Geschädigten, der dem Stich durch eine seitliche Bewegung ausweichen konnte. Sodann schlug der Angeklagte den Geschädigten, wodurch dieser benommen zu Boden sank, sich jedoch rasch wieder erheben konnte. Nunmehr führte der Angeklagte erneut mit dem Messer eine Stichbewegung in Richtung des Kopfes bzw. Halses des Geschädigten aus und traf ihn an der linken Schläfe; dabei war ihm bewusst, dass er schwere, gegebenenfalls auch lebensgefährliche Verletzungen hervorrufen könne; dies nahm er billigend in Kauf. Der Geschädigte erlitt hierdurch eine rund eineinhalb Zentimeter messende, oberflächliche Stichverletzung im Bereich der linken Gesichtshälfte sowie eine Jochbeinprellung. Dabei brach die Klinge des Messers ab, so dass der Angeklagte keine Möglichkeit mehr sah, sein Vorhaben zu verwirklichen.

4Der Aufforderung zweier Polizeibeamter, die den Angriff des Angeklagten auf den Filialleiter beobachtet hatten, das Messer wegzuwerfen, kam der Angeklagte nicht nach, sondern bewegte sich auf die Polizeibeamten zu. Daraufhin gab die Polizeibeamtin einen Schuss auf den Angeklagten ab und traf ihn ins Bein, wodurch der Angeklagte zu Boden fiel. Er konnte daraufhin festgenommen werden.

II.

5Die auf § 66a Abs. 2 StGB gestützte Maßregelanordnung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

6Zwar liegen - wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist - die formellen Voraussetzungen für die Anordnung des Vorbehalts der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung (§ 66a Abs. 2 Nr. 1 StGB) vor. Der Angeklagte ist wegen der verfahrensgegenständlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Jedoch halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Wahrscheinlichkeit einer Hangtäterschaft (vgl. § 66a Abs. 2 Nr. 3 StGB) begründet hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand.

71. Das - wahrscheinliche - Vorliegen eines Hangs im Sinne eines gegenwärtigen Zustands ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung in eigener Verantwortung wertend festzustellen und in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 476/18, juris Rn. 5 und vom - 1 StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 5; Urteile vom - 5 StR 572/16 Rn. 9, insoweit nicht abgedruckt in StraFo 2017, 246 und vom - 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271; Beschluss vom - 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272, 273). In diese umfassende Vergangenheitsbetrachtung sind alle bedeutsamen, für und gegen eine wahrscheinliche Hangtäterschaft sprechenden Umstände einzubeziehen (vgl. , BGHR StGB § 66a Abs. 1 Nr. 3 nF Voraussetzungen 1).

82. An der erforderlichen umfassenden Vergangenheitsbetrachtung und einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren und lückenlosen Darlegung der für und gegen eine wahrscheinliche Hangtäterschaft sprechenden Umstände fehlt es.

9a) Das sachverständig beratene Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte - wahrscheinlich - einen Hang zur Begehung der Anlassverurteilung vergleichbarer, gegen Leib und Leben anderer gerichteter Taten habe, auf die Persönlichkeit des Angeklagten und - maßgeblich - auf den Umstand gestützt, dass er bereits im Jahr 2002 eine vergleichbare Straftat begangen hat. Im Hinblick auf seine Persönlichkeit hat es - dem Sachverständigen folgend - angenommen, dass es sich bei dem Angeklagten um einen „unkooperativen, wenig verträglichen, seiner Umwelt feindselig und misstrauisch entgegentretenden Menschen“ handele, „der seine Meinung hartnäckig vertrete“, ohne diese kritisch zu hinterfragen. Darüber hinaus habe er bereits im Jahr 2002 einen Finanzbeamten körperlich angegriffen, nachdem dieser sich einer Forderung des Angeklagten widersetzt habe. Auch damals sei der Angeklagte zunächst „verbal ausgerastet“ und habe sodann körperliche Gewalt angewendet, um seinem Willen Nachdruck zu verleihen.

10b) Diese Erwägungen sind lückenhaft. Das Landgericht hat nicht erkennbar bedacht, dass die zum Nachteil eines Finanzbeamten begangene und als symptomatisch angesehene Tat nunmehr bereits 16 Jahre zurückliegt. Dass der Angeklagte seither mit motivatorisch vergleichbaren Handlungen auffällig geworden ist, ist nicht ersichtlich.

11c) Darüber hinaus hat das Landgericht nicht erkennbar in seine Hangprüfung eingestellt, dass der im Jahr 2007 aus dem Strafvollzug entlassene Angeklagte letztmals im Jahr 2011 wegen Körperverletzung straffällig geworden und deshalb zu einer Geldstrafe (40 Tagessätze zu je 10 EUR) verurteilt worden ist. Seither ist er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten.

12d) Schließlich hat das Landgericht nicht erkennbar in den Blick genommen, dass der seit seiner letzten Haftentlassung im Jahr 2007 in einer Obdachlosenunterkunft wohnende Angeklagte nach den Feststellungen ein „weitestgehend unauffälliges, [...] sehr geordnetes und nach seinen festen Regeln bestimmtes Leben“ führte und sich - wie das Landgericht dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung ausdrücklich zugutegehalten hat - aufgrund der durch die Staatsanwaltschaft veranlassten Kontopfändung zur Tatzeit in einer „finanziellen Notlage“ befand. Diese Umstände hätten in die Hangprüfung eingestellt und Anlass zur Prüfung der Frage geben müssen, ob die Anlasstat Ausnahmecharakter trägt. Hierzu hätte nicht zuletzt auch deshalb Anlass bestanden, weil der von der Strafkammer hinzugezogene Sachverständige im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose ausgeführt hat, dass „gewalttätiges Verhalten [...] kein habituell in seiner Persönlichkeit verankertes Mittel zur Durchsetzung des eigenen Willens“ darstelle.

13Ungeachtet des von der Kammer gezeichneten Persönlichkeitsbildes und der Äußerungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung, jederzeit wieder so handeln zu wollen, führen die aufgezeigten Erörterungsmängel zur Aufhebung des Maßregelausspruchs mit den zugrundeliegenden Feststellungen.

14Die Sache bedarf insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:220519B4STR34.19.0

Fundstelle(n):
SAAAH-34396